Umweltbelastung Wie weiter mit dem Silvesterfeuerwerk? Was sagt die Forschung?
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30. Dezember 2022, 13:31 Uhr
Feinstaubbelastung und Gestank, Verletzungsgefahren und Lärm, Geldverschwendung und Müll – ein ganzes Bündel von Begleiterscheinungen trübt die Freude am Feuerwerk. Was sagen die Zahlen über das Fest der Böller und Raketen?
Wer im Deutschen Rundfunkarchiv nach frühen Belegen zum Stichwort Feuerwerk sucht, der findet einen Sketch des Münchner Star-Comedians Karl Valentin von 1928. "Wunderbar, wunderbar!" ruft er in Betrachtung eines Feuerwerks aus, um sich gleich darauf zu ärgern: "Nur dieser Gestank. Nicht alles was kracht riecht gut."
Das Wort Feinstaubbelastung kannte man damals noch nicht, es wabert erst seit dem letzten Jahrzehnt auch durch die Debatten um das Silvesterfeuerwerk.
Um 2015 tauchen erste Beiträge auf, 2017 koppeln Umweltschutzverbände ihre Kritik an der Böllerei an Zahlen aus dem Umweltbundesamt. 4.000 bis 5.000 Tonnen Feinstaub würden bundesweit pro Jahr durch Feuerwerke emittiert, das sei etwa so viel, wie in zwei Monaten vom gesamten Verkehrssektor ausgestoßen würde.
Nur ein medialer Knallfrosch?
Die Debatte zündet – zumindest medial. Ein Feuerwerk aus Pro und Contra knallt durch die Medien. Umweltmediziner betonten die unbestreitbare Gefährlichkeit von Feinstaub, dessen kleine Partikel über die Lunge tief in den Körper eindringen und für diverse lebensverkürzende Krankheiten verantwortlich gemacht werden. Bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter lag damals der EU-Grenzwert (er wurde inzwischen auf 45 verschärft). In der Silvesternacht würden teils mehr als zwanzigfache Werte gemessen.
Die anderen relativieren: Die Belastung sei nur kurzzeitig und medial überhöht. Vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) kam 2017 diese Statistik:
So steht etwa dem um 1 Uhr nachts gemessenen Spitzenwert für Leipzig von 1.860 Mikrogramm pro Kubikmeter ein Durchschnitt von 133 Mikrogramm pro Kubikmeter am 1. Januar entgegen. Für Berlin betrugen die entsprechenden Werte aus der Silvesternacht 647 respektive 47 Mikrogramm pro Kubikmeter für den Tagesdurchschnitt.
Gemeinsam zu neuen Berechnungsmethoden
Befürworter der Silvesterknallerei sprachen von einer "Feinstaubhysterie" und warfen dem Umweltbundesamt übertriebene Zahlen vor. 2022 dann konnte das UBA eine gemeinsam mit dem Verband der Pyrotechnischen Industrie erstellte Studie veröffentlichen, die jetzt validere Zahlen liefert. Bisher beruhten die Angaben zur Luftqualität zum Teil auf Expertenschätzungen. Nun jedoch gibt es experimentell überprüfte Angaben, die exakte Messwerte beim Abbrennen von Pyrotechnik beziffern. Es zeigte sich, dass die bisherige Methodik die Emissionen stark überschätzt.
Durch die Änderung mit der neuen Berechnungsmethodik haben sich diese Zahlen etwa halbiert. Das heißt, wir haben mal ausgenommen die Jahre, in denen Corona-bedingt das Feuerwerk verboten war, so um die 2.050 Tonnen pro Jahr, die durch Feuerwerk freigesetzt werden, davon in etwa 75 Prozent In der Silvesternacht.
