Unter der Lupe Kristin Schwietzer zum Ampel-Aus
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Unter der Lupe – die politische Kolumne Vom Selfie zum Scheitern

10. November 2024, 11:59 Uhr

Er will gehen, aber nicht sofort. Der Kanzler will die Vertrauensfrage erst im Januar stellen. Da will die Union aber schon wählen. Über den Zeitpunkt wird noch gerungen. Seit Mittwochabend ist klar, die Ampel-Koalition ist am Ende. Was einst hoffnungsvoll begann, ist nun gescheitert.

Kristin-Marie Schwietzer
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Das Lächeln der Parteispitzen zu Beginn der Koalitionsverhandlungen sollte zum Symbol einer selbst ernannten Zukunftskoalition werden. Es war der Versuch, ein Bild zu schaffen, das alle Hindernisse überwinden und alle Unterschiede verbinden kann. Doch aus dem Gemeinsam ist schnell ein Gegeneinander geworden. Drei Jahre später steht die Ampel vor ihrem eigenen Scherbenhaufen.

Das Scheitern offenbart tiefe Gräben zwischen den Koalitionären und persönliche Verletzungen zwischen Kanzler und Finanzminister. Olaf Scholz' Rede zur Entlassung von Christian Lindner wird zu einer persönlichen Abrechnung. Die Vorwürfe gehen weit über das Amt des Kanzlers hinaus, für viele Beobachter zu weit.

Keine Gemeinsamkeiten, keine Disziplin, kein Vertrauen

Dabei ist es müßig, jedes Gesetz unter die Lupe zu nehmen, bei dem es Kontroversen gab. Vielmehr offenbaren sich in jedem Dissens, so große, so grundsätzliche und offenbar unüberwindbare Unterschiede. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der FDP passen nicht zu den Klimaforderungen der Grünen. Bürgergeld und Sozialleistungen kürzen, das will die FDP. SPD und Grüne sind dagegen. Investieren und dafür die Schuldenbremse lockern, das wollen SPD und Grüne. Die FDP ist dagegen.

Die DNA von SPD, FDP und Grünen passt nicht zueinander. Vor allem die Liberalen fühlen sich von Anfang an wie das fünfte Rad am Wagen. Schnell entsteht ein vielleicht ungewollter Rhythmus, die Grünen preschen vor, die FDP steigt auf die Bremse, der Kanzler muss moderieren. Dazu kommt der Krieg in der Ukraine und die daraus folgende Energiekrise. Das macht die Unterschiede noch größer. Dem Kanzler gelingt es nicht, die Fliehkräfte einzufangen.

Kanzler ohne Machtoption

Dass Scholz die Flucht nach vorn sucht, die Vertrauensfrage stellen will, wirkt wie ein Befreiungsschlag. Dass er glaubt, er könne irgendwie bis Januar noch regieren und Gesetze beschließen, wirkt wiederum befremdlich. Denn mit dem Ausscheiden der FDP-Minister aus der Bundesregierung ist auch klar, dass Scholz für seine verbliebene Koalition keine Mehrheit mehr im Parlament hat.

Scholz ist ein Kanzler auf Abruf, ohne Macht. Und doch rotiert Scholz, setzt der Union die Pistole auf die Brust. Sie müsse zum Wohle des Volkes noch wichtige Projekte verabschieden. Kaum verwunderlich, dass das bei Friedrich Merz und Co. auf wenig Gegenliebe stößt. Das haben die Strategen von CDU und CSU längst durchgespielt und festgestellt, dass sie aus ihrer Sicht gar nichts mehr müssen und vor allem nicht werden. Keine Zugeständnisse, keine Verhandlungen mehr, so der Tenor aus dem Adenauerhaus und der Fraktion.

Merz will nicht den Steigbügelhalter für Scholz letzte Pläne geben. Erst die Vertrauensfrage, dann könne man über wichtige Themen noch verhandeln. Lieber aber will Merz Neuwahlen so schnell wie möglich. Der Kanzlerkandidat der Union sieht sich selbst schon im Kanzleramt.

Scholz wirkt entrückt

Und der Kanzler? Scholz signalisiert beim EU-Gipfel in Ungarn Gesprächsbereitschaft und stellt schon wieder Bedingungen. Er zeigt sich offen für einen früheren Wahltermin, allerdings nur, wenn die Union noch seinen Vorhaben zustimmt. Es wirkt befremdlich, wie einer, der nicht merkt, dass er keine Bedingungen mehr stellen kann. Die Drähte laufen längst an ihm vorbei. Scholz' Handeln erweckt den Eindruck, als hätte er noch nicht realisiert, was er selbst angestoßen hat.

Das erinnert ein bisschen an Gerhard Schröder, der am Wahlabend das Ende seiner Macht auch nicht akzeptieren wollte. Die Siegerin damals hieß Angela Merkel. Am Ende der Ära Merkel, im Wahlkampf 2021 ist Schröder wieder da für seinen alten Weggefährten. Der Altkanzler unterstützt Olaf Scholz, seinen früheren Generalsekretär, auf dem Weg ins Kanzleramt. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Niedersachsen rezitiert Schröder damals seinen Lieblingsdichter Rilke, den "Panther". Mehr Symbolik geht wohl kaum. Drei Jahre später wirkt manches von Rilkes wohl berühmtesten Gedicht für Scholz wie eine bitterböse Wahrheit: "Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht."

Die Union erhöht den Druck

Wie viel Willen kann Scholz noch aufbringen, ohne sich selbst zu demontieren? Am Mittwoch will der Kanzler eine Regierungserklärung abgeben. Es droht ihm ein Tribunal. Nicht nur die AfD wird versuchen, den Kanzler in der folgenden Aussprache am Nasenring durch die Manege ziehen. Auch die Union wird nicht locker lassen und darauf bestehen, die Vertrauensfrage vorzuziehen.

Ihre Strategie heißt Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident hat als Mitglied des Bundesrates auch im Bundestag Rederecht. Und da kommt einer, der reden kann. Sein letzter großer Auftritt in Berlin war vor der Bundestagswahl 2021 in der Unionsfraktion. Danach war der damalige Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, praktisch erledigt. Mag sein, dass auch das keine feine Art ist. Aber Scholz hat die Tür selbst geöffnet. Er kann, selbst bei der besten Strategie, dieses Szenario nicht mehr für sich entscheiden, ohne sich selbst zu beschädigen. Wie heißt es so schön: Erst das Land, dann die Partei, dann die Person. Hier geht es auch um das Amt.

Der Bundeskanzler sollte sich nicht mehr all zu viel Zeit lassen, um die Vertrauensfrage zu stellen. Es braucht jetzt schnell eine neue Regierung, die rechtzeitig handlungsfähig ist, bevor Donald Trump in Washington die ersten politischen Pflöcke einschlägt.

MDR (amu)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 09. November 2024 | 10:05 Uhr

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