Polizisten bringen die bei der Razzia gegen mutmaßliche Rechtsextreme Festgenommenen zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, der über die Untersuchungshaft entscheidet
Polizisten bringen die bei der Razzia gegen mutmaßliche Rechtsextremen Festgenommenen zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, der über die Untersuchungshaft entscheidet. Bildrechte: picture alliance/dpa | Rene Priebe

Interview mit Rechtsextremismusforscher Decker Warum Sachsen für Rechtsextreme besonders attraktiv ist

06. November 2024, 14:26 Uhr

Die Vereinigung "Sächsische Separatisten" war Szene-Beobachtern wie Rechtsextremismusforscher Oliver Decker aus Leipzig bislang unbekannt. Dass der Boden in Sachsen fruchtbar ist für solche Verbindungen, das hat er aber gut dokumentiert. Im Interview mit MDR AKTUELL berichtet Decker von tiefen Bindungen zwischen völkisch-nationalsozialistischen, gewaltbereiten Gruppen und bürgerlich-nationalistischem Milieu – und der Anziehungskraft Sachsens auf Neonazis aus anderen Ländern.


MDR AKTUELL: Herr Prof. Dr. Decker, Sie beobachten die extremistischen Tendenzen in Sachsen schon sehr lange. Hat Sie die Razzia am Dienstag überrascht?

Oliver Decker: Die Razzia selbst kommt natürlich überraschend. Der Anlass, dass sich ein rechtsterroristisches Netzwerk gebildet hat, ist deutlich weniger überraschend. Denn wir haben in Sachsen schon seit Jahren, Jahrzehnten eine völkisch-neonazistische Mobilisierung mit einer massiven Gewaltbereitschaft. Sie besteht schon lange in entsprechenden Gruppierungen informeller Art, sie wird organisiert und auch Waffengewalt trainiert. Das ist durch die Forschung und Berichterstattung gut dokumentiert, auch die Schnittstellen, zum Beispiel für Trainings nach Polen oder Osteuropa zu fahren, ist schon länger bekannt.

Was aber durch die Bundesanwaltschaft noch mal sichtbar geworden ist, ist die enge Verbindung, die diese Neo-NS-Gruppierungen zur AfD haben. Auch diese Netzwerke sind uns schon lange bekannt. Die AfD hat unter ihrem Personal zahlreiche Vertreter, die aus der Neonaziszene kommen, selbst unter Vorstandsmitgliedern auf kommunaler und Kreisebene und bei den Bezirksverordnetenversammlungen, sowie den Stadträten. 


Wer ist Oliver Decker? Oliver Decker ist Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung (EFBI) sowie des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig. Seit Jahren beobachtet und berichtet er von rechtsextremen Bestrebungen im Freistaat, die er unter anderem in der Leipziger Autoritarismus Studie und den EFBI-Veröffentlichungen dokumentiert.

Man kann deshalb sagen, der AfD ist gelungen, was die NPD strategisch angestrebt hat: sie konnte die Brücke zwischen der Straße und dem Wohnzimmer bauen, zwischen den völkisch-nationalsozialistischen, gewaltbereiten Gruppierungen und dem bürgerlich-nationalistischen Milieu. Gemeinsam waren beiden die politischen Orientierungen, aber die Form des Auftretens, die Alltagskultur unterscheidet sich. Die AfD ist heute im Grunde genommen ein Kristallisationspunkt der antidemokratischen Bewegungen in Sachsen und die Verbindungen bestehen auch in den Westen. 

Ist Ihnen die Gruppe "Sächsische Separatisten" bekannt?

Oliver Decker: Der Name der Gruppe war mir noch nicht bekannt. Allerdings kann man der bisherigen Berichterstattung einige konkrete Personennamen entnehmen und mit diesen eröffnet sich ein bekannter Kosmos. Wir haben es hier mit Menschen zu tun, wie gesagt, die auch AfD-Funktionsträger sind und gleichzeitig eine sehr hohe Nähe haben oder Mitglieder sind von neonazistischen Organisationen. Ein Name, der ja genannt wurde, ist der eines Grimmaischen Stadtrats, der auch Mitglied im AfD-Kreisvorstand ist. Seine politischen Aktivitäten zeigen, dass er in der Vergangenheit wenig Berührungsängste zur Neo-NS-Szene hatte.