Wie die Industrie reagiert
Die wirklich gemessene Konzentration von Feinstaub in der Luft allerdings bleibt in der Silvesternacht um die tausend Mikrogramm pro Kubikmeter in der Spitze in Ballungsräumen und Städten. Im Durchschnitt eines Jahres sind es um 15 bis 18 Mikrogramm pro Kubikmeter. Selbst für Ute Dauert vom Umweltbundesamt ist das Feinstaub-Argument allein aber nicht entscheidend. Da machen ihr Landwirtschaft, Verkehr und die rasant steigende Holzfeuerung mehr Sorgen. Aber neben der Emission des so extrem gesundheitsgefährdenden Feinstaubes wirken ja noch mehr Faktoren auf die Umwelt: Der Lärm verschreckt und schädigt Tiere, Plastikmüll landet in den Flüssen und überhaupt werde durch Feuerwerke viel, viel Müll in die Land- und Stadtschaft eigetragen. Die Hersteller reagieren inzwischen, ersetzen Plastik durch Kompostierbares oder bieten "Leisefeuerwerke" an. Große Effekte ohne Knall verspricht Böllern mit gutem Gewissen.
Wenn man eben wirklich rein ökologisch denken will, dann muss man auf Druckluft betriebene Konfettikanonen oder auch Lasershows zurückgreifen. Also dann müsste man sich vom Feuerwerk in dem Sinne wirklich verabschieden.
Knalltrauma und Tiere in Panik
In diesem Jahr machte sich neben der Deutschen Umwelthilfe ("Verbot privater Böllerei") und Naturschutzbund ("freiwillig auf Feuerwerke verzichten") auch die Bundesärztekammer stark für eine Einschränkung der Silvesterknallerei. Präsident Klaus Reinhardt spricht von etwa 8.000 Verletzungen des Innenohres, die jedes Jahr zu beklagen seien, manche mit Dauerschädigung. Dazu kämen die Brandverletzungen und weitere Notfälle. Angesichts der ohnehin schon oft an den Grenzen arbeitenden Krankenhausbelegschaften würden Verbote dringend notwendige Entlastung bringen.
Neu ist auch eine Studie der Max-Planck-Gesellschaft zum Verhalten von Wildtieren. Die Studie zeigt, dass Vögel als Reaktion auf das Feuerwerk ihr Verhalten signifikant änderten. Normalerweise kehren Gänse über mehrere Nächte zum gleichen Schlafgewässer zurück und sparen Energie, indem sie sich auf der Wasseroberfläche ausruhen. Nachdem das Feuerwerk jedoch in den untersuchten Silvesternächten gezündet wurde, verließen die Gänse häufig ihre Schlafstellen und flogen im Mittel fünf bis 16 Kilometer weiter und 40 bis 150 Meter höher als in den Nächten davor.
Es ist schockierend zu sehen, wie viel weiter die Vögel in der Silvesternacht flogen. Einige Tiere legten Hunderte von Kilometer in einer einzigen Winternacht zurück, Distanzen, die sie normalerweise nur während des Zuges absolvieren.
Allen Argumenten zum Trotz: Auch der Jahreswechsel 22/23 wird einer mit viel Böllern und Raketen. Zwischen 100 und 130 Millionen Euro geben die Deutschen jedes Jahr für Silvesterfeuerwerk aus. Auch im Pyrotechnik-Fachhandel wirken derzeit Inflation, Lieferengpässe, Fachkräftemangel und Energieverteuerung - die Preise sollen erheblich steigen. Wie sich das auswirkt, wird sich Neujahr zeigen. Und dann wird auch die Debatte um das private Böllern in eine neue Runde gehen.
Links/Studien
Die Studie darüber, wie Feuerwerk Wildvögel langfristig beeinflusst ist in "Conservation Letters" erschienen.
Die Untersuchung des Umweltbundesamtes von Anfang 2022 "Feinstaub durch Silvesterfeuerwerk" können sie hier nachlesen.
Die Statistik von Jörg Peters ist in den Unstatistiken des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung erschienen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 28. Dezember 2022 | 21:45 Uhr