Immobilienmarkt Hohe Mieten: Weg aus der Stadt – ab aufs Land?
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24. Juni 2023, 05:00 Uhr
Auf dem Land stehen viele Wohnungen leer – im Gegensatz zur Stadt. Ideen sind gefragt, wie die Menschen in Kleinstädte und Dörfer gelockt werden können: mit günstigen Mieten, Häusern oder Grundstücken zum Beispiel. Doch kann das so einfach gelingen?
Die Wohnung in Leipzig ist für die Familie kaum noch bezahlbar. "Das ist dann halt auch keine Freude mehr", sagt Claudia Grüneberger. Sie wohnt mit Tochter Mila und ihrem Partner am Lindenauer Hafen – ein Neubauprojekt im beliebten Westen der Messestadt. Es ist modern und geräumig. Doch es gibt eine Indexmiete, und die steigt jedes Jahr. Inzwischen liegt sie bei 1.500 Euro und damit sind es 15 Euro pro Quadratmeter. Da die Familie in Leipzig binnen eines Jahres nichts Günstigeres gefunden hat, suchen sie nun im Umkreis.
"Wir brauchen eine Wohnung, die familiengerecht ist", sagt Grüneberger. Außerdem sei eine gute Anbindung nötig, und das Wichtigste müsse in der Nähe sein. In der am schnellsten wachsenden Großstadt von Deutschland sei es inzwischen zu voll geworden. Deshalb überlegt die Familie nun ins 30 Kilometer entfernte Pegau zu ziehen.
Wir brauchen eine Wohnung, die familien- gerecht ist.
Dort wird ebenfalls gerade ein Gebäude neu gebaut, und die Kaltmiete liegt bei unter neun Euro pro Quadratmeter – in Leipzig sind es bei Neubauten im Schnitt zwölf Euro. Dennoch ist es für die Familie eine große Entscheidung. Mit der Regionalbahn und auch mit dem Auto sind es bis nach Leipzig 30 Minuten Fahrt.
Grüneberger arbeitet bei einer Krankenkasse, der Vater von Mila als Bau-Ingenieur. Er braucht seinen PKW. "Das Problem ist auch, dass man Leipzig hat keine Parkmöglichkeiten hat", sagt Vater Duncan Nel. "Da muss man in der Tiefgarage einen Platz mieten." Das koste zwischen 80 und 100 Euro pro Monat und das komme noch oben drauf – neben den täglichen Kosten für die Fahrt und den Unterhalt des Autos sowie ein Ticket für die Bahn.
Im Speckgürtel wächst die Nachfrage
Dennoch – in Pegau, das zum Speckgürtel von Leipzig gehört, wächst seit einigen Jahren die Nachfrage nach Wohnungen. "Besondere Lockmittel haben wir jetzt nicht hier", sagt Jörg Becker von der für den Neubau zuständigen Wohnungsgenossenschaft Böhlen. Es gebe weder mietfreie Monate noch Begrüßungspakete. "Das hängt damit zusammen, dass wir das Grundstück relativ günstig kaufen könnten, so günstig wie man es in Leipzig nie hätten kaufen können."
In Pegau, der Kleinstadt mit 6.000 Einwohnern, kostet Bauland rund 190 Euro pro Quadratmeter. In Leipzig ist teilweise das Zehnfache üblich. Das schlägt sich auch in den Mietpreisen nieder – wie in den meisten Großstädten in Deutschland. Dort sind bezahlbare Mietwohnung kaum noch zu bekommen.
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stehen in den Metropolen weniger als drei Prozent der Wohnungen leer. Das betrifft neben Leipzig vor allem Dresden, Erfurt, Jena und Gera. In Halle und Magdeburg ist die Lage nicht ganz so dramatisch. Doch um diese Städte herum ist viel Platz und reichlich Leerstand.
Auf dem Land herrscht viel Leerstand
Betroffen ist fast nur der Osten der Bundesrepublik, mit Leerstand oft weit über zehn Prozent. Deutschlandweit stehen 600.000 Wohnungen leer, schätzt der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg: "Das heißt, da könnte man direkt einziehen." Eine Frage sei: Wie werden die Menschen davon überzeugt, auch in abgelegene Regionen zu ziehen? "Und da wäre ein ganz wichtiger Ansatzpunkt, dass man diese Regionen erschließt."
