Neue Studie aus den USA Verdoppelt zweite Corona-Erkrankung das Sterberisiko?

01. Dezember 2022, 11:04 Uhr

Eine zweite Corona-Infektion verdoppele laut einer US-Studie das Risiko, an Corona zu sterben. Wir haben den Infektiologen Dr. Thomas Grünewald dazu befragt. Er sieht das Ergebnis der Studie kritisch und erklärt, warum.

US-Studie mit 5,7 Millionen US-Veteranen

Einer neuen Studie der "Washington University School of Medicine" (St. Louis, Missouri) zufolge erhöht sich das Gesundheitsrisiko nach einer erneuten Corona-Infektion deutlich. Die Forscher haben die Daten von mehr als 5,7 Millionen US-Veteranen untersucht, um das Risiko für schwere Verläufe, Folgeschäden und Krankenhausaufenthalte bei einer Zweit- oder gar Drittinfektion mit dem Corona-Virus zu beurteilen.  

Aus der Untersuchungsgruppe waren 443.558 Veteranen einmal an Covid-19 erkrankt; ein zweites Mal oder sogar noch häufiger hatten sich 40.947 Personen infiziert. Wir fassen die Ergebnisse der am 10. November veröffentlichten Studie zusammen und lassen diese von Dr. Thomas Grünewald einordnen, dem Vorsitzenden der Sächsischen Impfkommission (SIKO).

Weitere Erkenntnisse der Studie im Einzelnen

Die im Fachmagazin "Nature" veröffentliche Studie kam zu folgenden Ergebnissen:

  • Veteranen, die sich ein zweites Mal mit Corona infizierten, verstarben doppelt so häufig.
  • Das Risiko ins Krankenhaus zu müssen, verdreifachte sich gegenüber denen, die nur einmal mit Corona infiziert waren.

Auch das Risiko für Folgeerkrankungen stieg gemäß der Studie für unterschiedliche Bereiche an. Erkrankte entwickelten nach einer erneuten Infektion vermehrt folgende Symptome:

  • Erkrankungen der Muskeln und der Knochen: 1,6 mal häufiger
  • neurologische und psychische Erkrankungen: 1,6 mal häufiger
  • Herzerkrankungen: 3,0 mal häufiger
  • Lungenprobleme: 3,5 Mal häufiger

Hinweis zur Studie Die Zunahme der Folgeerkrankungen war laut Studie bei Geimpften und Ungeimpften gleichermaßen zu beobachten.

Experte: Gesundheitsrisiko erhöht, aber Studiendaten nur bedingt aussagekräftig

Wir haben mit dem Infektiologen Dr. Thomas Grünewald über die Studie gesprochen. Neben seiner Tätigkeit für die SIKO leitet er am Klinikum Chemnitz die Infektions- und Tropenmedizin.

Dr. Grünewald, wie ordnen Sie die Ergebnisse ein?

Dr. Thomas Grünewald: Es stimmt schon, dass jede Infektion tatsächlich auch das Risiko weiter erhöht. Aber es ist nicht so, dass eine Infektion einmal Risiko bedeutet, die nächste Infektion dann doppeltes Risiko und die dritte Infektion dann dreifaches Risiko. Das ist natürlich nicht der Fall. Es gibt auch Studien aus Großbritannien dazu, die belegen, dass das Herz-Kreislauf-Risiko mit einer zweiten Infektion noch mal etwas höher ist, aber ob doppelt so hoch? Da wäre ich noch ein bisschen vorsichtig, weil eben viele Faktoren bei der Gesundheit der Veteranen eine Rolle spielen, die über die Infektion mit Corona hinausgehen – und eventuell sogar unbekannt sind.

Wie zuverlässig ist denn die Datengrundlage der Studie?

Dr. Thomas Grünewald: Man muss sagen, für US-amerikanischen Verhältnisse sind Veteranen relativ gut überwacht, weil die relativ häufig kontrolliert werden. Es gibt also grundsätzlich eine gute Datenlage. Trotzdem muss man festhalten: Es sind natürlich Leute mit Vorerkrankungen unter den Veteranen und mit Sicherheit auch viele mit nicht erkannten Erkrankungen oder auch mit nicht erkannten Corona-Infektionen. Das sind die Nachteile solcher großen Populationsstudien. Daher muss man die Aussagen "doppelt so hoch, dreimal so hoch" mit Vorsicht genießen. Trotzdem ist mit Sicherheit richtig: Es ist ganz klar, dass mit mehreren Infektionen die Sterblichkeit, aber auch die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, also Herzinfarkt, Schlaganfall und ähnliche Dinge tatsächlich auch noch mal ein Stückchen zunehmen.

Woran liegt es denn, dass sich bei der erneuten Infektion das Risiko, z.B. für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erhöht?

Dr. Thomas Grünewald: Das liegt an der Entzündungsreaktion, die die Corona-Viren auslösen. Man muss sich das so vorstellen: Arteriosklerose zum Beispiel ist so eine Entzündungsreaktion des Körpers, eine Entzündungsreaktion der Gefäße, eine typische Folge der Virusinfektion. Aber: Wenn jemand zum Beispiel eine chronische Zahnfleischentzündung hat, dann kriegt er auch schneller Arteriosklerose, weil diese Entzündungsreaktionen im Körper den Effekt hat, dass andere Organe oder Organsysteme sich mitentzünden. Und genau das ist das, was bei Covid-19 auch passiert. Das kennen wir von der Influenza und von vielen anderen Krankheiten auch.

Das Risiko entsteht also durch die schnell aufeinanderfolgenden Entzündungsreaktionen bei mehrfacher Infektion?

Dr. Thomas Grünewald: Genau. Die chronische Entzündungsreaktion ist das, auf das es ankommt. Und wenn Sie ein zweites Mal noch mal eine starke Entzündung haben, macht das dem Köper zu schaffen, das Risiko für Folgeerkrankungen erhöht sich. Das ist ein Denkfehler, den man nicht machen darf. Dass nach einer ersten Covid-19-Infektion die zweite Covid-19-Infektion dann mild abläuft. Wir können im Labor schon eine deutliche Entzündungsreaktion auch bei der zweiten Infektion mit einer anderen Variante gut sehen.

Aber um es nochmal zu betonen: Ob die Zahlen jetzt "cum grano salis", also mit einem Körnchen Wahrheit, wirklich so sind, also dass sich das Sterberisiko verdoppelt? Mit solchen Aussagen würde ich sehr vorsichtig sein.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 03. November 2022 | 21:00 Uhr

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