
Projekt gegen Geschichtsrevisionismus Buchenwald, Dresden, "Schuldenbremse": So nutzen AfD und Co. "Fake-History" als Taktik
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11. April 2025, 23:05 Uhr
Das Onlineprojekt "Geschichte statt Mythen" der Friedrich-Schiller-Universität Jena dokumentiert und analysiert geschichtsrevisionistische Inhalte. Projektleiter Jakob Schergaut erklärt, welche historischen Ereignisse von populistischen und rechtsextremen Akteuren genutzt werden, um eine große Bandbreite geschichtsrevisionistischer Legenden zu verbreitet. Zum Teil stehen sie in Kontinuitäten, die bis zur NS-Propaganda zurückreichen.
Am 11. April 1945 wurde das KZ Buchenwald durch die US-Armee befreit. Welche Mythen um Buchenwald gibt es?
Buchenwald ist schon länger von vielen Seiten ein Objekt geschichtsrevisionistischer Angriffe. Die AfD hat 2017 einen Eklat provoziert, als sie an einer Gedenkveranstaltung in Buchenwald teilnehmen wollte. Kurz zuvor hatte Björn Höcke in seiner Dresdner Rede die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen als "dämliche Bewältigungspolitik" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert. Die Gedenkstätte hatte Höcke darauf hin mitgeteilt, dass er bei der Kranzniederlegung zum 27. Januar nicht willkommen sei. Allerdings hat er trotzdem versucht, Zutritt zu erlangen und die Gedenkstätte hat ihm daraufhin Hausverbot erteilt.
Es gibt aber noch extremere Umdeutungsversuche. Seit Jahrzehnten gibt es einen Propagandafilm, der durch rechtsextreme soziale Netzwerke geistert. Dort geht es unter anderem um das Häftlingsbordell in Buchenwald. In Rechtsextremen- und Neo-Nazi-Kreisen wird das Bordell als Beweis für die "guten Zustände in Buchenwald" genutzt.
Eigentlich steckt dahinter aber eine zynische Logik der SS. Das Bordell galt als Belohnung für diejenigen, die hart gearbeitet haben. Die Menschen im KZ hatten aber auf Grund der strengen Lebensmittelrationierungen und den Lebensbedingungen vor Ort überhaupt keine Kraft, noch härter zu arbeiten.
Es gibt noch einen Mythos um Buchenwald, der über Jahrzehnte interdisziplinäre Wissenschaften beschäftigt hat. Welcher ist das?
Zu den wohl bekanntesten Mythen gehört der Lampenschirm, der aus Menschenhaut gefertigt wurde. Anfang der 1990er-Jahre gab es ein Gutachten, demnach der Lampenschirm aus Kunststoff sei. Der Kriminalbiologe Mark Benecke hat dann 2024 bestätigt, dass er doch aus Menschenhaut ist.
Es wird aber von geschichtsrevisionistischer Seite angezweifelt, dass es solche makabren Dinge überhaupt gab. Die öffentlichen Diskussionen gingen sogar so weit, dass die Gedenkstätte Buchenwald auf ihrer Webseite ein Statement veröffentlicht hat und mitgeteilt hat: Doch, Gegenstände aus menschlichem Material gibt es. Die haben wir. Aber wir stellen sie nicht aus.
Sie sagen, der Holocaust ist ein zentraler Bezugspunkt des Geschichtsrevisionismus. Können Sie das im Detail erklären?
Für den Geschichtsrevisionismus geht es ja im Wesentlichen darum, den Nationalsozialismus zu enttabuisieren, zu relativieren und damit die deutsche Geschichte in eine Erfolgsgeschichte, einen positiven Identifikationspunkt umzuschreiben. Da stört die Erinnerung an den Nationalsozialismus und seine Verbrechen zutiefst.
Dementsprechend haben Geschichtsrevisionisten in der Vergangenheit versucht,den Holocaust anzuzweifeln oder komplett zu leugnen. Das ist mittlerweile nicht mehr so dominant in der Szene, da Volksverhetzung nach §130 StGB strafbar ist.
Etabliert hat sich deshalb eine Umweg-Kommunikation. Der Holocaust wird nun nicht mehr in seiner Existenz und Faktizität angezweifelt, sondern es wird von einem "Schuldkult" gesprochen. Das macht beispielsweise die AfD in Talkshows, in Plenardebatten oder anderen öffentlichen Auftritten.
Wie wird beispielsweise das Gedenken an die Bombennacht in Dresden im geschichtsrevisionistischen Sinne genutzt?
An dem Komplex Dresden kann man gleich mehrere Sachen sehen: einerseits zeigt es die Kontinuität von historischer NS-Propaganda im Geschichtsrevisionismus. Viele Mythen, die durch Dresden wiederbelebt werden, gehen auf das Propagandaministerium unter Joseph Goebbels zurück: die nach oben korrigierten Opferzahlen, angebliche Phosphorbomben bis hin zu dem Mythos der "unschuldigen Kulturstadt Dresden". Diese historischen "Fake News" wurden gezielt von der NS-Propaganda in der ausländischen Presse positioniert.
