Reerdigung Nachhaltiger letzter Wille: Kompost-Bestattung
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20. Januar 2024, 16:02 Uhr
Wir kaufen Bio, fahren Rad oder steigen aufs E-Auto um. Auch für unsere Beerdigung gibt es eine ökologische Alternative: Die Kompost-Bestattung. In den USA seit 2019 möglich bleibt sie in Deutschland zunächst ein Pilotprojekt und ist derzeit nur Schleswig-Holstein erlaubt. Doch warum?
Das Kompostieren kennen wir alle: Speise- und Pflanzenreste verwandeln sich dank Mikroorganismen und Sauerstoff zu Humus, einem nährstoffreichen Substrat. Unliebsames wird beseitigt, nützliches entsteht – durch schnelle, kontrollierte Zersetzung. Sich das für die eigene Bestattung vorzustellen, ist ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke, selbst wenn man die ökologischen Vorzüge vor Augen hat.
USA: Verfahren, um Tote in Humus zu verwandeln
In den USA werden in der Landwirtschaft bereits seit einigen Jahrzehnten tote Tiere in pflanzliches Material gelegt, um eine natürliche Zersetzung zu Humus zu beschleunigen. Ein ähnliches Verfahren für die Bestattung von Menschen entwickelte 2014 das Unternehmen "Recompose" unter Leitung seiner Gründerin Katrina Spade und in Zusammenarbeit mit der Abteilung für forensische Anthropologie der Western Carolina University.
Die Methode funktioniert allein mit Sauerstoff und Mikroorganismen. Nach einer erfolgreichen Versuchsreihe an sechs menschlichen Körpern genehmigte der US-Bundesstaat Washington 2019 erstmals die "natürliche organische Reduktion" für Verstorbene. Im Jahr darauf ging mit dem Greenhouse in Kent/Washington die erste öffentliche Anlage in Betrieb. Dort konnten zu dem Zeitpunkt zehn Verstorbene innerhalb eines Jahres kompostiert werden, inzwischen sind es weit mehr an verschiedenen Standorten.
Kompost-Bestattung kostet in den USA durchschnittlich 5.500 Dollar
Der Grundpreis für eine Bestattung dieser Art liegt bei 5.500 US-Dollar. Die Akzeptanz und das Interesse sind groß. Bereits im Sommer 2020 waren 6,75 Millionen US-Dollar über Spenden und Beiträge der zahlenden Kundschaft zusammengekommen.
Weitere Bundesstaaten zogen nach: Colorado, Oregon, Vermont, California, New York und Nevada, neue Anbieter für das "Human Composting" gingen an den Markt, die mit Stiftungen und Aufklärungsarbeit die Legalisierung vorantreiben wollen, auch weltweit.
In Deutschland nur in Schleswig-Holstein erlaubt
Deutlich größere Zurückhaltung gegenüber der neuen Bestattungsmethode zeigt sich bei uns in Deutschland. Hier ist das Kompostieren Verstorbener bislang nur in Schleswig-Holstein erlaubt, deren Erde auch nur dort sowie in Mecklenburg-Vorpommern sowie in Hamburg-Olsdorf beigesetzt werden darf.
Die erste "Reerdigung" fand im Februar 2022 in Mölln statt, ausgeführt durch das Start-up "Meine Erde", das ebenfalls mit einer Stiftung und einem Freundeskreis für die Akzeptanz des Verfahrens wirbt. 2023 wurde in Kiel das zweite Alvarium eröffnet, ein Ort an dem das Kompostieren stattfindet.
Das geschieht bei einer Reerdigung
Der Leichnam wird in einem Edelstahlbehälter auf ein Substrat aus Stroh, Heu, Blumen und Aktivkohle gebettet und damit auch bedeckt. Chemische Zusätze, Insekten oder Würmer kommen nicht zum Einsatz. Den Rest erledigen die Mikroorganismen, die unter ausgewogener Beteiligung von Kohlenstoff, Stickstoff, Feuchtigkeit und Wärme auf Hochtouren arbeiten. Übrig bleiben nach inzwischen nur noch 40 Tagen fruchtbare Erde, Humus also und Knochen. Diese werden später zermahlen, untergemischt und alles in einer biologisch abbaubaren Urne beigesetzt.
Die Friedhofspflicht also bleibt. Die Idee des Kompostierens an sich ist nicht neu, bereits in den 1990er-Jahren hatte die Biologin Susanne Wiigh-Mäsak in Schweden ein Verfahren entwickelt, um die Körper Verstorbener auf eine Kompostierung vorzubereiten.
