Interview zur Carolabrücke Hohe Sozialausgaben verhindern Erhalt von Infrastruktur
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13. Oktober 2024, 05:00 Uhr
Mit Blick auf den Einsturz der Carolabrücke in Dresden fordert der Finanzwissenschaftler Thomas Lenk eine bessere Ausstattung der Kommunen. Der Leipziger Professor sagte MDR AKTUELL, Kommunen seien bei mehr als der Hälfte der öffentlichen Infrastruktur für den Erhalt zuständig. Daher müssten sie auch entsprechend ertüchtigt werden. Derzeit würden Kommunen immer mehr Geld für Pflichtaufgaben wie etwa Sozialleistungen brauchen. Daher würden nötige Investitionen immer wieder aufgeschoben.
Inhalt des Artikels:
- Wie ist die Situation um die Carolabrücke in Dresden?
- Ist die Situation in NRW noch prekärer?
- Wie schwer tun sich Kommunen mit Investitionen?
- Was haben wir für ein Problem bei Einnahmen und Ausgaben?
- Glauben Sie, dass Bürgermeister Brücken auf Verschleiß fahren?
- Wie könnte Dresden Investitionen in Infrastruktur organisieren?
MDR AKTUELL: Herr Professor Lenk, wie stellt sich für Sie die Situation um die Carolabrücke in Dresden dar?
Prof. Dr. Thomas Lenk: Es hat sich vor Jahrzehnten schon angedeutet, dass solche Dinge passieren können. Ehrlicherweise haben wir damit gerechnet, dass das eher in NRW der Fall sein wird. Dass diese Brücken, die seit der Nachkriegszeit gebaut wurden, irgendwann einstürzen oder zumindest richtig saniert werden müssen, war völlig klar. Und dass man das langfristig in die öffentlichen Haushalte mit einplanen müsste, lag offen auf dem Tisch. Das Problem ist nur, dass Investitionsausgaben oder Erhaltungsaufgaben, die nicht unbedingt zu den obersten Pflichtaufgaben gehören, in den kommunalen Entscheidungen immer ein bisschen nach hinten rutschen. Und dann kriegt man halt so einen Einsturz als Quittung, wenn da was nicht vernünftig im Zeitablauf eingeplant wurde.
Ist die Situation in NRW noch prekärer?
Also wir haben deutschlandweit eine prekäre Situation. Ob das Brücken oder Straßen betrifft. Die sind zu einer Zeit gebaut worden, da sind die Leute eher kleinere Autos gefahren, keine SUVs. Die Laster waren viel leichter als heute. In Dresden kommt noch die Straßenbahn hinzu. Das sind Belastungen, bei denen man damals, als man die Brücken geplant hat, gar nicht davon ausgegangen ist, dass die mal auftreten werden. Jetzt sind die [Brücken] da und sie kommen in die Jahre, sei es korrosionsbedingt, sei es durch Mikrorisse oder sonst etwas. […] Also, es ist überhaupt nicht überraschend, sondern es ist völlig klar, dass wir hier was tun müssen. Und zwar nicht nur kurzfristig, sondern langfristig bei der gesamten öffentlichen Infrastruktur.
Wie schwer tun sich Kommunen, Investitionen anzuschieben?
Man muss sich klar machen, dass weit über die Hälfte der öffentlichen Infrastruktur von Kommunen erhalten werden muss. Man müsste die Kommunen auch dazu ertüchtigen, dieser Aufgabe nachzukommen. Wenn eine Kommune einen Haushalt aufstellt, dann ist sie zunächst verpflichtet, alle Pflichtaufgaben wahrzunehmen. Die sind insbesondere im Sozialbereich. Und bekanntlich sind in den letzten Jahren gerade die Anforderungen im Sozialbereich – wir sprechen sogar von Soziallasten – sehr kräftig angestiegen. Und am hinteren Ende stehen dann Investitionen und Sachausgaben. Und dann wird es natürlich fraglich, wenn immer mehr Geld für Pflichtaufgaben gebraucht wird, wie viel von den Investitionen gemacht werden. Oder ob man die dann doch noch mal ein Jahr schiebt und vielleicht dann nochmal schiebt. Und dann nimmt das Schlechte seinen Lauf.
