Social Media Zielgruppe Kinder: Mit rechtsextremen Inhalten auf TikTok
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17. Mai 2023, 05:00 Uhr
Lieder mitsingen, lustige Emojis posten und über Schokocreme reden: Rechtsextreme Inhalte sind auf TikTok manchmal nur schwer zu erkennen. Wer einmal auf diese Videos stößt, könnte in eine Blase rutschen. Auf der Plattform sind vor allem junge Menschen und genau die wollen die Extremisten erreichen.
In dem TikTok-Video glitzert ein silberner Ring an der Nase der jungen Frau. Links und rechts davon zieren zwei weitere Piercings ihre Wangen, genau dort, wo manche Menschen Grübchen haben. Sie lächelt. Die blonden Haare fallen an einem Hals-Tattoo vorbei bis ans großzügige Dekolletee der weißen Bluse. Die Lippen synchronisieren den Song, der im Hintergrund des Videos läuft. Eine raue und tiefe Männerstimme singt: "Du bist auf dem richtigen Wege, mein Kind…"
Es ist ein Lied von "Stahlgewitter". Die Band gehört zu den populärsten Vertretern im Rechtsrock und spielte etwa 2017 in Themar vor knapp 6.000 Neonazis. Von Stahlgewitter stehen mehrere Alben auf dem Index. Sänger Daniel Giese wurde 2012 wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er mit der Band "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" die Morde des NSU bejubelte. Diese Band wird in dem beschriebenen Video scheinbar harmlos auf einer Plattform beworben, die vor allem bei jungen Menschen bis hin zu Minderjährigen beliebt ist. Die unter 25-Jährigen sind die größte Gruppe unter den Millionen monatlichen Nutzern.
Eine Reporterin von MDR Investigativ ist mit ihrer Recherche tief in die dunklen Ecken der TikTok-Welt abgetaucht – und hat dafür mit einem extra eingerichteten Account nur Videos mit rechtsextremen Gedankengut angeschaut und geliked. Auf ihrer persönlichen Startseite spielt der Algorithmus seitdem eine Mischung aus Hitler-Videos, eindeutigen Symbolen oder Demonstrationen der rechtsextremen "Freien Sachsen". Bei anderen Videos ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, worum es eigentlich geht, etwa den Videos, in denen meist Frauen zu Rocksongs die Lippen bewegen – also Lipsyncen.
Rechtsextreme Inhalte auf kindgerechte Art
"Problematisch ist auf alle Fälle, dass jetzt erst mal von der Account-Inhaberin nicht klar ist, aus welcher Ecke sie kommt", erklärt der Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt, Daniel Hajok. Er bezieht sich auf das Video mit der jungen blonden Frau und dem Lied von Stahlgewitter. In solchen Posts werde ganz nebenbei und auf kind- sowie jugendaffine Weise Musik aus dem rechten Spektrum beworben. Hajok beschäftigt sich seit Jahren mit Jugendschutz im Internet.
"TikTok ist in dem Fall nur eine Erstkontakt-Plattform. Also, wo es überhaupt erst einmal darum geht, auf sich aufmerksam zu machen", erklärt der Experte. "Die eigentliche Radikalisierung und so weiter findet dann eher in geschlossenen Gruppen, bei Telegram und Co statt." Erste Kontakte sollen etwa durch Menschen aufgebaut werden, die weder vom Aussehen noch vom Auftreten an das klassische Bild aus der rechten Ecke erinnern.
Die eigentliche Radikalisierung und so weiter findet dann eher in geschlossenen Gruppen, bei Telegram und Co statt.
So werden etwa Zahlencodes wie 18 (in rechten Kreisen ein Synonym für Adolf Hitler) oder 88 (steht für "Heil Hitler") in den Hashtags rund um die Videos nur selten und dann auch nur von kleineren Accounts verwendet. Es läuft meist subtiler, etwa durch verwendete Emojis. So haben die Recherchen gezeigt, dass häufiger drei Herzen in den Farben schwarz, weiß und rot benutzt werden – offenbar eine Chiffre für die Reichsflagge. Oder zwei Blitze, die als Synonym für die SS im Nazi-Regime gelten sollen. Das Emoji, das für die meisten Menschen einfach winkt, kann in Nazi-Kreisen auch für den Hitlergruß stehen.
Altbekannte Nazis reden über Butter mit Nutella
Die Band Stahlgewitter ist selbst offenbar nicht auf TikTok. Aber dort sind auch altbekannte Neonazis unterwegs – etwa Tommy Frenck, ein Ex-NPD-Kader. Aktuell ist er Kreistagsabgeordneter im Landkreis Hildburghausen für ein rechtsextremes Bündnis. Er betreibt in Thüringen ein Gasthaus, in dem er etwa ein sogenanntes Reichsbräu anbietet und außerdem verkauft Frenck in einem Shop T-Shirts und andere Sachen mit Nazi-Symbolen.
