AfD AfD-Umfrage-Hoch: "Das sollte man sehr, sehr ernst nehmen"
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15. Juni 2023, 17:30 Uhr
Die AfD könnte bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen die stärkste Kraft werden. Das sei nicht nur ein kurzfristiges Hoch, sondern das Ergebnis einer längeren Entwicklung, sagt der Experte für Rechtsextremismus, David Begrich, und warnt: Das würde eine Erschütterung der demokratischen Kultur in den ostdeutschen Bundesländern auslösen – und nicht nur dort.
Frage: Laut "ARD-Deutschlandtrend" würde die AfD auf rund 18 Prozent kommen, wenn jetzt Bundestagswahl wäre – gleichauf mit der SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz. Wie ernst muss man diese Umfrage nehmen?
David Begrich: "Diese Umfragen sind ein Wetterleuchten. Ein Wetterleuchten, das die demokratische Kultur, die demokratischen Parteien, die Zivilgesellschaft sehr, sehr ernst nehmen soll. Weil nach einem Wetterleuchten kann durchaus ein weltpolitisches Gewitter niedergehen."
Das ist eine steile These – wie kommen Sie dazu?
"Ich glaube, es lohnt die AfD noch mal genauer anzuschauen. Die Partei ist 2013 als eine eurokritische Professorenpartei gestartet, die ein ganz bestimmtes Politikfeld besetzt hat. Es ist aufschlussreich, dass von der AfD-Gründergeneration kaum noch jemand übrig ist. Es hat innerhalb der Partei eine tektonische Platten-Verschiebung gegeben – von der man heute eigentlich sagen muss: Die Partei ist offen rechtsextrem."
Doch was macht diese Partei gerade jetzt so erfolgreich und was hat dieses Thema mit der Weltpolitik zu tun?
"Das Schlüsselthema der extremen Rechten – nicht nur in Deutschland, sondern in Europa – ist wieder da. Das ist das Thema Migration. Mit diesem Thema ist die extreme Rechte seit 30 Jahren europaweit erfolgreich. Das ist jetzt auch bei der AfD der Fall. Da gibt es so etwas wie einen Zusammenhang und die AfD wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie das nicht aufgreifen würde."
Aber ist es dann, wie bereits in der jüngeren Vergangenheit seit Gründung der Partei, ein vorübergehender Aufschwung?
"Also wir haben 2015 und 2016 einen Aufschwung der AfD gesehen und dann noch mal 2018. Da war sie in Ostdeutschland in den Umfragen schon mal so hoch wie jetzt. Das heißt, wir haben es mit einer Konjunktur-Situation zu tun, die nicht auf kurzfristige Effekte in den Wahlumfragen zurückzuführen ist."
Zur Person David Begrich ist Rechtsextremismusforscher und Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. in Magdeburg. Der Verein setzt sich für eine offene, plurale und demokratische Gesellschaft ein.
Sondern?
"Wir haben in breiten Teilen der Bevölkerung ein Gefühl von Verunsicherung und auch so etwas wie eine Art gesellschaftspolitisches Krisen-Bewusstsein. Wir haben den Ukraine-Krieg, wir haben Corona hinter uns, wir haben die Inflation. Das geht den Menschen inzwischen wirklich an die Substanz. Und jetzt kommt die AfD und sagt: Wir müssen nur diese drei Dinge tun, dann ist die Welt wieder so wie vorher. Wer wünscht sich nicht in eine Situation zurück, in der alles in einem gewissen Gleichmaß ist?"
Aber wählt man dafür eine in Teilen sogar rechtsextreme Partei?
"In der AfD gibt es in Ostdeutschland eine relativ gefestigte Stammwählerschaft. Die wählen diese Partei aus Überzeugung. Die würde ich so zwischen sieben und bis zu 18 Prozent taxieren. Darüber hinaus gibt es eine Wählerschaft, die in den Wahlumfragen sagt, sie wählen diese Partei aus Protest, aus Unzufriedenheit oder aus Frustration gegenüber den anderen Parteien."
Die AfD hat als Protestpartei auch immer wieder viele Nichtwähler mobilisieren können. Nun sitzt sie bereits in der zweiten Legislaturperiode im Bundestag. Wandelt sie sich nun zur Programmpartei?