Was haben wir in Deutschland für ein Problem auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite?
Eigentlich haben wir ein dreifaches Problem. Wir haben nicht nur ein Problem auf der Einnahmen- und der Ausgabenseite, sondern auch mit unserer Schuldenbremse. Auf der Ausgabenseite ist die allererste Frage: 'Was soll der Staat tun und was soll privat gemacht werden?' [...] Und wenn ich weiß, welche Aufgaben der Staat hat, muss ich abschätzen, wie groß sind die Ausgaben. Und dann kommt als letzter Schritt die Frage: 'Kann ich die Einnahmen dazu entsprechend organisieren?' Und wenn jetzt die Einnahmen in der Höhe nicht mit der Ausgabenhöhe übereinstimmen, dann kommt die Frage: Können wir uns verschulden und inwieweit können wir das zukünftigen Generationen überhaupt zumuten?
Gibt es einen Unterschied zwischen guten und schlechten Schulden?
Schulden per se sind weder gut noch schlecht. Es gibt Finanzwissenschaftler, zu denen zähle ich mich auch, die die sogenannte Goldene Regel befürworten, die sagt: So wie im privaten Bereich darf auch der Staat Schulden aufnehmen für Investitionen, bei denen ein Gegenwert da ist, die länger halten und für zukünftige Generationen zur Verfügung stehen. Da hatten wir in der alten Schuldenbremse so was drinstehen. Und dann hat man sich darüber gestritten, was Investitionen sind und was nicht. [...] Und dann kam die Idee dazu, auch den Unterhaltungsaufwand in einen erweiterten Investitionsbegriff hineinzunehmen. Denn wir müssen doch nicht immer alles neu bauen, sondern wir könnten vieles von dem, was da ist, erhalten. Und ich kenne durchaus den ein oder anderen Kommunalpolitiker – und ich sage hier explizit, es ist kein Dresdner, sondern es sind eher westdeutsche Stimmen, die sagen: 'Na ja, wenn ich meine Brücke erhalten muss und da Geld hineinstecke bei Sachleistungen, dann habe ich das in meinem kommunalen Haushalt. Wenn ich die aber soweit verkommen lasse, dass die im Extremfall zusammenbricht, dann fühlt sich vielleicht auch das Land und der Bund in der Pflicht.'
Glauben Sie wirklich, dass ein Bürgermeister seine Brücke so sehr auf Verschleiß fahren würde, bis er sagt: Jetzt komme ich an andere Töpfe ran und belaste nicht meinen Haushalt?
Ich sage es mal so: Die Aussagen waren von [Stadt]-Kämmerern, die für mich durchaus glaubwürdig waren.
Wie könnte Dresden Infrastruktur-Investitionen organisieren, ohne dass andere Aufgaben liegen bleiben?
Ich kenne die aktuelle Vorlage nicht, aber man macht ja eine Fünf-Jahres-Planung, also eine Mittelfristplanung. Und die Mittelfristplanung vor dem Einsturz der Carolabrücke dürfte eine andere sein als nachher. Sie müssen ja irgendwie diesen Verkehrsfluss sicherstellen. Und bei der Kommunalverschuldung hat Dresden durch den Verkauf seiner [kommunalen] Wohnungen im Vergleich zu Leipzig und Chemnitz einen komfortablen Schuldenstand, nämlich keine Schulden. Da müsste man mit der Kommunalaufsicht noch mal ins Gespräch gehen, ob bis zu einem gewissen Grade – auch wenn es anders im Gesetz vorgeschrieben ist – eine gewisse Verschuldung zulässig ist.
Das Gespräch führte Sven Kochale.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. Oktober 2024 | 08:17 Uhr