Auf TikTok ist in seinen Videos von seiner Gesinnung wenig zu sehen – in einem Video ist am unteren Rand auf seinem schwarzen T-Shirt ein kleiner Reichsadler auf einem Eisernen Kreuz zu sehen, während Frenck sagt: "Bei Nutella, da scheiden sich ja die Geister. Aber generell bin ich der Meinung, dass alles mit Butter besser schmeckt." Auf der Plattform inszeniert er sich als Autor, Koch und Unternehmer.
Doch Frenck weiß offenbar auch, was er auf TikTok zeigen und sagen darf. Auf die Frage, welche Musik in seinem Gasthaus gespielt werde, antwortete er: "Die ist leider nicht ganz TikTok- oder Instagram-tauglich. Deswegen kann ich auch keine Bandnamen oder Liedtexte nennen. Aber lasst euch überraschen, kommt vorbei und hört gute Musik."
Frenck versucht, durch seine Videos immer wieder auf andere Plattformen wie seinen Onlineshop zu verweisen. Dort verkauft er unter anderem T-Shirts mit einschlägigen Symbolen und Slogans der Szene. Andere Rechtsextremisten scheinen vor allem zu YouTube oder Telegram zu verlinken, wie die Recherchen von MDR Investigativ ergeben haben.
Verfassungsschutz warnt vor extremistischen Inhalten
Mit Rechtsextremismus auf TikTok beschäftigt sich auch der Thüringer Verfassungsschutz. Der stellte fest, dass die Anteile der Inhalte aus diesem Spektrum zuletzt wuchsen. Außerdem sorge der Algorithmus dafür, dass rechtsextreme Blasen entstehen können. Im Bericht des Thüringer Verfassungsschutzes steht: "In solchen Blasen mit überwiegend Gleichgesinnten bleibt die Meinungsbildung eingeschränkt und kann zu einer Radikalisierung führen, ohne dass rechtsextremistische Akteure einen gesonderten Aufwand betreiben müssten."
Auf die Frage von MDR Investigativ, warum der Verweis auf andere Plattformen problematisch sei, antwortete der Bundesverfassungsschutz, dass sich auf weniger regulierten Plattformen oft explizitere extremistische Inhalte finden: "Die dadurch entstehende Gefahr eines Szeneeinstiegs von vormals nicht extremistischen Personen wird auch dadurch befördert, dass sich TikTok einer großen Beliebtheit unter Minderjährigen erfreut. Werden hier extremistische Inhalte verbreitet, besteht daher eine besonders große Gefahr, dass insbesondere Menschen in einem vulnerablen Alter ungefiltert mit ideologischen Inhalten in Kontakt kommen."
Was sagt TikTok?
MDR Investigativ hat auch versucht, mit den Betreibern von Accounts, die Rechtsrock promoten, Kontakt aufzunehmen. Doch immer wieder wurden diese gesperrt oder diese wollten nicht antworten – nur einer war anonym bereit: "Mein Profil wurde 40 Mal gesperrt, weil TikTok das nicht ordentlich prüft", behauptet die Person. Dessen Profil sei nicht als einziges betroffen, heißt es im Chat weiter: "Das geht allen so, die Rechtsrock machen."
Offenbar werden auffällige Inhalte von TikTok gelöscht. Die Recherche hat ergeben, dass über den Suchbegriff #88 nichts ausgespielt wird. Bei "#Nazi" wird man auf eine Seite weitergeleitet, die über den Holocaust informiert. Wie geht also TikTok insgesamt mit rechtsextremen Inhalten um?
Schriftlich antwortet TikTok: "Es gibt keinen Platz für gewaltbereiten Extremismus auf TikTok, und wir arbeiten intensiv daran, Inhalte zu entfernen, die das unterhaltsame Erlebnis untergraben, das die Menschen auf unserer Plattform erwarten." Fest steht, dass TikTok offenbar einiges versucht, um rechtsextreme Inhalte von den Kindern fernzuhalten. Die Frage, die bleibt, ist: Reicht das aus?
Strategien gegen Extremisten
Auf TikTok gibt es auch Creator, die versuchen, rechtsextremen Entwicklungen auf der Plattform etwas entgegenzusetzen. Die Amadeu Antonio Stiftung betreibt einen Account mit über 12.000 Followern und klärt über Narrative etwa von Neonazis auf. Theresa Lehmann und Eva Kappl gehören zum Social Media-Team der Stiftung und haben auf TikTok beobachtet, dass rechtsextreme Frauen sich oft harmlos präsentieren und vor allem Jüngere ansprechen. Männer seien dagegen viel direkter und versuchten zu mobilisieren.
"Wir machen uns da nichts vor: Wenn Menschen erst mal in dem Weltbild auch drin sind, dann werden wir das wahrscheinlich auch erst mal nicht mit Hilfe von einem Video ändern können", sagt Theresa Lehmann über ihre Arbeit. Um aus der rechtsextremen Szene auszusteigen, reiche ein digitales Angebot alleine auch nicht aus. Dafür brauche es persönliche Beziehungen und den Willen der betroffenen Person. Gleichzeitig hoffen sie, Menschen zu erreichen, die noch kein gefestigtes Weltbild haben.
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Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 15. Mai 2023 | 17:00 Uhr