Analyse Ein Jahr Ampel – Regierung und Kanzler nicht entschlossen genug
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08. Dezember 2022, 11:56 Uhr
Ukraine-Krieg, Corona, Energiekrise – die Ampel-Koalition hat mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Zudem macht sie es sich selbst schwer, weil das Bündnis auch für die Partner noch immer ungewohnt erscheint und Kanzler Scholz mit seiner Führungsrolle kämpft. Das kostet Vertrauen. Eine Analyse.
Er ist Robert Habecks Mann fürs Öl: Am Montag ist Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner nach Warschau gefahren, um mit der polnischen Regierung darüber zu verhandeln, wie viel Rohöl künftig vom Hafen Danzig aus zur Raffinerie PCK Schwedt im Nordosten Brandenburgs gepumpt werden kann. Wohlgemerkt an dem Tag, an dem das EU-weite Embargo auf russisches Öl in Kraft tritt.
Zurück kommt Kellner mit leeren Händen. Die Gespräche sollen am Donnerstag in Berlin fortgesetzt werden. Damit ist auch ein halbes Jahr nachdem die Europäische Union das Embargo beschlossen hat, die Versorgung von Schwedt nicht final geklärt.
Schleppende Umsetzung wichtiger Themen
Der schleppende Verlauf bei den Verhandlungen mit den Polen sorgt nicht nur für Verärgerung in den eigenen Koalitionsreihen. Er steht auch symptomatisch für die Arbeitsweise der Ampel. SPD, Grüne und FDP streiten bei vielen Themen lange und finden Lösungen oft erst kurz vor knapp. Drei Beispiele:
Im Streit um Corona-Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz verhaken sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann. Das Kanzleramt schaut lange zu und schaltet sich nur zögerlich ein. Zwar gelingt ein Kompromiss, aber hätte der Bundestag den neuen Regeln nicht zugestimmt, wären zwei Tage später alle Corona-Maßnahmen ausgelaufen. Die Infektionszahlen erreichen zu dieser Zeit immer neue Rekordwerte.
Für das Bürgergeld liefert Arbeitsminister Hubertus Heil im Juli erste Eckpunkte und bekommt prompt Gegenwind von der Union. Das ändert sich auch nicht, als das fertige Gesetz im Oktober den Bundestag erreicht. Doch an der Ampel prallt die Kritik zunächst ab. Erst als die Union wie vorab angekündigt den Hartz-IV-Nachfolger im Bundesrat durchfallen lässt, kommt es zum Kompromiss. Nur weil der schnell gelingt, kann das Bürgergeld auch zum 1. Januar starten.
Um angeschlagene Gasimporteure zu retten, setzt Wirtschaftsminister Habeck lange auf die Gasumlage. Doch zwei Tage vor dem ursprünglich vorgesehenen Starttermin schwenkt die Ampel auf Direkthilfen um. Zudem will sie den steigenden Gaspreisen nun mit einer Preisbremse begegnen. Zu diesem Zeitpunkt ist aber noch unklar, wie diese funktionieren soll und ab wann sie gilt. Konkrete Antworten darauf liefert die Bundesregierung erst Ende November und setzt damit Parlament, Energieversorger und Hausverwalter unter Zugzwang.
Koalition blockiert sich, Scholz bleibt Zuschauer
Immer wieder verliert die Ampel-Regierung bei der Suche nach den richtigen Antworten viel Zeit. Die Gründe dafür lassen sich nicht ausschließlich auf den Krieg in der Ukraine zurückführen. Oft stehen sich die Koalitionäre auch selbst im Weg. So setzt die FDP als kleinster Koalitionspartner ihre Interessen weniger durch eigene Impulse durch, als eher dadurch, dass sie SPD und Grüne in ihrem Wirken begrenzt. Richtig angekommen sind die Liberalen dadurch bislang nicht in der Ampel. So fehlt ihnen auch noch ein Thema mit dem sie sich dauerhaft profilieren können.
Es ist aber nicht immer die FDP, die blockiert. Auch SPD und Grüne sind sich nicht immer eins. Als Ausrede wird dann oft auf die schwierige Dreierkonstellation verwiesen, die etwas Neues im Bund sei. Neu daran ist allerdings nur die Zusammensetzung. Auch Angela Merkel hatte es mit drei Parteien zu tun, wobei sich oft die Schwesterpartei CSU als schwierigster Partner erwies.
Aber anders als Merkel lässt Olaf Scholz Konflikte sehr oft laufen. Zum Start der Ampel klingt das noch anders. "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch", sagt er damals. Für jedermann sichtbar eingelöst hat er dieses Versprechen bislang nur im Streit um die Laufzeit für Atomkraftwerke. Allerdings hat er auch dort lange eine Zuschauerrolle eingenommen, bevor er von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hat.
Besonders wenig Vertrauen im Osten
Scholz weiß, dass ihm seine Koalitionspartner eine Basta-Mentalität á la Gerhard Schröder nicht lange durchgehen lassen würden. Zudem profitiert er auch, wenn sich der Fokus auch auf andere Akteure in seiner Regierung konzentriert. So geht das Debakel um die Gasumlage nicht mit ihm, sondern mit Wirtschaftsminister Habeck nach Hause. Beim Thema Corona steht nicht er in der Kritik, sondern Gesundheitsminister Lauterbach.
Doch ist es nicht immer Taktik, die Scholz leitet. Oft scheint sich der Kanzler auch Zeit lassen zu wollen, um sich eine Meinung zu bilden. Dann aber wird ihm sein Zögern auch schnell als Zaudern ausgelegt. Dadurch hat er etwa bei seiner Ukraine-Politik zwischenzeitlich sogar die Deutungshoheit verloren. Manch öffentliche Auftritte lassen ihn zudem dünnhäutig oder arrogant erscheinen.
Dabei hat die Ampel nach einem Jahr auch Erfolge vorzuweisen. Ihre Arbeitsweise führt aber nicht zu Vertrauen in der Bevölkerung. Das zeigt sich in aktuellen Umfragen. So sagt beim Meinungsbarometer MDRfragt jeder Zweite, dass er der Bundesregierung nicht vertraut, wenn es um die Energiekrise, die Inflation oder den Ukraine-Russland-Konflikt geht. Vernichtend ist das Urteil der Befragungsteilnehmer im Hinblick auf die Wahrnehmung von Ostbelangen. 81 Prozent der Befragten meinen, dass sich die Bundesregierung nicht ausreichend um die Belange der Menschen in Ostdeutschland kümmert.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 05. Dezember 2022 | 13:36 Uhr