Analyse zum Flüchtlingsgipfel Verharren in der Bestandsaufnahme
Hauptinhalt
16. Februar 2023, 20:22 Uhr
Viel besprochen und wenig geklärt. Beim Flüchtlingsgipfel mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser kommen die Probleme der Verteilung und Unterbringung von Flüchtlingen zwar auf den Tisch, nach weitreichenden Beschlüssen sucht man aber vergebens – die nächste Ministerpräsidentenkonferenz soll es richten. Erstarrte Fronten zwischen Bund und Ländern – Kommunen und Flüchtlingsorganisationen zeigen sich enttäuscht.
- Trotz des Hilferufs aus den Kommunen gibt es vom Bund kein zusätzliches Geld für Geflüchtete. Erfolg sollen neue Arbeitsstrukturen bringen.
- Kommunale Vertreter bemängeln, dass etwa in Fragen der Unterbringung und Integration ohne konkrete Finanzzusagen keine Entscheidungen getroffen werden können.
- Die CDU kritisiert die Bundesrepublik für die Migrationspolitik, Innenministerin Faeser weist auf Entscheidungen auf EU-Ebene hin.
Große Entscheidungen sucht man auf dem Flüchtlingsgipfel zwischen Bund, Ländern und Kommunen vergebens. Hand aufs Herz, das war allen Beteiligten auch von vorneherein klar.
Schnell wird im Laufe des Tages ersichtlich: Die Positionen haben sich seit dem letzten Aufeinandertreffen von Bund und Ländern nicht geändert. Die Kommunen läuten Alarm, fordern mehr Geld vom Bund für weitere Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge. Der Bund hingegen verweist auf die bereits versprochenen 2,75 Milliarden Euro und bietet an, weitere Liegenschaften des Bundes für mehr Erstaufnahmeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen.
Neue Arbeitsstrukturen sollen Erfolg bringen
Finanzversprechen gibt der Bund beim Gipfel nicht. Darum solle es bei einer Ministerpräsidentenkonferenz kurz vor Ostern gehen, betont Bundesinnenministerin Nancy Faeser. So hätten es die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit Kanzler Olaf Scholz bereits im Dezember einhellig beschlossen.
Wirklich neu ist tatsächlich nur die Ankündigung Faesers, dass man jetzt "erstmals" Arbeitsstrukturen zwischen Bund, Ländern und Kommunen geschaffen habe, die sich regelmäßig treffen sollen, um weitere Absprachen in der Integrations- und Migrationspolitik vorzubereiten.
Ziel dieser Gruppe müsse es sein, so Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU), dass jetzt alle Beteiligten bis Ostern klare gemeinsame Vorstellungen formuliert würden. Dann müsse es für Kanzler Scholz zum Schwur kommen.
Angesichts des enormen Handlungsdrucks und der seit Jahren anhaltenden Debatten über Flüchtlingspolitik zeigen sich Beobachterinnen und Beobachter irritiert.
Erstmal sind wir erschrocken, dass es solche Strukturen bisher nicht gegeben hat.
Die neuen Arbeitsstrukturen seien zwar Begrüßenswert, meint Pro-Asyl-Sprecher Tareq Alaows, machten jedoch auch deutlich in welchem Rückstand man sich in der politischen Debatte befände.
Ohne Finanzzusagen keine Ergebnisse?
Auch für den Landrat Mittelsachsens, Dirk Neubauer (parteilos), sind die Verhandlungsergebnisse vom Donnerstag alles andere als ein großer Wurf. Von einer Neuausrichtung der Integration- und Migrationspolitik könne noch keine Rede sein. Dafür bräuchten Länder und Kommunen mehr Mittel vom Bund.
Wenn die Kernbotschaft ist, wir reden zu Ostern vielleicht über Geld, dann ist das am Ziel vorbei.
Es müsse darum gehen, das Baurecht für Flüchtlingsunterkünfte zu vereinfachen und mehr Personal für Sprachkurse einzustellen. Weiter brauche es bessere Bedingungen für eine gelingende Integration, anstatt Debatten über Zustandsverwaltung, so Neubauer. All diese Fragen ließen sich aber erst dann besprechen, wenn klar sei, wie viel Geld den Kommunen zur Verfügung stehe.