"Die AfD ist beides. Sie ist für ihre Kernwählerschaft natürlich eine Programmpartei. Aber sie wird ja nicht für ihr gesamtes Programm gewählt. Also die AfD hat, wenn man so will, programmatische Stärken und sie hat programmatische Schwächen."
Was sind die Stärken?
"An allererster Stelle ist es das Thema Migration und dann kommen vielleicht noch Themen wie Familienpolitik und Nation dazu. Aber sie ist eine Oppositionspartei und sie muss keine haushaltspolitischen Entscheidungen treffen und durchhalten."
Doch was passiert, wenn die Umfragen Realität werden – im kommenden Jahr sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Die AfD könnte stärkste Kraft werden…
"Ich glaube, dass wir dann eine gesellschaftliche Situation hätten, die sich niemand wünschen kann: Wenn alle anderen demokratischen Parteien vor der Herausforderung stehen, gemeinsam Regierungen zu bilden, auch wenn das von ihrem politischen Agenda-Setting eigentlich nicht zusammenpasst. Niemand wünscht sich eine Situation, in der CDU und Linke miteinander koalieren müssten."
Das wird eine Erschütterung der demokratischen Kultur in den ostdeutschen Bundesländern auslösen.
Das wäre für beide Seiten nicht gut?
"Wenn wir einen gesellschaftlichen, rechten Block haben – repräsentiert durch die AfD – der sagen wir mal zwischen 28 und 32 Prozent liegt. Da werden sie im Moment bei Umfragen taxiert. Dann wird das tatsächlich eine Erschütterung der demokratischen Kultur in den ostdeutschen Bundesländern auslösen."
Das ist aber keine kurzfristige Entwicklung?
"Wir haben es mit einem langfristigen Effekt der Etablierung einer rechten Partei in Deutschland zu tun. Diesen Prozess, den haben wir in allen anderen europäischen Staaten auch gesehen. Denken Sie mal an den Aufstieg des "Front National" in den Achtziger Jahren in Frankreich. Es war ein ähnlicher Prozess. Denken Sie an die Schwedendemokraten. Das heißt, wir haben es mit einer Situation zu tun, in der in den modernen, liberalen, westlichen Demokratien ein Formierungsprozess einer extremen Rechten stattfindet. Das ist nicht auf Deutschland beschränkt."
Wie ordnen Sie das ein?
"Es stellt für die Stabilität der liberalen Demokratien und für ihre politische Handlungsfähigkeit durchaus eine Gefahr dar."
Was können die anderen Parteien tun?
"Also wir wissen aus der Parteienforschung und der Politikwissenschaft, dass alle Versuche, so etwas wie ein politisches Kopier-Verfahren anzuwenden, nicht von Erfolg gekrönt ist – weder in Frankreich noch in Österreich oder in der Vergangenheit. Es käme darauf an, eigene Akzente zu setzen."
Die Frage ist: Welche Antwort finden die anderen Parteien darauf, ohne sich auf das Niveau der AfD zu begeben?
Doch die müssen ja auch bei Bürgern ankommen und das schafft die AfD ja sehr gut, ihre Akzente zu setzen.
"Also man muss sich mal angucken, wie die AfD ihre politische Kommunikation führt. Ein kurzes Beispiel sind ihre Landtagsreden. Diese Reden sind nicht an das Plenum adressiert, sondern diese Reden sind an die Zuschauer bei Facebook und Instagram adressiert und so sind sie auch gehalten."
Was meinen Sie damit?
"Da sind Reiz- und Schlüsselwörter untergebracht – kurze, knackige Begriffe. Und mit Begriffen macht man Politik. Wer die Begriffe besetzt, besetzt die Politik. Und dies macht die AfD sehr erfolgreich."
Das hat mit Inhalten nichts zu tun?
"Die AfD beherzigt die drei Grundgesetze des Populismus: Emotionalisieren, personalisieren und Komplexität zurückfahren. Und es ist die Frage: Welche Antwort finden die anderen Parteien darauf, ohne sich auf das Niveau der AfD zu begeben?"
Quelle: mpö
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 14. Juni 2023 | 20:15 Uhr