Denn sonst wird es schwer, wie sich etwa in der Altmark zeigt. Die Region im Norden von Sachsen-Anhalt ist besonders strukturschwach. Die Einwohnerzahl sinkt immer weiter, in den letzten zehn Jahren um fünf Prozent. Victoria Mintzlaff ist dort seit fünf Jahren Maklerin und verkauft nur wenige Objekte im Jahr.
Die Leute haben natürlich auch Angst, Geld auszugeben. Man weiß nicht genau, wo die Reise hinführt.
Ein Beispiel: ein Bungalow für 160.000 Euro in Schönhausen. "Mit großem Garten. Ideal für eine kleine dreiköpfige Familie", sagt Mintzlaff. Die Eigentümer seien verstorben, die Kinder hätten eigene Häuser. So etwas erlebe sie in der Region häufiger. Es sei ein Grund für den hohen Leerstand. Angebote für dieses Haus gebe es bisher nicht.
Steigende Zinsen und Baukosten
Die gestiegenen Baukosten wirken sich auch auf den Immobilienmarkt hier aus. "Es hat sich einiges geändert. Die Preise sind runtergegangen, das ist schon zu beobachten", erklärt die Maklerin. "Die Anfragen sind weniger geworden, weil die Leute natürlich auch Angst haben, Geld auszugeben. Man weiß nicht genau, wo die Reise hinführt."
Die Bauten sind meist etwas älter, hinzu kommt häufiger eine schlechte Anbindung, gerade in kleineren Orten in der Altmark. Diese sind meist über Jahrzehnte vernachlässigt worden. Das war ein Fehler, denn die freien Wohnungen auf dem Land würden jetzt dringend gebraucht, meint Immobilienmarkt-Experte Ralph Henger.
"Es ist wichtig, dass die Politik die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass die Divergenzen, die Unterschiede zwischen dem ländlichen Raum und den Städten nicht weiter ansteigen", sagt Henger vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). "Der ländliche Raum, der ist abgehängt. Und hier gilt es eben, die Weichenstellung so zu setzen, dass er nicht weiter abgehängt wird."
Wenn die Anbindung gelingt
Es kann auch gelingen, wieder eine Anbindung herzustellen. So liegt etwa Regis-Breitingen immerhin 35 Kilometer südlich von Leipzig – doch es gibt eine S-Bahn. Die braucht rund 40 Minuten bis in die Stadt. Für Annemarie Stein und René Behrisch gab das den Ausschlag, dorthin zu ziehen: "Also wir wollten eigentlich ursprünglich gar nicht so weit weg von Leipzig und dann haben wir durch Zufall im Internet dieses Baugebiet entdeckt", sagt Behrisch. "Wir haben uns in die Umgebung verliebt."
Wir haben uns in die Umgebung verliebt.
Dort konnten sie sich ihren Traum vom Eigenheim erfüllen, auch wenn ihnen diese Entscheidung nicht leicht fiel: "Natürlich kann man nicht die Vorteile einer Stadt hier aufs Land bringen", sagt Stein. "Es ist immer ein Abwägen. Und so sind wir eben nicht mal aus der Haustür raus und haben gleich die Kultur und die Gastronomie und alles vor der Tür."
Leipzig: Das erste Wort der Tochter war "Tatütata"
Nur hat das Paar in der Nähe von Leipzig kein bezahlbares Grundstück gefunden. In Regis-Breitingen dagegen haben sie viel Platz und einen großen Garten. "Das ist das Eldorado für unsere Tochter. Hier kann sie sich austoben, hier kommen die Nachbarskinder her und dann spielen die hier alle zusammen", sagt Stein und schaut über den englisch anmutenden Rasen.
Die freiberufliche Energieberaterin und der Bankangestellte haben sich in Regis-Breitingen etwas Luxus gegönnt. 550.000 Euro haben sie für ihr Eigenheim ausgegeben. In Leipzig hätten sie das Doppelte bezahlt, sagen sie. "Dieser Blick in diese Natur und diesen Baumbestand, da wird es in der Stadt schon ein bisschen schwierig", sagt Stein.
Der andere Aspekt sei die Ruhe in der Kleinstadt. "Wir haben ja damals in der Südvorstadt gewohnt, direkt an der Kurt-Eisner-Straße, wo mehrmals täglich der Krankenwagen lang gedonnert ist", sagt Stein. Sie sagt über ihre Tochter: "Ihr erstes Wort war Tatütata."
MDR (mpö)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 14. Juni 2023 | 20:15 Uhr