Gleichzeitig gab es später in der DDR keine Form der Aufklärung über diesen Angriff. Denn durch die Erzählung über den Angriff auf Dresden wurden anti-westliche Feindbilder bedient. Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung haben dann Neo-Nazi-Gruppen dieses Geschichts-Vakuum für sich genutzt und daher konnte sich der Aufmarsch am 13./14. Februar erst überhaupt etablieren.
Auf einem Banner beim Dresdner Trauermarsch konnte man das Wort "Bombenholocaust" lesen. Warum ist problematisch?
Der Begriff zielt darauf ab, die Bombardierung Dresdens mit dem Massenmord der Jüdinnen und Juden aus ganz Europa gleichzusetzen. Der organisierte Massenmord ist auf Grund der antisemitischen Vernichtungsideologie der Nationalsozialisten passiert.
Jakob Schergaut (34) ist Sozialwissenschaftler am Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Als Projektverantwortlicher für "Geschichte statt Mythen" dokumentiert und analysiert er Geschichtsrevisionismus in Thüringen und darüber hinaus.
Während die Bombardierung Dresdens, das sogenannte Area- oder Morale-Bombing, Teil einer Kriegspraxis war. Diese war auch in Großbritannien und den USA umstritten, wurde aber deswegen angewendet, weil die deutsche Luftwaffe seit 1940 britische Städte und die zivile Infrastruktur massiv bombardiert hat. Diese Angriffstaktik wurde durch die Allierten als ein Weg bewertet, um die Moral der Deutschen zu brechen. Tatsächlich haben die Nationalsozialisten die Bombardierung Dresdens dann für eine ihrer Durchhalte-Parolen genutzt.
Rechtsextreme oder Rechtspopulisten nutzen die sogenannten "Dogwhistle-Rhetorik". Was ist das?
Man kann sich das vorstellen wie ein Hundepfeife. Daher auch der Begriff. Der Sender sendet auf einer Frequenz die nur seine Rezipienten hören können. Das heißt, wenn wie oben schon erwähnt, Björn Höcke die "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" propagiert, wissen seine Anhänger, was damit gemeint ist.

Was ist damit gemeint?
Die deutsche Geschichte nicht kritisch und reflektiert aufzuarbeiten. Sondern in eine Kraftquelle umzuwandeln, mit der man sich identifizieren kann und aus der die deutsche Nation aufrecht hervorgehen kann. Ganz typisch sind auch antisemitische Codewords oder struktureller Antisemitismus.
Das codiert die AfD beispielweise, indem sie über "globale Elite" oder über "raumfremde Mächte" spricht, die das "globale Geschick" leiten würden. Die globalen Eliten seien für den "großen Austausch" verantwortlich. Der Begriff "raumfremde Mächte" stammt übrigens von Carl Schmitt, dessen politische Theorie gleichermaßen für die alte wie neue Rechte zentral ist.
Neben historischen Ereignissen wie Dresden oder Buchenwald werden aber auch neuere politische Ereignisse von anti-demokratischen Akteuren für Verschwörungsnarrative genutzt. Aktuelles Beispiel: Die Schuldenbremse.
Genau, Björn Höcke hat der CDU, SPD und Grünen vorgeworfen, einen "volkswirtschaftlichen Selbstmord" zu planen und hat sich dabei auf den "Morgenthau-Plan" berufen. 1944 hat der jüdische US-Finanzminister Henry Morgenthau ein Konzept entworfen, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in einen demilitarisierten Agrarstaat zu verwandeln. Irgendwie ist dieser Plan damals durchgesickert. Joseph Goebbels hat das propagandistisch ausgeschlachtet und von "Judas Mordplan" gesprochen. Dazu muss man sagen: Selbst die Amerikaner haben damals nicht viel von Morgenthaus Plan gehalten. Das wurde nie offizielle Politik. Aber bis heute dient dieser Plan als vermeintlicher Beleg für angebliche alliierte oder jüdische Vernichtungspläne gegen Deutschland.
Erreichen Sie mit der Webseite "Geschichten statt Mythen" denn die Menschen, um die es geht?
Das ist eine spannende Frage. Ich denke, das Projekt "Geschichte statt Mythen" ist dazu da, um schnell an gut aufbereitete Informationen heranzukommen. Um die Menschen, die das Thema interessiert aufzuklären. Menschen, die in der Diskussion mit Freunden, Bekannten, Verwandten oder im öffentlichen Raum Diskussionshilfen brauchen.
Wissenschaftsleugner oder überzeugte anti-demokratische Wähler werden wir damit eher nicht erreichen. Das geht nur im persönlichen Gespräch. Es geht um das Schärfen des historischen Urteilvermögens.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | Warum Dresden? Die Macht der Erinnerung | 03. Februar 2025 | 00:00 Uhr