Regierungserklärung von Scholz Keine Zeitenwende 2.0

02. März 2023, 18:32 Uhr

"Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln – außer über die eigene Unterwerfung." Ein Jahr nach seiner Zeitenwende-Rede hat Kanzler Scholz im Bundestag Bilanz gezogen. Er erklärt seine Leitlinien und wirbt in der Frage von Waffenlieferungen und Unterstützung für die Ukraine um Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft. Die anschließende Debatte offenbart, wie hart die Bundesregierung nicht nur mit der Zeitenwende ringt, sondern auch mit dem eigenen Zusammenhalt.

Ein Erklärungsversuch

Für die einen ist er zu zögerlich, für andere ein Kriegstreiber. In einer kritischen Phase des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, in einer ebenso kritischen Phase der deutschen Debatte über Waffenlieferungen und die weitergehende Unterstützung der Ukraine, versucht sich Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Disziplin, von der viele Beobachterinnen und Beobachter meinen, dass er sie nur leidlich beherrsche: Scholz versucht Politik zu erklären.

Er wisse, so der Kanzler, die Waffenlieferungen an die Ukraine seien "ungewohnt für unser Land." Darum verstehe er alle Bürgerinnen und Bürger, "die darüber nicht Hurra schreien". Er könne allen versichern, die Bundesregierungen mache sich ihre Entscheidungen nicht leicht.

Unser "Nie wieder"

Man schaffe keinen Frieden, wenn man wie am vergangenem Samstag vor dem Brandenburger Tor auf einer Demonstration, "nie wieder Krieg" rufe und zugleich fordere, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen, sagt Scholz weiter. Die russischen Kriegsverbrechen zeigten, welche Folgen die russischen Friedensbedingungen für die ukrainische Bevölkerung hätten. Das wäre "das Ende der Ukraine", schlussfolgert der Kanzler. Daher könne es keinen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg geben.

Unser 'Nie wieder' bedeutet, dass der Angriffskrieg nie wieder zurückkehrt als Mittel der Politik. Unser 'Nie wieder' bedeutet, dass sich Putins Imperialismus nicht durchsetzen darf.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Scholz zeigt, dass er die Unsicherheit und die Ängste der deutschen Bevölkerung ernst nimmt, erklärt aber auch, warum es seiner Meinung nach falsch wäre, diesen nachzugeben. Dafür erntet der Kanzler nicht nur Applaus von seinen Regierungsfraktionen, sondern auch von der Union. Bei Letzterer bedankt sich Scholz. Wohlwissend, dass ein moderater Umgangston in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in diesen Tagen für den Zusammenhalt der Gesellschaft unverzichtbar ist. Denn die Unterstützung der deutschen Bevölkerung für die Ukraine-Politik der Bundesregierung bröckelt. Um seinen Kurs zu halten, muss Scholz nicht nur die eigenen Reihen zusammenhalten.

Die Botschaften des Kanzlers

Politikvermittlung ist nicht das einzige Anliegen von Scholz an diesem Morgen, der Regierungschef sendet auch klare Botschaften. Etwa, indem er Chinas Präsidenten Xi Jinping dazu auffordert, Russland keine Waffen zu liefern und sich nicht nur mit Wladimir Putin, sondern auch dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen.

Die schleppend anlaufende Zeitenwende, die chaotischen Zustände im Beschaffungsamt der Bundeswehr, die ausgedünnten Waffenbestände des bundesdeutschen Heeres, erwähnt Scholz mit keinem Wort. Seine Botschaft: "Wir machen Schluss mit der Vernachlässigung unserer Streitkräfte", erntet im Plenum hämische Lacher. Weiter bekräftigt der Kanzler seine Zusage, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen zu wollen. Unklar bleibt, ob sich Scholz damit hinter die Forderung seines neuen Verteidigungsministers stellt, der kürzlich zehn weitere Milliarden Euro aus dem Haushalt für das Heer gefordert hatte.

Die Skizze eines deutschen Friedensplans formuliert der Kanzler nicht. Scholz gibt zu erkennen, dass nur die Ukraine sagen könne, zu welchen Bedingungen sie zu Friedensverhandlungen bereit sei. Wann es soweit sein könnte, verrät Scholz ebenfalls nicht. Dass der Regierungschef keinen eigenen Entwurf präsentiert, darf ebenfalls als Botschaft verstanden werden. Ganz anders formuliert das Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Dieser scheint sich sicher, man werde "Jahre, wenn nicht Jahrzehnte Sicherheit in Europa nicht mehr mit, sondern gegen Russland organisieren müssen."

Nicht "die Tat des Jahres"

In der darauffolgenden Debatte passiert wenig Unerwartetes. Die Union wirft der Bundesregierung vor, dass die Zeitenwende zwar "Wort des Jahres" sei, dass aber, gemessen an den bislang erreichten Fortschritten, nicht von "Tat des Jahres" die Rede sein könne. AfD-Chef Tino Chrupalla prophezeit, dass die einzigen Kriegsgewinner die USA seien und die Linke sieht sich, in Abwesenheit von Sarah Wagenknecht, von einer Allianz aus Medien und Politik als russlandfreundlich gebrandmarkt. Weiter erinnert Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch daran, dass Waffenlieferungen an die Ukraine keine Menschenleben retten würden, wie dies Außenministerin Baerbock behaupte. Wer Waffen liefere, trage vielmehr eine moralische Mitverantwortung für Opfer und Zerstörung, sagt Bartsch.

Eine Koalition ringt mit sich selbst

Nicht nur beim Thema Waffenlieferungen macht es sich die Ampel "nicht leicht". Während sich die Rednerinnen und Redner der Regierungskoalition redlich bemühen, die Gemeinsamkeiten und Errungenschaften der vergangenen zwölf Monate in den Vordergrund zu stellen, können sich manche grüne und liberale Abgeordnete nicht verkneifen, tagespolitische Seitenhiebe auszuteilen. Da lobt FDP-Fraktionschef Christian Dürr die kürzlich beschlossene Technologieoffenheit bei E-Fuels und Grünen-Urgestein Jürgen Trittin bezeichnet die Laufzeitverlängerung für Verbrennermotoren als falsch, das geplante Verbot für den Einbau von neuen fossilen Heizungen ab 2024 für richtig. In einer Debatte über Krieg und Frieden wirken diese schrillen Zwischenrufe reichlich deplatziert, offenbaren sie doch nur die Unfähigkeit der Ampel, ihre Meinungsverschiedenheiten im Haushaltsstreit in den dafür vorgesehenen Koalitionsgremien auszufechten.

Scholz zeigt kein neues Gesicht

Wer eine Regierungserklärung im Stile Zeitenwende 2.0 erwartet hatte, wurde am Donnerstag enttäuscht. Keine neuen Leitlinien, keine neuen Vorstöße, kein neuer Ton des Kanzlers. Dass Scholz sich weder als Taktgeber generiert, noch als Visionär oder Wegweiser inszeniert hat, dürften ihm manche zugute halten. Nicht nur angesichts der knappen Zustimmungswerte für seine Koalition, sondern auch dem großen Anteil der Bevölkerung, der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch gegenübersteht, könnte der Kanzler mit seiner Zurückhaltung gut beraten sein.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 02. März 2023 | 19:30 Uhr

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