49-Euro-Ticket Deutschlandticket – bringt es die Verkehrswende auf das Land?
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13. Juni 2023, 05:00 Uhr
Die letzten Kilometer muss Sabine Dörr laufen, wenn sie abends mit dem ÖPNV aus Chemnitz nach Hause fährt. Doch das tut sie bislang nur selten, wie so viele Menschen auf dem Land. Nun könnte das 49-Euro-Ticket der Verkehrswende einen Schub geben – und es gibt bereits viele Projekt, die auch kleinere Orte besser erreichbar machen. Die Frage ist nur: Wie lange dauert das?
Direkt vor der Einfahrt ihres Hauses steht die glasverkleidete Haltestelle. Doch den öffentlichen Nahverkehr nutzt Sabine Dörr nur selten. Die Bus-Anbindung nach Chemnitz endet bereits am frühen Abend. In Lichtenau gibt es zwar auch einen Bahnhof. Nur sind es drei Kilometer bis dorthin. Ein Besuch im Theater in der benachbarten Großstadt per ÖPNV ist für die 60-Jährige so keine Option. "Das wäre mir eigentlich zu weit. Dann ist es immer wetterabhängig: regnet es, schneit es. Im Sommer kein Thema, und solange man gut zu Fuß ist."
Auch das Deutschlandticket für 49 Euro im Monat mache die Anbindung nicht attraktiver, findet Dörr. Für ihre Familie rechne es sich nicht, so hatte sie es auch schon bei der Online-Umfrage des Meinungsbarometers MDRfragt geschrieben. "Wenn ich dann mit meinem Partner fahre, da wären wir ja bei 98 Euro. Und für 98 Euro haben sie heute auch wieder einen schönen Tank voll." Sie kenne niemanden, der sich ein 49-Euro-Ticket gekauft habe. In der Gemeinde Lichtenau leben rund 7.000 Menschen, für viele dürfte so das Auto attraktiver bleiben.
Und für 98 Euro haben sie heute auch wieder einen schönen Tank voll.
Auf dem Land ist ÖPNV keine Option
In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wohnt durchschnittlich ein Drittel der Bevölkerung auf dem Land. Laut einer Erhebung von 2017 – der jüngsten zu diesem Thema – werden dort aber nur fünf bis sieben Prozent der Wege mit dem ÖPNV zurückgelegt.
Dörr fährt im täglichen Schnitt über 50 Kilometer mit dem Auto – auch weil sie häufig Freunde und Verwandte chauffiert. Der Grund liege noch in der DDR-Zeit. Da seien viele Frauen nicht selbst, sondern von ihren Männern gefahren worden. "Und wenn die Männer dann nicht mehr da oder krank sind, stehen die Frauen da." Dörr steht in ihrem Haus und schaut aus dem Fenster in Richtung Haltestelle: "Was habe ich immer gesagt? Hier müsste eine Straßenbahn lang fahren."
Streckenausbau dauert lange
Eigentlich ist die Region Chemnitz sogar Vorreiter, was die Straßenbahn-Anbindung vom Land in die Stadt betrifft. Zwar fährt die Bahn nicht direkt am Haus von Familie Dörr vorbei, doch am nächsten Bahnhof – in drei Kilometern Entfernung – hält der Zug zwischen Chemnitz und Mittweida alle halbe Stunde.
Beim "Chemnitzer Modell" wurden dafür alte Bahnstrecken reaktiviert und miteinander verbunden, erklärt der Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Mittelsachsen, Mathias Korda. "Wir haben dazu ein Verkehrssystem eingerichtet, wo man direkt aus der Innenstadt in einem Fahrzeug sitzen bleiben kann und bis ins Umland bis in die Mittelstädte und auf die Dörfer durchfahren kann." Damit habe man mehr Fahrgäste aus dem Auto bekommen.
Doch der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs – zumindest wenn es um den Schienenverkehr geht – ist äußerst langwierig, wie die Ausbaupläne für das Chemnitzer Modell zeigen. "Die Baustufe null haben wir als Erste in Betrieb genommen", erklärt Korda. Doch das sei lange her – 2002. Es ist eine Strecke von 23 Kilometern. "Wir gehen davon aus, auch bei den folgenden Abschnitten werden wir immer über fünf, zehn oder noch mehr Jahre reden, bis die Umsetzung dann richtig vollendet ist."