Ähnlich äußert sich auch der Präsident des Deutschen Landkreistages Reinhard Sager (CDU). Dass der Bund keine weiteren Zusagen gemacht habe, sei eine große Enttäuschung.
Die Bundesinnenministerin sieht das erwartungsgemäß anders. Schon vor Beginn des Flüchtlingsgipfels hatte Faeser darauf hingewiesen, dass Kommunen und Länder, die Bundeshilfen von 2,75 Milliarden Euro im für das laufende Jahr wohl kaum bereits ausgegeben haben könnten. Damit dürfte sie recht haben. Dass die Mittel zum Jahresende knapp werden könnten, soll im Kanzleramt aber offensichtlich erst dann zum Thema gemacht werden, wenn sich die Flüchtlingszahlen noch besser abschätzen lassen. Ein schwacher Trost für Flüchtlingsorganisationen, Kommunen und Länder.
Pro Asyl fordert dezentrale Unterbringung
Von weiteren Verhandlungsrunden erwartet die Organisation Pro Asyl mehr Chancen für eine dezentrale Unterbringung aller Flüchtlinge. Die Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge zeige, dass man die Kommunen entlasten könne, wenn man Flüchtlingen die Möglichkeit gebe, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen, so Pro-Asyl-Sprecher Alaows. So könnten viele Schutzsuchende bei Familienangehörigen oder privaten Haushalten untergebracht werden. Es dürfe keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geben, so Alaows.
Die Praxis zeigt, dass die freie Wohnortwahl für ukrainische Flüchtlinge tatsächlich funktioniert. So erklärte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung kürzlich dem Deutschlandfunk, dass in Leipzig von 10.000 ukrainischen Flüchtlingen bereits 8.500 in privaten Unterbringungen seien.
Das Land Berlin habe kürzlich auch Flüchtlinge aus anderen Herkunftsländern von der Wohnpflicht befreit, so Alaows. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Abschiebung und Abschottung
Es sind vor allem die CDU-Politiker wie Hessens Innenminister Peter Beuth oder Landkreistagspräsident Sager, die die Pressekonferenz des Flüchtlingsgipfels dafür nutzen, der Bundesregierung Versagen bei Abschiebungen und der Verteilung von Flüchtlingen in Europa vorzuwerfen. Weiter brauche es besser gesicherte EU-Außengrenzen, um illegaler Migration vorzubeugen.
Faeser nutzt die Gelegenheit, um auf die anstehenden Migrations- und Rückführungsabkommen mit Drittstaaten zu verweisen. Mit Hochdruck würde die Bundesregierung hier mit internationalen Partnern verhandeln, ein Abkommen mit dem Irak stünde in Aussicht. Weiter habe die EU in der vergangenen Woche beschlossen, die Außengrenzen stärker zu schützen.
Weitere Rückführungsabkommen seien dringen notwendig, erklärt Landrat Neubauer, da man sonst in der deutschen Bevölkerung den Rückhalt für die Migrationspolitik verliere.
Nicht alle Probleme sind sofort lösbar
Klar ist: ohne die Zusage von EU-Partnerländern, mehr ukrainische Geflüchtete aufzunehmen, wird der Druck auf die bundesdeutschen Kommunen steigen. Die Bundesregierung kann sich dafür weiterhin einsetzen, hat es aber nicht alleine in der Hand. Das gilt auch für die Rückführung von Flüchtlingen ohne Bleiberecht.
Mit nordafrikanischen Staaten mögen Rückführungsabkommen verhandelbar sein, mit der afghanischen Taliban und Syriens Machthaber Assad kann die Bundesregierung solche Abkommen jedoch derzeit kaum treffen. Viele Probleme der deutschen Migrations- und Integrationspolitik werden sich auf absehbare Zeit nicht ohne weiteres lösen lassen. Erst recht nicht vor dem kommenden Oster-Flüchtlingsgipfel.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 16. Februar 2023 | 16:00 Uhr