Forscher im Interview Feinstaub: Warum der Osten Deutschlands besonders betroffen ist

07. September 2023, 10:46 Uhr

In Sachsen und im Osten Sachsen-Anhalts ist besonders viel Feinstaub in der Luft. Troposphärenforscher Hartmut Herrmann erklärt im Interview mit dem MDR, woher der viele Feinstaub kommt und welche Maßnahmen man dagegen ergreifen kann. Er befürwortet die Grenzwerte, über die am 11. September im Europäischen Parlament abgestimmt werden soll.

MDR SACHSEN-ANHALT: MDR Data hat gemeinsam mit der Deutschen Welle und dem European Data Journalism Network Daten zu Feinstaub ausgewertet. Im Osten Sachsens und im Südosten Sachsen-Anhalts ist die Belastung im Jahresmittel besonders hoch. Woran könnte das liegen?

Prof. Dr. Hartmut Herrmann, Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung: In der Grenzregion zu Polen und Tschechien gibt es einen Import von Luftmassen, die mit Feinstaub beladen sind. Das ist eine Sache, die wir schon viele Jahre an unserer Forschungsstation Melpitz bei Torgau beobachten. Durch Modellrechnungen kann man rauskriegen, wo die Luftmassen herkommen und woher sie ihre Massebeladung haben. Und da kommt Südosteuropa raus. Damit kann man die hohen Werte im Osten Sachsens und wahrscheinlich auch im Südosten Sachsen-Anhalts erklären.

In Rumänien, Bulgarien und Polen wird auch schon seit Jahren versucht, etwas dagegen zu tun. Es gibt Programme von der EU, die speziell in Ost- und Südosteuropa Umstellungen von Boilern, die noch mit Kohle betrieben werden, auf andere Heißwasserbereitung oder Heizsysteme fördern. Das soll dafür sorgen, dass in diesen Regionen, wo es noch unheimlich viel Kohle- und Holzverbrennung gibt, weniger Feinstaub produziert wird, der dann in den sogenannten Ostwetterlagen nach Westen transportiert werden kann.

Was ist Troposphärenforschung?

Die Troposphäre ist die unterste Schicht der Erdatmosphäre, der Lufthülle um die Erde. In der Trophosphäre entsteht das Wetter. Troposphärenforschung befasst sich mit der Untersuchung physikalischer und chemischer Vorgänge in dieser Luftschicht, wie zum Beispiel die Entstehung von Wolken und die Belastung der Luft mit Schadstoffen.

Was ist Feinstaub?

Als Feinstaub bezeichnet man Teilchen in der Luft, die eine gewisse Zeit in der Atmosphäre bleiben. Staubpartikel werden in verschiedene Größen eingeteilt. Als Feinstaub (PM10⁠) bezeichnet man Partikel mit einem Durchmesser von weniger als zehn Mikrometern. Feinstaub (PM2,5) beinhaltet alle Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern. Je kleiner die Feinstaubpartikel sind, desto tiefer können sie in den menschlichen Körper eindringen und desto schädlicher können sie für die Gesundheit sein.

In Ballungsräumen ist die größte Feinstaubquelle der Straßenverkehr. Er wird nicht nur von Motoren ausgestoßen, sondern entsteht auch durch Bremsen- und Reifenabrieb und Aufwirbelung von Staub von der Straßenoberfläche. Außerdem entsteht Feinstaub durch Kraft- und Fernheizwerke, Öfen und Heizungen in Wohnhäusern, bei der Metall- und Stahlerzeugung oder auch beim Umschlagen von Schüttgütern. Er kann aber auch natürlichen Ursprungs sein, beispielsweise als Folge von Bodenerosion.

Bedeutet das, dass man in den betroffenen Gegenden selbst nicht so viel gegen Feinstaub tun kann, wenn der größtenteils über den Wind zu uns transportiert wird?

