Nachhaltiges Sterben Der Streit um die "Reerdigung" – sollten wir uns nach dem Tod kompostieren lassen?
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27. März 2024, 10:11 Uhr
In Deutschland gibt es für den Todesfall lang nur zwei Optionen: Erd- oder Feuerbestattung. Seit 2022 bietet nun ein Berliner Start-up eine dritte: Kompostierung. Aktuell geht das nur in Schleswig-Holstein im Pilotversuch. Doch selbst der stößt auf Kritik – beim Bundesverband deutscher Bestatter und dem Rechtsmediziner Klaus Püschel und um so mehr noch nach der Veröffentlichung einer Pilot-Studie der Universität Leipzig.
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Das deutsche Bestattungswesen ist in Aufruhr. Grund ist das Berliner Start-up, "Meine Erde", dessen Gründer 2022 mit dem Ziel, Verstorbene auf nachhaltige Art und Weise unter die Erde zu bringen, in das Geschäft mit dem Tod eingestiegen sind.
Nachhaltigkeitstrend jetzt also auch beim Sterben? Tatsächlich wollen immer mehr Krematorien versuchen, klimaneutral zu arbeiten. Nicht ohne Grund: Deutsche Krematorien stoßen jährlich etwa 100.000 bis 250.000 Tonnen CO2 aus, erklärte Dominikus Bücker, Leiter des Instituts für nachhaltige Energieversorgung an der TU Rosenheim in der "Welt". Das entspricht etwa dem jährlichen Ausstoß von 27.000 Menschen in Deutschland.
Und die Kremation ist derzeit die verbreitetste Bestattungsform. Das hat eine Umfrage der RAL Gütegemeinschaft Feuerbestattungsanlagen e.V. ergeben. 2022 wurden demnach etwa 78 Prozent der Verstorbenen eingeäschert. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen waren es über 90 Prozent.
"Reerdigung" – was ist das?
Doch "Meine Erde" könnte den Nachhaltigkeitsbemühungen der Krematoriumsbranche Konkurrenz machen – mit Humankompostierung. "Reerdigung" haben Pablo Metz und Max Hüsch, die Gründer, ihr Verfahren genannt. Dabei wird der Leichnam in einem Behälter ("Kokon") aus recyceltem Plastik oder Edelstahl auf Klee, Lupine und Stroh gebettet, der Grünschnitt wird befeuchtet und der Behälter anschließend für 40 Tage verschlossen.
Wenn der Behälter dann wieder geöffnet wird, ist von dem Menschen nur noch Erde geblieben – und das Skelett. Die körpereigenen Bakterien haben den Leichnam zersetzt – mit einem Ergebnis, das sonst nach 20 bis 50 Jahren unter der Erde zu erwarten wäre, schreiben die Wissenschaftler des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Leipzig, die das Verfahren wissenschaftlich begleiten.
Erde und Knochen werden dann in einer Hammermühle gemahlen und können anschließend in einem abbaubaren Leinentuch bestattet werden. Der Behälter, in dem der Leichnam zersetzt wurde, wird gereinigt und wiederverwendet. So erklärt es Studienleiter Marcus Schwarz.
Schwarz und seine Kollegen haben die Überreste aus zwei Reerdigungen untersucht, bei denen die Verstorbenen vor ihrem Tod einer solchen Untersuchung zugestimmt hatten. Das Ergebnis der im Januar veröffentlichten Pilotstudie fasst er mit den kurzen Worten "Es funktioniert" zusammen. So weit, so gut. Oder nicht?
Kritik vom Bund deutscher Bestatter: Intransparenz und mangelnde Unabhängigkeit
Vehemente Kritik kommt vom Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB), insbesondere in Bezug auf die Transparenz des Verfahrens. "Uns ist wichtig, dass für unsere Mitgliedsunternehmen und vor allem für die Kunden Klarheit hergestellt wird", sagt Stephan Neuser, Generalsekretär des Verbandes, MDR AKTUELL. Denn erst wenn die komplette Prozesskette transparent und verständlich dargestellt sei, könne man sagen, ob die Würde der Verstorbenen bei der "Reerdigung" gewahrt werde.
Pablo Metz vom "Meine Erde" sagte dazu, man gebe sich die größte Mühe, transparent und umfassend zu informieren. "Deswegen sprechen wir mit jedem. Wir haben Tage der offenen Tür. Wir laden Bestatterinnen und Bestatter ein, die bei der Öffnung des Kokons dabei waren, die Reerdigungen begleitet haben." Dazu zählten auch Mitglieder des BDB.
Und nun gibt es die Leipziger Pilotstudie. Doch die ist nach Auffassung des BDB unzureichend. Zu wenige Proben seien untersucht worden, der Zersetzungsprozess nicht genau genug erklärt. Und einen weiteren, schwerwiegenden, Kritikpunkt bringt Stephan Neuser vor: "Das ist keine unabhängige Studie – die ist von 'Meine Erde' beauftragt und finanziert worden."
