Koalitionsstreit und Haushaltsverhandlungen Analyse: Ein bunter Strauß Probleme

01. März 2023, 09:51 Uhr

Ob Kindergrundsicherung, Autobahnausbau, Verteidigungsausgaben, Wohngeld oder Energiepolitik – die Koalitionspartner der Ampel sind sich dieser Tage scheinbar nur in einer Sache einig: dass sie sich nicht einig sind. Die Haushaltsverhandlungen für den Bundesetat 2024 sorgen für Blockadehaltungen. Die Ministerien würden gerne insgesamt 70 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Woher das Geld kommen soll, ist nicht ganz geklärt. Die FDP lehnt neue Schulden und Steuererhöhungen ab.

Torben Lehning
Bildrechte: MDR/Tanja Schnitzler

Eisig sind die Temperaturen im Berliner Regierungsviertel: Nicht nur das Wetter scheint sich zum Monatsende am Gefrierpunkt festgeeist zu haben, auch die Stimmung in der Regierungskoalition ist äußerst frostig.

Die selbsternannte Fortschrittskoalition kommt gerade offenbar in wesentlichen Politikfeldern keinen Meter vorwärts. Statt Formulierungsvorschläge für Problemlösungen, ertönen aus den Parteizentralen von SPD, Grünen und FDP fast täglich neue Forderungen, was es künftig noch alles zu finanzieren gelte. Die Vorschläge der jeweils anderen Koalitionspartner werden dabei gerne als nicht umsetzbar abgetan.

Maximal-Forderungen für Etat-Eckpunkte bis Mitte März

Woran liegt das? Der Frühling steht an und somit auch der Beschluss von Eckpunkten für den Bundeshaushalt 2024. Bis Mitte März wollen die Koalitionäre sich geeinigt haben. Das lässt die parteipolitischen Forderungen nach Mehrausgaben, wie Frühblüher aus dem Boden sprießen – Kälte hin oder her.

Was ausgegeben werden kann und was nicht, entscheidet sich also genau jetzt. Wer in diesen Wochen nicht das Maximum für die eigenen politischen Vorhaben rausholt, wird auch in den kommenden Verhandlungsrunden das Nachsehen haben.

Vorwahljahr – kein Haushalt wie jeder andere

Bereits jetzt steht fest: Der Haushalt 2024 ist den Ampelpartnern besonders wichtig, steht mit 2024 doch ein Vorwahljahr an. Hier gedenken die Parteien all das umzusetzen, womit sie im Folgejahr auf Stimmenfang gehen könnten.

Die Startbedingungen sind dabei denkbar ungünstig. Mit Sondervermögen, also Milliardenschweren Sonderschulden, haben sich schwarz-rot und rot-grün-gelb durch die Pandemie, Ukrainekrieg und Energiekrise gehangelt. Damit soll 2024 Schluss sein. Die Stützungsmaßnahmen für Energiekosten sollen dann auslaufen, mit weiteren Pandemiekosten rechnet niemand mehr. Außerdem will Bundesfinanzminister Lindner, wie bereits 2023, die Schuldenbremse einhalten. Das muss er auch – so steht es schließlich im Grundgesetz.

Lindner: Zinsausgaben auf 40 Milliarden Euro erhöht

Darüber hinaus weist Lindner darauf hin, dass die deutschen Zinsausgaben von vier Milliarden Euro 2021 auf mittlerweile 40 Milliarden gestiegen seien. Die Leitzinserhöhung der EZB macht es möglich.  Das sei Geld, das an anderer Stelle fehle, so Lindner.

Wünsch dir was: 70 Milliarden Euro Mehrausgaben

Demgegenüber stehen jetzt die konkurrierenden politischen Forderungen der Koalitionspartner. Die SPD pocht auf die Umsetzung des Wohngeldes und fordert in Person des Verteidigungsministers weitere 10 Milliarden Euro für die Bundeswehr, um die Munitionsbestände des Heeres aufzufüllen.

Die Grünen bestehen auf die finanzielle Ausstattung der Kindergrundsicherung, einem Gesetzesvorhaben, das die staatlichen Leistungen für Kinder bündeln und Kinderarmut bekämpfen soll. Außerdem fordern die Grünen mehr Geld für Krisenprävention und humanitäre Hilfe.

Grüne und SPD rufen dazu noch nach einer Reform der Pflegeversicherung, die FDP sieht bei den Vorschlägen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch "erheblichen Nachbesserungsbedarf".

Die FDP fordert hingegen Steuerentlastungen für die Wirtschaft, eine Aufstockung der von ihr geforderten Aktienrente und den Ausbau von Autobahnen.

Dazu gesellen sich schließlich auch noch die Protestnoten von Kommunen und Ländern, die Bundeshilfen für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen einfordern.

Zusammengerechnet summieren sich die gewünschten Ausgabeposten auf insgesamt 70 Milliarden Euro, die die Bundesregierung wohlgemerkt nicht hat. Hilft also nur umschichten, verschulden oder Einnahmen erhöhen.

Der Kampf um die Deutungshoheit

Im Koalitionsvertrag von 2021 wurde vieles niedergeschrieben, aber nicht, welche Projekte wichtiger sind als andere. Auch die Antwort auf die Frage, wo das Geld für die Umsetzung der Pläne herkommen soll, lässt sich im Ehevertrag der Ampel nicht finden. Die Exegese des 177 Seiten langen Schriftstücks gleicht also einer Rangelei um die Deutungshoheit.

