Verein Pro Generika "Preisdruck und Abhängigkeiten sorgen weiter für Medikamentenengpässe"

23. August 2023, 07:55 Uhr

Der Verein Pro Generika vertritt deutsche Firmen, die Medikamente mit Wirkstoffen produzieren, deren Patentschutz ausgelaufen ist. Doch gerade bei diesen preiswerten Generika gibt es oft Lieferprobleme. Die Hersteller erwarten vom neuen Gesetz gegen Lieferengpässe kaum Besserung. Auch die Kinderärzte warnen für den Winter wieder vor einem Mangel bei Fiebersäften und anderer Standardarznei. Anna Steinbach von Pro Generika zu den Gründen und Forderungen an die Politik.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
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MDR AKTUELL: Werden in Deutschland in der neuen Infektionssaison im Winter wieder bestimmte Medikamente knapp?

Anna Steinbach: Ob es wieder konkrete Engpässe geben wird, wissen wir derzeit nicht. Man muss das Infektionsgeschehen abwarten. Was wir aber wissen: Es gibt bei einigen Arzneimitteln eine kritische Marktsituation. Wegen des jahrelangen Kostendrucks (etwa auf Grund von Rabattverträgen mit den Krankenkassen, d. Red.) sind teils nur noch wenige Hersteller am Markt, manchmal nur noch einer. Ein Produktionsausfall, eine Erschütterung der Lieferkette oder eine massiv erhöhte Nachfrage und es kann zum Engpass kommen.

Wie kommt es zum Kostendruck gerade auch bei Generika-Präparaten?

Der Versorgungsanteil von preiswerten Generika-Medikamenten in Deutschland steigt seit vielen Jahren. 2021 waren es fast acht von zehn verordneten Arzneimitteln. Anderseits sinkt der Anteil der Generika an den realen Arzneimittelausgaben stetig – nach Abzug aller Abschläge und Rabatte waren es zuletzt bloß noch 7,2 Prozent.

Seit Längerem zeigen sich die Folgen: Bei Wirkstoffen, die kaum noch kostendeckend herzustellen sind (z.B. dem BrustkrebsmittelTamoxifen), haben sich immer mehr Hersteller aus der Produktion zurückgezogen. Die wenigen verbliebenen können etwa eine steigende Nachfrage oder einen Lieferengpass nicht ausgleichen. Infolge des Kostendrucks haben sich große Teile der Wirkstoffproduktion nach Asien verlagert. Es herrscht eine starke Abhängigkeit von einigen wenigen Herstellern in China oder Indien. Reißt diese Lieferkette ab, kann es bei uns eng werden.

Welche Rolle spielen außergewöhnliche Infektionswellen?

Bei vielen Arzneimitteln können die verbliebenen Hersteller eine starke Infektionswelle wie die im vergangenen Winter mit massenhaft viralen Infektionen und Bakterieninfektionen der Atemwege nicht abfangen. So war es beim Paracetamol-Fiebersaft. Hier gibt es nur noch einen Hersteller, der die gestiegene Nachfrage einfach nicht bedienen konnte.

Für einzelne Arzneimittel war die Nachfrage in einem Quartal so hoch wie vor der Pandemie in einem ganzen Jahr. Auch im 1. Quartal 2023 verzeichneten die Hersteller noch eine deutliche höhere Nachfrage. Auch aufgrund von Nachholeffekten nach der Corona-Pandemie führte das in anderen europäischen Ländern ebenfalls zu erhöhtem Bedarf. Es zeigte sich, dass es derzeit bei den Unternehmen und in den Handelskanälen keinerlei Warenbestandspuffer gibt und die Produktionskapazitäten auch nicht ausreichen.

Sind die Lieferengpässe international oder ist Deutschland besonders betroffen?

Einige Engpässe bestehen auf internationaler Ebene – Antibiotika sind derzeit überall in Europa knapp. Zugleich ist es eine Tatsache, dass die Krankenkassen hierzulande für viele Arzneimittel weniger bezahlen, als sie kosten. Nur wenige europäische Länder bezahlen noch niedrigere Preise für Generika als Deutschland. 

Die Bundesregierung startete 2018 einen "Pharmadialog", um die Versorgung zu sichern und den Pharmastandort Deutschland zu stärken. Was hat das bislang gebracht?

Es gibt derzeit keinen Pharmadialog – außer auf regionaler Ebene wie etwa in Bayern. Es gibt allerdings beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verschiedene Listen von engpassbedrohten Arzneimitteln.

Was können die jüngsten Änderungen im Arzneimittelgesetz bewirken?

Kurzfristig wird das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) nichts verändern können. Zwar legt es etwa mit Blick auf die Antibiotika fest, dass bei Ausschreibungen ein Teil der Wirkstoffe aus Europa kommen soll. Das ist ein Versuch, Lieferketten zu diversifizieren und Abhängigkeiten von Asien zu reduzieren. Doch oft gibt es gar keine europäischen Hersteller mehr für den Wirkstoff.

Das strukturelle Problem bleibt: Hersteller ziehen sich zurück, wenn die Produktion für sie nicht wirtschaftlich ist - wenn sie unter höheren Kosten leiden und gleichzeitig ihre eigenen Preise nicht erhöhen können. Das ALBVVG sieht weder Maßnahmen zur Entlastung vor, noch setzt es genug Anreize, dass wieder mehr Hersteller in Europa produzieren. Zwar legt es für Kinderarzneimittel eine Preiserhöhung um bis zu 50 Prozent fest, jedoch nur für zwei Jahre. Das aber wird in vielen Fällen zu wenig ökonomischen Spielraum schaffen, um weitere Unternehmen zur Produktion zu animieren. Zudem kommen die gewährten Preiserhöhungsoptionen nicht voll bei den Herstellern an, da teils weiter Hersteller- und Generikarabatte wirken.

Was muss getan werden, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu erhöhen?

Das ALBVVG sieht eine Lockerung des Preisdrucks nur für Antibiotika und Kinderarzneimittel vor. Das reicht nicht. Es gibt andere Arzneimittel, bei denen die Versorgung ebenso instabil ist. Da braucht es stärkere Anreize für Hersteller. Dafür müssen Rabattverträge für fünf Jahre ausgesetzt und Festbeträge erhöht werden. Nur so haben die Unternehmen die nötige Planungssicherheit.

Und wir brauchen den Dialog darüber, bei welchen Arzneimitteln wir unabhängig sein wollen vom Ausland. Diese Wirkstoffe muss die Politik identifizieren und sich mit uns zusammensetzen. Dann muss man gemeinsam schauen, wie man die Produktion hierzulande stärkt.

Warum stellt der Bund keine Subventionen für Pharmaunternehmen bereit wie etwa für die Chip-Industrie? Ist die medizinische Versorgung weniger wichtig?

Bislang hat es seitens der Politik keine Bestrebungen gegeben, die Pharmaindustrie zu unterstützen oder abzusichern. Schon Gesundheitsminister Jens Spahn hat 2020 gesagt, er wolle die Produktion nach Europa zurückholen. Seitdem ist nichts passiert. Die Rückholung der Medizinproduktion nach Europa ist auch wenig realistisch. Was wir brauchen, ist mehr Diversifizierung bei den Ausschreibungen, damit krasse Abhängigkeiten von einzelnen Herstellern und Weltregionen vermindert werden.

MDR AKTUELL (ans)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. August 2023 | 08:00 Uhr

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