Neuser deutet mit dieser Kritik die Möglichkeit an, dass das Start-up inhaltlich Einfluss auf den Forschungsprozess genommen haben könnte. Ein Vorwurf, den Studienleiter Marcus Schwarz weit von sich weist. "Wir haben einen ganz normalen Kooperationsvertrag mit dem Unternehmen. Das heißt, die geben uns Material, das wir für sie prüfen." Das geschehe im eigenen "Setting", unabhängig von der Meinung des Unternehmens. "Unsere Wissenschaftler sind dadurch, dass wir hier an ein universitäres Institut gekoppelt sind, unparteiisch. Das heißt, jedes Ergebnis kann von uns kommuniziert und publiziert werden." Das sei auch im Kooperationsvertrag so festgeschrieben.
Schwarz erklärt auch – in seiner Studie und im Interview mit MDR AKTUELL – dass man bisher nur zwei Proben untersuchen konnte, sei natürlich eine Limitation. Doch bei den 14 anderen Reerdigungen, die es bisher gegeben habe, sei eben keine Einwilligung von den Verstorbenen oder ihren Angehörigen für eine entsprechende Analyse gegeben worden. Um die Datengrundlage auszubauen, seien jedoch weitere Untersuchungen geplant. "Unser Ziel ist, im nächsten Durchgang rund 100 Proben zu prüfen."
Humankompostierung: Ist die entstandene Erde sicher?
Dem BDB reicht das nicht. Man fühlt sich nicht genügend einbezogen, kritisiert, dass führende Experten auf dem Gebiet nicht an der wissenschaftlichen Begleitung beteiligt würden. Dabei ist unter anderem die Rede von Klaus Püschel. Der Hamburger Rechtsmediziner hat sich von Beginn an kritisch zur "Reerdigung" geäußert.
Nach Veröffentlichung der Leipziger Pilotstudie erschien ein Interview mit Püschel im Magazin des Bundesverbands deutscher Bestatter. Dort sagt er, seine kritische Position habe sich durch die Studie eher bestätigt. Seine Kritik spiegelt die des BDB. So kritisiert auch er die geringe Probenanzahl und die Beauftragung durch "Meine Erde".
Unsere Wissenschaftler sind dadurch, dass wir hier an ein universitäres Institut gekoppelt sind, unparteiisch. Jedes Ergebnis kann von uns kommuniziert und publiziert werden.
Püschel äußert darüber hinaus Sicherheitsbedenken in Bezug auf die zurückbleibende Erde. Es geht darum, dass in der Erde, die bei der Humankompostierung entsteht, Krankheitserreger zurückbleiben könnten. Eine Befürchtung, die er und andere Forscher bereits 2022 in einer Publikation ansprachen. Püschel kritisiert, dass Schwarz und sein Team dazu keine Untersuchungen angestellt hätten.
Und tatsächlich steht in der Studie lediglich: "Durch die zwischenzeitlichen Temperaturen bis 70 °C findet eine Hygienisierung des Materials statt." Schwarz zufolge reicht das – er beruft sich auf den "gesunden Menschenverstand": "Natürlich vermehren sich die Bakterien, die wir in uns haben und die auf den Pflanzen sind, dabei massenweise – da sind aber keine Humanpathogene dabei. Das heißt, man sollte die Erde jetzt nicht mit einem frischen Schnitt an der Hand anfassen oder essen – sollte man bei Erde im Wald aber auch nicht."
Und Verstorbene, die etwa Covid oder Grippe hatten? "Diese Viren sind an den lebenden Menschen gekoppelt", erklärt Schwarz. Daher schützten die hohen Temperaturen unter denen die Kompostierung stattfinde und der 40-Tage-Zeitraum ausreichend vor einer Ansteckung über die entstandene Erde.
Ein ganz klares Ausschlusskriterium für die Reerdigung seien dagegen hochansteckende infektiöse Krankheiten wie Ebola, Marburg-Virus oder Krim-Kongo-Virus. "Aber das sind keine alltäglichen Krankheiten. Und wenn solche Fälle auftreten, verfügt das Gesundheitsamt, dass die Leichen kremiert werden", sagt Schwarz.
Ethische Bedenken: Wird die Totenruhe gestört?
Bleibt noch die Frage der Totenruhe. Püschel vermutet im Interview mit dem BDB, dass die sterblichen Überreste im Kokon "irgendwie durchwühlt oder durchgerüttelt" werden müssten. "Mit diesen Abläufen assoziiere ich alles andere als 'Ruhe in Frieden'", schreibt der Rechtsmediziner. Außerdem müssten Tote mitunter weit transportiert werden, da das Verfahren aktuell nur in Schleswig-Holstein und Hamburg angewandt werden dürfe. Püschel nennt das "Leichentourismus".