Prof. Dr. Oliver Decker
Prof. Dr. Oliver Decker kannte zwar die konkrete Gruppierung "Sächsische Separatisten" noch nicht, der Komos aber, in dem sich die mutmaßlichen Mitglieder bewegen, ist ihm bekannt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

So liegen Berichterstattungen vor über ein Sonnenwendfeuer in diesem Jahr, bei denen SS-Offiziere ein ehrendes Andenken bekommen haben sollen. Durch solche Feste wird versucht, die Jugend zu mobilisieren. Wir können an vergleichbaren Biografien sehen, wie eng das Netzwerk ist. Wir müssen damit rechnen, dass in den Ermittlungen auch andere Namen mit einer AfD-Nähe auftauchen. 

Wegen der Netzwerkbildung wurde Sachsen auch für Neo-Nazis aus anderen Bundesländern attraktiv. Ziehen wir die bisherige Berichterstattung mit ein, dann zeigen die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft diese enge Verbindung ebenfalls an. So wurden Ermittlungen aufgenommen gegen ein Brüderpaar, dessen Vater bereits verurteilter Rechtsterrorist in Österreich ist. Er hatte nach seiner Haftentlassung in Leipzig seinen neuen Wohnort gewählt. Durch diese Personalie eröffnet sich ein weiterer Kosmos der neonazistischen Szene, diesmal hin zu Legida und Unternehmensnetzwerken.

Man darf sehr gespannt sein, was die weiteren Ermittlungen an Erkenntnissen bringen. Denn eine große Frage ist unter anderem auch: "Wie werden solche Strukturen eigentlich finanziert?" Es muss Geld für solche Netzwerke mobilisiert werden, nicht nur Menschen. Und da spielen Unternehmer eine große Rolle gerade in Sachsen.   

Das Else-Frenkel-Brunswik-Institut hat letztes Jahr Fallstudien zur Verwicklung von Unternehmern in die extrem-rechte Szene publiziert. Für die Forschung ist es ein schwieriges Feld, schwer zugänglich und mit finanziell potenten Gegnern – sie setzen oft auf sogenannte "SLAPP"-Klagen, die den Gegner allein durch den Streitwert zum Aufgeben bringen sollen. Ich hoffe, dass die Bundesanwaltschaft auch in Netzwerkstruktur von extrem-rechter Mobilisierung und unternehmerischen Aktivitäten Licht bringen kann. 

Sie haben noch nichts von dieser Gruppe gehört, aber die Ermittler offensichtlich. Überrascht Sie das?

Oliver Decker: Im Grunde genommen ist es überraschend, dass die Ermittlungen erst so spät kommen. Bei dieser eben von mir zitierten Sonnenwendfeier in Strahwalde im Juli dieses Jahres war versammelt was Rang und Namen hatte. Dennoch wurde das Fest genehmigt und wurde von der Polizei als unproblematisch eingeschätzt. Dabei war der Anmelder seit Jahren auch Organisator diverser extrem-rechter Demonstrationen und der Recherche der Medien ist zu entnehmen, dass auf der Sonnenwendfeier NS-Liedgut vorgebracht wurde. 

Hier besteht ein großes Wissensdefizit bei der Polizei, sie kann die Personen, die getragenen Symbolen, die Rituale offensichtlich nicht einordnen. Die Gewaltbereitschaft, der Organisierungsgrad und das Ziel, die demokratische Ordnung zu stürzen, ist aber der Kit, der die Menschen auf diesem Fest einte. Und so kann man sagen: Es ist gut, dass die Ermittlungen von der Bundesanwaltschaft aufgenommen wurden. Da gehören sie hin, wenn sich die Vorwürfe erhärten lassen, handelt es sich um die Planung von Rechtsterrorismus. Bereits in der Vergangenheit sahen wir, wie viele solcher Gruppierungen in Sachsen existieren, welches Echo solche Ideologien hier finden. Man kann sie offen propagieren und gleichzeitig klandestine Netzwerkstruktur aufbauen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 05. November 2024 | 21:45 Uhr

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