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Interview IT-Sicherheitsexpertin: Modell-Start der E-Patientenakte war "politische Inszenierung"
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15. Februar 2025, 12:30 Uhr
Die IT-Sicherheitsexperten Bianca Kastl und Martin Tschirsich haben Ende Dezember auf dem Chaos Communication Congress in Hamburg auf Schwachstellen im System der elektronischen Patientenakte (ePA) hingewiesen. Kastl ist nicht überrascht, dass sich der bundesweite Start jetzt verzögert. Der Start in der Modellregion im Januar sei eine politische Inszenierung gewesen, sagt sie im MDR-Interview.
MDR SACHSEN-ANHALT: Wie haben Sie die letzten Wochen nach Ihrem Vortrag beim Chaos Communication Congress und dem Start der Pilotphase in den Modellregionen wahrgenommen?
Bianca Kastl: Wir haben nach dem Vortrag auf dem Chaos Communication Congress am 27. Dezember nicht erwartet, dass es so einen Impact haben würde.
Aber wir haben dann positiver Weise feststellen können, dass das, was wir aufgezeigt haben, zu einem sehr starken Umdenken geführt hat. Dass man die schwerwiegendsten Probleme angehen muss, bevor man damit in die Breite geht. Wir haben gemerkt, dass der Rollout in den Modellregionen sehr stark reduziert wurde. Da waren dann plötzlich nur noch 300 Einrichtungen beteiligt und nicht die gesamte Modellregion.
Wie bewerten Sie das Ganze?
Ich denke, das kann man als Eingeständnis werten, dass es nicht sicher für die Masse war. Man hat wohl auch festgestellt, dass das, was zunächst als einfacher Fehler abgetan wurde, in der Korrektur viel aufwändiger ist.
Wir haben jetzt die Situation, dass die ePA für alle mit ihrem Funktionsumfang verschoben wird. Der Rollout ist frühestens Ende März, Anfang April. Auch die folgenden geplanten Funktionen wurden um mehrere Monate verschoben.
Warum gab es am 15. Januar einen großen Aufschlag, den Start der ePA zu feiern?
Ich glaube, das war politisch gewollt. Karl Lauterbach wollte schlicht und ergreifend sein Versprechen nicht brechen, dass die ePA am 15. Januar an den Start geht. So hat man das am 15. Januar politisch inszeniert, dass es mit der ePA losgeht. So wirklich losgehen wird es wahrscheinlich erst in ein paar Monaten. Eigentlich war es eine politische Inszenierung, eine politische Scharade, um zu zeigen: "Wir halten, was wir versprochen haben."
Was glauben Sie, wie es jetzt weitergeht?
Ich glaube, das Ganze geht nicht so schnell wie gedacht. Der Plan war, nach einem Monat, am 15. Februar, bundesweit live zu gehen. Man dachte, das passt schon, es wird wohl einen Zwischenrelease geben müssen. Ich denke, das wird sich alles noch ein bisschen ziehen. Wahrscheinlich werden wir nach ein paar Monaten sehen, dass es vielleicht doch nicht so schnell in die Breite geht.
Wäre das vermeidbar gewesen?
Sicherlich. Man hätte diese Sicherheitslücken, die wir schon im August vorgebracht haben, früher angehen können. Man hätte das nicht bis zuletzt herausschieben sollen. Ich glaube, diese Verzögerungen wären vermeidbar gewesen. Man hätte mit einer realistischeren Zeitplanung auch die Erwartungshaltung an die ePA besser gestalten können. Denn die Erwartung war, dass sie nach einem Monat Modellregion deutschlandweit live geht und alles ist gut. Das kann für ein Projekt in dieser Größe nicht funktionieren.
Was politisch versprochen wurde, war von vornherein eigentlich nicht haltbar. Die Sicherheitsprobleme wurden viel zu lange nicht angegangen.
Ich glaube, man muss das als politische Augenwischerei bezeichnen. Denn dass ein Projekt dieser Größe so schnell über die Bühne geht, ist extrem unrealistisch. Was politisch versprochen wurde, war von vornherein eigentlich nicht haltbar. Die Sicherheitsprobleme wurden viel zu lange nicht angegangen. Erst als wir das öffentlich eskaliert haben, ist etwas passiert. Das sind keine guten Zeichen für die Sorgfalt, die hinter dem Projekt steht. Alles war politisch geprägt und hat unrealistische Erwartungen geweckt. Und das hat sich jetzt bewahrheitet.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 15. Februar 2025 | 12:00 Uhr