FDP: Soziale Projekte zurückstellen

Für den parlamentarischen Geschäftsführer der FDP, Torsten Herbst, steht fest, dass die aufgrund von Inflation und Beschäftigung gestiegenen Steuereinnahmen, nicht noch weiter steigen dürften. Um für 2024 einen soliden Haushalt auf die Beine zu stellen, brauche es zunächst erst mal den Rotstift, so Herbst.

In Wirklichkeit haben wir kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem und da muss dann jedes Ministerium für sich auch mal entscheiden, was ist prioritär und was kann man zurückstellen.

Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, Torsten Herbst

Der sächsische FDP-Politiker will lieber "die eine oder andere wünschenswerte Sozialleistung" zurückstellen. Für ihn müsse es jetzt um die Sicherung des zukünftigen Wohlstands gehen, so Herbst, also Investitionen in Infrastrukturprojekte, Forschung und Bildung. Den Überlegungen aus den Fraktionen von SPD und Grünen, wonach die bereits bestehenden Sonderfonds, nach ihrem Auslaufen umgewidmet werden könnten, um die Regierungsprojekte zu verwirklichen, erteilt Herbst eine Absage. Die Sonderfonds seien kein Selbstbedienungsladen, eine Umwidmung sei nicht verfassungskonform.

Von der Oppositionsbank hallt der Ruf, wer Streichungen im Haushalt einfordere, solle auch auf seine eigenen Pläne schauen. Die FDP-Aktienrente in Höhe von 10 Milliarden Euro sei so schlichtweg nicht finanzierbar, meint Antje Tillmann, finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion.

Sozialpolitik nicht infrage stellen

Dass die Zeitenwende jetzt die rot-grün-gelbe Sozialpolitik infrage stellen könnte, wollen weder SPD noch Grüne gelten lassen. Die Grünen wollen sich von ihrer Kindergrundsicherung ganz und gar nicht trennen, die SPD nicht vom Wohngeld, beide fordern Geld für eine Pflegeversicherungsreform. So, wie ihre Regierungspartner, verweisen auch die Grünen auf den Inhalt des Koalitionsvertrages.

Kinder aus der Armut zu holen, gebe es nicht zum Nulltarif, erklärt Familienministerin Lisa Paus. Ministerkollege Boris Pistorius beeilt sich, die Sorgen in der eigenen Fraktion zu besänftigen und erklärt, dass seine Forderung nach zehn weiteren Milliarden Euro für die Bundeswehr nicht zulasten sozialpolitischer Projekte gehen dürfe.

Olaf Scholz bekräftigt kürzlich, dass auch er an der Schuldenbremse festhalten wolle. Die Kanzlerpartei hingegen scheint sich von der Vorstellung noch nicht ganz verabschieden zu wollen. So fordert Parteichefin Saskia Esken eine Vermögensabgabe und ein Sondervermögen für Bildung.

Piechotta: Subventionen prüfen und Finanzkriminalität bekämpfen

Für die sächsische Grünen-Politikerin Paula Piechotta zeichnen sich auch andere Mittel und Wege ab, die man nutzen könne, um Haushaltslöcher zu stopfen. Als Beispiele nennt sie die "Milliardenausgaben für umweltschädliche Subventionen" sowie die "Finanzkriminalität".

Wir können 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen generieren, wenn wir endlich der ganzen Steuerhinterziehung in Deutschland Herr werden.

Paula Piechotta, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, Bundestagsabgeordnete Sachsen

Diese ungehobenen Potentiale könnten dem Bundeshaushalt tatsächlich weiteren Spielraum verschaffen. Aller Wahrscheinlichkeit nach, würde das Geld aber 2024 noch nicht zur Verfügung stehen, wenn sich die Bundesregierung jetzt der Finanzkriminalität widmet.

Schiedsspruch erwartet

Niemand bei Grünen, SPD oder FDP geht von einer schnellen Klärung des Haushaltsstreits aus. Das macht sich auch auf der Tagesordnung des Parlaments bemerkbar. Relevante Debatten in der Bundestagswoche: nahezu Fehlanzeige. Vielmehr äußern die Abgeordneten unter hervorgehaltener Hand ihren Unmut, über die Blockadehaltung der jeweils anderen und den Entscheidungsstau auf der Führungsebene.

Dass die anstehende Kabinettsklausur in Meseberg Anfang März schon echte Ergebnisse bringt, hoffen alle – nur glauben die wenigsten auch daran. Wirkt es doch gerade eher so als würde jede politische Forderung aus dem einen Lager, drei weitere aus dem anderen provozieren.

Kanzler Scholz muss sich jetzt als Kompromisseschmied beweisen und seinen Koalitionspartnern kleine Punktsiege ins Schaufenster stellen. Ohne Aktienrente für die eine und Kindergrundsicherung für die andere Seite, werden sich weder FDP noch Grüne abspeisen lassen.

Schon jetzt ist absehbar, dass manch anderes Projekt der Schuldenbremse zum Opfer fallen wird. Und so verhält es sich mit politischen Plänen in der frühen Phase der Haushaltsverhandlungen, ähnlich wie mit den Frühblühern bei Minusgraden: Nicht alle werden aufgehen.

MDR AKTUELL

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 01. März 2023 | 05:00 Uhr

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