Bei den lokalen Möglichkeiten, Feinstaub zu vermindern, sind wir eigentlich schon ziemlich weit. Wo man noch ansetzen könnte, sind die Emissionen aus Festbrennstoffen, also beispielsweise bei Holzheizungen, die im Winter viel genutzt werden. Nutzungseinschränkungen für Holzverbrennung sind aber natürlich politisch nicht gut durchsetzbar bei den gegenwärtigen Energiepreisen. Im Sommer kommt noch der Agrarstaub und Ammoniakemissionen aus Viehhaltung hinzu, da könnte man auch noch ein bisschen was machen. Auch da gibt es aber große Interessengruppen aus der Landwirtschaft, die dagegen operieren. Also es gibt gar nicht mehr so viele Stellschrauben.

Wir haben in unserer Analyse festgestellt, dass Sachsen, Sachsen-Anhalt und vor allem Thüringen auffallend gut abschneiden, wenn man die Verbesserung der Luftqualität seit 2018 betrachtet. Liegt das an den Maßnahmen, die schon ergriffen wurden?

Ich glaube schon. Wie gesagt, wir stehen eigentlich schon mit vielen Sachen ganz gut da. Wenn wir Verbesserungen sehen, haben wir eigentlich oft das Gefühl, das passiert in den Städten, in denen der Verkehr immer sauberer wird. Wir haben eine Messstation auf dem flachen Land bei Torgau. Dort führen wir seit 1993 Messungen zur Feinstaubbelastung durch. Und da sieht man eigentlich, dass seit Anfang der 2000er-Jahre die Hintergrundkonzentration, die man abseits von urbanen Räumen hat, konstant geblieben ist. Dass es jetzt wirklich überall besser wird, würde ich nicht sagen.

Am 11. September stimmt das Europäische Parlament über die Festlegung neuer Grenzwerte für Luftqualität ab. Der Grenzwert für den Jahresdurchschnitt soll dann statt bei 25 bei zehn Mikrogramm pro Kubikmeter liegen, das Tagesmaximum bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter. Wie stehen Sie zur Senkung der Grenzwerte?

Ich denke, das geht in die richtige Richtung. Schrecklicherweise gibt es bei Feinstaub keine sogenannte "Zero Effect Konzentration", also keine Konzentration, die null Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Null zusätzliche Mortalität oder Morbidität, also Wahrscheinlichkeit von Krankheiten und Todesfällen, kriege ich nur bei null Belastung. Schärfere Grenzwerte sind trotzdem gut, weil dadurch die Gesundheitseffekte weniger werden.

Schrecklicherweise gibt es bei Feinstaub keine Konzentration, die null Auswirkungen auf die Gesundheit hat.

Hartmut Herrmann Troposphärenforscher

Die Kritiker sagen, Europa und Deutschland erfinden immer gerne neue Regelungen. Man muss aber aufpassen, ob man solche Grenzwerte überhaupt einhalten kann. Wenn der neue Jahresdurchschnitt zehn Mikrogramm pro Kubikmeter ist, dann liegen wir bei der Station Melpitz schon seit den 2000er-Jahren ziemlich konstant um Faktor zwei darüber, bei 22 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Es gibt aber eine Ausnahmeregelung für Orte, an denen man eine Art Hintergrundkonzentration hat, gegen die man nichts machen kann. Also wenn zum Beispiel jede Menge Mineralstaub an einem Messort über den Wind antransportiert wird, darf man die Grenzwerte korrigieren.

Würden die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Grenzwerte gelten, hätten 2022 alle Landkreise den zulässigen Feinstaub-Grenzwert für den Jahresdurchschnitt überstiegen (fünf Mikrogramm pro Kubikmeter). Wäre die Einhaltung dieses Wertes überhaupt machbar und sinnvoll?

Das ist eben schwer zu sagen. Wie viele Krankheits- und Todesfälle vermeidet man wirklich, wenn man bei den Grenzwerten nochmal ein paar Mikrogramm runter geht? Wie ist das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen? Das ist noch eine ungeklärte Frage.

Es gibt den großen Kritikpunkt an den WHO-Empfehlungen und auch an den neu vorgeschlagenen EU-Regelungen, dass die überhaupt nicht eingehalten werden können. Es stellt sich die Frage, ob wir überhaupt noch Minderungspotenzial haben oder ob wir wirklich schon überall am Anschlag sind.

Das Interview führte Katharina Forstmair.

MDR (Katharina Forstmair)

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