Doch auch darauf hat Marcus Schwarz eine Antwort: Zur Humusbildung in der Natur brauche es zunächst Feuchtigkeit, Temperatur und Material. Sehr wichtig seien aber auch Bodenlebewesen – wie zum Beispiel Regenwürmer –, die für Bewegung sorgten – das müsse natürlich nachgebildet werden. Da diese im Kokon aufgrund der hohen Temperaturen nicht überleben können, werde der Kokon einmal am Tag hin und her gewogen, mit einer Geschwindigkeit, die man mit bloßem Auge kaum erkenne. "Da wird nicht rotiert, da wird nicht geschleudert. Da wird nicht wie beim Lottospielen alles im Kreis gedreht, sondern es schwingt einmal hin und her."
Aus der Kirche hört man indes vor allem positive Rückmeldungen zur Reerdigung. So etwa von Hilke Lage, sie ist evangelisch-lutherische Pastorin in Mölln, wo die Reerdigung zuerst angeboten wurde. "Die Idee der Nachhaltigkeit hat uns überzeugt" sagte sie in den Nachrichten der Nordkirche. Dieser Gedanke passe ebenso zum Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, wie zu den traditionellen Bestattungsformeln: "Erde zu Erde" oder "Von der Erde bist du genommen, und zur Erde kehrst du zurück".
Die Pröpstin des Kirchenkreises Altholstein, Almut Witt, sagte dem Evangelischen Pressedienst, sie sei bei einer Kokon-Öffnung dabei und positiv überrascht gewesen. "Am Anfang habe ich kurz Ammoniak-Geruch wahrgenommen, der bei Verwesungsprozessen üblich ist." Der sei aber schnell verflogen. Sie erlebe zudem einen "würde- und liebevollen Umgang" mit den Toten und ihren Angehörigen.
Reerdigung ist teurer als Feuerbestattung
Alexander Helbach von der Verbraucherinitiative Aeternitas sagt, aus Verbrauchersicht begrüße man die Einführung neuer Bestattungsmethoden. Dass die Reerdigung in nächster Zeit eine echte Konkurrenz für Feuerbestattungen werde, sei aber unwahrscheinlich – auch wegen des Preises. Eine "Reerdigung" kostet derzeit 2.900 Euro – zuzüglich der Kosten für Trauerfeier, Bestatter, etc. Das mache sie Helbach zufolge deutlich teurer als eine einfache Feuerbestattung.
Damit die Reerdigung günstiger werde, müsse sie verbreiteter und in größerem Umfang angeboten werden. Das könnte sich nach Helbachs Einschätzung jedoch schwierig gestalten, da der Prozess viel Zeit und Platz in Anspruch nehme: "Eine Einäscherung dauert zwei Stunden, die Humankompostierung 40 Tage."
Helbach verfolgt die Auseinandersetzung um die Reerdigung schon länger. Auch er fand die Kommunikation des Unternehmens zunächst nicht transparent genug. "Der Ton auf der Webseite, wie das Verfahren beschrieben wird, das ist schon sehr salbungsvoll." Auch wie nachhaltig das Ganze tatsächlich sei, sei wissenschaftlich noch nicht erwiesen. Die Schärfe der Kritik von BDB und Püschel verwundere ihn jedoch. Er sieht die Studie der Universität Leipzig als einen ersten Schritt zu mehr Transparenz.
Wo kann man sich "reerdigen" lassen?
Aktuell kann man sich nur in Schleswig-Holstein "reerdigen" lassen. Dafür wurde erst Anfang des Jahres eine "Experimentierklausel" in das Bestattungsgesetz geschrieben. Die Erde aus Reerdigungen darf außerdem in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg beigesetzt werden. Und die Hamburger Behörden prüfen derzeit eine Pilotphase in Form einer behördlichen Duldung. Pablo Metz von "Meine Erde" hofft zudem, dass bald auch andere Bundesländer die Beisetzung "reerdigter" Menschen auf ihren Friedhöfen erlauben.
In Sachsen-Anhalt wird derzeit ein neues Bestattungsgesetz diskutiert, dabei steht auch zur Debatte, die Reerdigung als mögliche Bestattungsmethode in die Novelle zu schreiben.
Auch in Sachsen ist eine Gesetzesnovelle geplant, die "Reerdigung" darin zu berücksichtigen, stehe derzeit jedoch nicht zur Debatte, teilte das zuständige Ministerium auf Anfrage von MDR AKTUELL mit. Es bedürfe der Aufarbeitung einer Vielzahl offener Grundsatzfragen rechtlicher, fachlich-naturwissenschaftlicher sowie ethischer und religiöser Art. An der Beschränkung der Bestattungsarten auf Erd- und Feuerbestattung solle daher festgehalten werden, hieß es.
MDR AKTUELL, mit epd
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 24. März 2024 | 07:08 Uhr
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