Promession: den Leichnam gefriertrocknen und granulieren
In zwei Schritten wird der Leichnam zunächst heruntergekühlt: Erst auf 18 Grad Minus, dann in Stickstoff getaucht auf 196 Grad Minus. Damit wird ihm das Wasser entzogen, das etwa 70 Prozent des Körpers ausmacht. Außerdem wird er dadurch so zerbrechlich, dass eine gezielte Erschütterung ausreicht, um ihn in winzige Teilchen zerfallen zu lassen. Damit haben die Mikroorganismen später eine große Angriffsfläche und können die organischen Überreste schnell zersetzen.
Das Granulat wird in ein verrottbares Gefäß gefüllt und beigesetzt. Optimal sind dafür etwa 80 Zentimeter Tiefe, denn dort sind genügend Kleinstlebewesen im Boden. In nur zwölf bis 18 Monaten ist das menschliche Gewebe dann vollständig abgebaut.
Traditionelle Bestattung: Leichen oft nicht zersetzt, Knochen bleiben immer
Zum Vergleich: In sandigen Böden verwest ein Körper in etwa 15 Jahren, in lehmigen Böden kann es bis 60 Jahre dauern und in sehr nassem Untergrund bilden sich sogenannten Wachsleichen, die sich gar nicht zersetzen. In jedem Fall bleiben Knochen zurück.
Die Erfinderin Susanne Wiigh-Mäsak war überzeugt, mit ihrem Verfahren eine Trendwende im Bestattungswesen einzuläuten. 1999 hatte sie für die Promession in Schweden ein Patent angemeldet und die Firma Promessa gegründet, die die Methode weltweit etablieren soll.
Doch nicht einmal sie selbst konnte sich den Wunsch erfüllen, nach ihrem Tod ein Geschenk zurück an die Natur zu werden, wie es auf der Promessa-Webseite heißt.
Leichen kompostieren könnte umweltfreundlicher sein als Verbrennen
Inzwischen gibt es weitere Patente in anderen Ländern und das Vorgehen wurde weiterentwickelt. Doch genutzt wird die Promession nicht. In Jönköping/Schweden gibt es eine Versuchsanlage, doch nirgendwo sonst gibt es die Möglichkeit, das Verfahren anzuwenden. Hans-Joachim Möller vom Verband unabhängiger Bestatter e.V. sieht hierfür einen der Gründe für die Zurückhaltung der Menschen dieser Methode gegenüber.
Kompostierung hält Möller durchaus für eine umweltfreundliche Alternative. Zum einen werde deutlich weniger Energie verbraucht. Bei der Verbrennung eines menschlichen Körpers benötigt man je nach Ofen-Art zwischen zwei und 20 Kubikmeter Erdgas. Auch entstehen beim Verbrennen zusätzlich giftige Verbindungen. Zwar seien Krematorien heute mit Hochleistungsfiltern ausgestattet, doch dort sammeln und konzentrieren sich Rückstände von Chemotherapien, Kadmium und Zink aus Herzschrittmachern, Formaldehydharze aus Sargplatten und nicht zuletzt Zusatzstoffe, Insektizide und Pestizide aus unseren Nahrungsmitteln. Auch bei Sargbestattungen gelangen diese Gifte in den Boden und ins Grundwasser.
Die Filterasche der Krematorien ist so giftig, dass sie als Sondermüll in Salzstöcken eingelagert werden muss.
Reerdigung: Bundesländer wollen zunächst Modellversuche abwarten
Trotzdem bleibt die Promession bis auf Weiteres Zukunftsmusik. Die Ankündigung der Revolution und die Eröffnung der ersten öffentlichen Recompose-Anlage hat die Promessa-Erfinderin nicht mehr miterlebt. Sie erlag am 1. September 2020 einem Krebsleiden.
Auch für uns wird es noch Jahre dauern, bis die ökologische Bestattung eine breit verfügbare Option ist. Andere Bundesländer, zum Beispiel Berlin, wollen die Testphase in Schleswig-Holstein zunächst abwarten. In einigen Gemeinden, zum Beispiel in Aschersleben in Sachsen-Anhalt, wird derzeit diskutiert, ob Reerdigungen angeboten werden sollten.
Bayern und Nordrhein-Westfalen schließen Kompost-Bestattung aus
Bayern und Nordrhein-Westfalen haben sich bereits festgelegt und werden die Reerdigung in ihren Ländern nicht erlauben. Die bayerischen Behörden sagen, dass bei dieser Bestattungsform neben einem "Verstoß gegen die Bestattungspflicht eine Verletzung der Würde des Verstorbenen und des Pietätsempfindens der Allgemeinheit" naheliege. Nordrhein-Westfalen argumentiert, dass der Anbieter "Meine Erde" bisher nicht belegt habe, dass Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung ausgeschlossen sind.
Wer also umweltverträglich aus dem Leben gehen will, muss sich zunächst mit kleinen Schritten begnügen: zum Beispiel mit nachhaltigen Särgen und Urnen, mit dem Verzicht auf Mittel zur Balsamierung und mit einer insektenfreundlichen Grabgestaltung.
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