Integration Flüchtlingsaufkommen bringt Landkreise an Belastungsgrenze

09. Februar 2023, 19:03 Uhr

Mehr als eine Million Menschen sind seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Mehr als 60.000 von ihnen leben derzeit in Sachsen. Dazu kamen 2022 deutschlandweit noch 250.000 Geflüchtete aus anderen Ländern. In Sachsen verdoppelte sich die Zahl der Asylsuchenden im vergangenen Jahr auf 18.000. Kommunen und Landkreise geraten teilweise an ihre Belastungsgrenze.

Bei der Unterbringung von Geflüchteten gerät der Erzgebirgskreis an seine Grenzen. Bei einer Pressekonferenz in Annaberg-Buchholz sagte Landrat Rico Anton: "Die Flüchtlingsunterbringung im Erzgebirgskreis stellt uns vor erhebliche Herausforderungen. 2022 haben wir 5.187 Flüchtlinge im Erzgebirgskreis aufgenommen, davon 4.108 Ukrainer." Gemessen an der Zuweisungsprognose der Landesdirektion gerate der Landkreis an die Grenzen seiner Möglichkeiten."

Gemessen an der Zuweisungsprognose der Landesdirektion stoßen wir zeitnah an die Grenzen unserer Möglichkeiten.

Rico Anton Landrat des Erzgebirgskreises

Deutlicher wurde Frank Reißmann, der Abteilungsleiter für Soziales und Ordnung im Landkreis. Es würden dringend Grundstücke und Gebäude für die Unterbringung gesucht. "Das wären insbesondere große leerstehende, aber auch nutzbare Gebäude, Gebäudeteile, Hallen oder Liegenschaften, auf denen der Landkreis Container oder Zelte zur Unterbringung aufstellen kann."

Vogtlandkreis sieht sich auch für dieses Jahr gut vorbereitet

Ein Sprecher des Vogtlandkreises reagierte auf die Nachfrage von MDR SACHSEN nach der Unterbringung von Geflüchteten gelassener. "Aktuell kann die Unterbringung von Geflüchteten gesichert werden", heißt es in einer schriftlichen Antwort. "Derzeit kann auch das durch den Landkreis bevorzugte dezentrale Unterbringungskonzept umgesetzt werden." Der Landkreis hielte seine zwei Ankunftszentren in Auerbach und Reichenbach im Standby-Betrieb, um auf unplanbare bzw. massiv steigende Zahlen reagieren zu können.

Landkreise wollen keine Turn- oder Messehallen belegen

Henry Graichen, der Präsident des sächsischen Landkreistages und Landrat des Landkreises Leipzig, hat sich dagegen ausgesprochen, Geflüchtete wieder in Turn- oder Messehallen unterzubringen. Er plädiert für eine Unterbringung in Wohnungen. "Aber man muss wissen, dass allein im Jahr 2022 durch die Unterbringung von mehr als 60.000 ukrainischen Kriegsvertriebenen in Sachsen diese Kapazitäten auch deutlich erschöpft sind." Man brauche für Flüchtlinge, die in diesem Jahr nach Sachsen kommen, weitere Unterkünfte. "Die finden wir immer schwerer", sagte Graichen MDR SACHSEN.

Landkreise sehen Probleme bei Betreuung der Geflüchteten

Neben dem fehlenden Wohnraum gebe es weitere Probleme, sagte Graichen. Er nannte ausgebuchte Integrations- und Sprachkurse, fehlende ärztliche Versorgung, zu wenige Kitaplätze und Beschulungsmöglichkeiten. "Das sehen natürlich die Menschen auch, dass dieser Engpass besteht. "Damit sinkt natürlich auch die Akzeptanz in der Bevölkerung."

Der Erzgebirgskreis hat nach eigenen Angaben bereits vergangenes Jahr elf neue Stellen geschaffen – in der Verwaltung, aber auch bei Trägern, die die Sozialbetreuung der Flüchtlinge übernehmen.

Der Vogtlandkreis verweist auf vier Anbieter von Deutschkursen und auf ehrenamtliche Deutschlehrer insbesondere im ländlichen Raum. Gleichzeitig verweist er auf einen seit Jahren bestehenden Mangel an Dozenten. Daher könne die Nachfrage nach Integrationskursen nicht ausreichend befriedigt werden.

Henry Graichen, Vorsitzender des Regionalen Begleitausschusses (RBA), Landrat LK Leipzig
Henry Graichen, der Vorsitzende des sächsischen Landkreistages, sieht bei der Betreuung der Geflüchteten große Probleme. Bildrechte: Sächsische Agentur für Strukturentwicklung GmbH

Sonderfall Chemnitz: Beratung für Geflüchtete ist gestutzt worden

Trotz steigender Flüchtlingszahlen hat die Stadt Chemnitz bei bestimmten Beratungsangeboten für Geflüchtete den Rotstift angesetzt. Die drei zuständigen Träger mussten Mitarbeiter entlassen. Auch die AG In- und Ausländer (AGIUA), die sich mit Migrationssozial- und Jugendarbeit befasst, muss auf ein Drittel der Finanzmittel verzichten. Damit sei eine Betreuung der vielen Geflüchteten, die nach Chemnitz kommen, nur noch eingeschränkt möglich, sagt Projektleiterin Josephine Schwittek.

"Sie können mit all ihren Fragen zu uns in die Beratung kommen", Das beträfe das Stellen von Anträgen, den Leistungsbezug, Kindergarten- und Schulplätze. "Wir sind aber auch persönliche Ansprechpartner, wenn es um Kindeserziehung, Trennung, häusliche Gewalt geht." Es gebe ein Vertrauensverhältnis, da die Menschen wüssten, dass sie Ansprechpartner für ihre Probleme hätten. "Es ist wichtig, dass wir nicht wie eine Behörde die Anträge abarbeiten. Die Geflüchteten wissen, da ist jemand, der hinter mir steht."

Ein Stempel mit der Aufschrift "Hinweis: Erwerbstätigkeit nicht gestattet. Über eine Genehmigung entscheidet die Ausländerbehörde", 2015
Die AG In- und Ausländer in Chemnitz hilft Geflüchteten durch den Ämterdschungel. Bildrechte: picture alliance / dpa | Jens Wolf

Die Geflüchteten wissen, da ist jemand, der hinter mir steht.

Josephine Schwittek Projektleiterin bei AGIUA e.V.

Am 16. Februar hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser Vertreter kommunaler Spitzenverbände und aller Bundesländer zu einem Flüchtlingsgipfel eingeladen, auf dem diese Probleme auf den Tisch kommen sollen.

MDR (tfr/nki)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | regionalreport aus dem Studio Chemnitz | 09. Februar 2023 | 16:30 Uhr

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