Forscher: Es braucht mehr Tempo
Drei von sechs geplanten Strecken sind inzwischen in Betrieb. Lange Planungszeiten seien die größte Hürde für den ÖPNV-Ausbau in Deutschland, erklärt Steffen Dutsch. Der Verkehrsforscher an der Technischen Universität Dresden findet: Gute Ansätze gäbe es viele, doch damit mehr Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen können, brauche es auch mehr Tempo. "Wenn von der Idee eines Ausbaus bis zur Verwirklichung um die 20 bis 30 Jahre vergehen, dann ist das schlicht zu lang. Dann ist es eine Generation. Das heißt, wenn ich irgendwo für eine Generation was tun will, dann hat die nichts mehr davon."
Wenn von der Idee eines Ausbaus bis zur Verwirklichung um die 20 bis 30 Jahre vergehen, dann ist das schlicht zu lang.
Der Ausbau der Schiene lohne sich allerdings nur dort, wo viele Menschen leben und mitfahren. Für die letzten Kilometer ins Dorf, wie bei Frau Dörr, oder in Flächenlandkreisen mit wenigen Einwohnern, bedarf es anderer Lösungen.
Hohe Betriebskosten, viele Autos
Ein Beispiel: In den Landkreisen Anhalt-Bitterfeld und Wittenberg im südlichen Sachsen-Anhalt gibt es seit kurzem einen sogenannten On-Demand Nahverkehr. Per App oder Anruf kann einer der momentan 35 Kleinbusse bestellt werden, der die Passagiere dann auf einer flexiblen Route ans Ziel bringt – bis vor die Haustür, wenn gewünscht. Man teilt sich das Fahrzeug des "AnrufbusFlex" mit anderen, die eine ähnliche Route haben. Mit regionaler Abokarte oder einem Deutschlandticket gibt es ordentlich Rabatt auf die Fahrt.
Aber: Ohne Draufzahlen geht es nicht, erklärt Fabian Watzke vom ausführenden Busunternehmen. "Wir sind ganz maßgeblich von den Fahrgeldeinnahmen abhängig, weil die einen nennenswerten Anteil des ÖPNV finanzieren", so der Kaufmännischer Leiter des Vetter Verkehrsbetriebs. Watzke sagt, dass es ohne Aufschlag vermutlich mehr Fahrgäste gäbe, aber es sei finanziell nicht langfristig durchhaltbar.
Doch auch mit Aufpreis verzeichne das Angebot steigende Fahrgastzahlen. Die Bilanz bei einer Pressekonferenz nach den ersten sechs Wochen: 500 Fahrgäste täglich. Für das Unternehmen sei das Ganze effizienter, als große Busse leer durch die Gegend fahren zu lassen.
Laut Verkehrsforscher Steffen Dutsch ist On-Demand Verkehr auf dem Land nur eine Übergangslösung für die Verkehrswende. Denn häufig würden zu wenige Passagiere mitfahren. "Die Problematik des öffentlichen Verkehrs auf dem Lande mit On-Demand-System liegt darin, dass wir ein sehr geringen Bündelungsgrad haben: 1,3 bis 1,8 Personen pro Fahrt." Für den Diplom-Ingenieur passiere damit vor allem eins: "Dass wir im Prinzip eine Art Taxiverkehr oder eine Art vergesellschafteten Individualverkehr haben. Und das ist natürlich auch aus der Sicht der Umwelt problematisch." So gebe es zwar auf dem Papier mehr ÖPNV, aber de facto würden genauso viele Fahrzeuge fahren wie zuvor. Außerdem seien die Betriebskosten sehr hoch.
Bund, Länder und Kommunen: Mehr Geld für Ausbau?
Optimaler wäre es, wenn das 49-Euro-Ticket das Angebot ganz abdecken könnte, ohne dass die Fahrgäste einen Aufpreis zahlen müssen. Dafür sei aber eine andere Finanzierung nötig. "Ganz klar, eine Subventionierung letztlich durch die öffentliche Hand", erklärt der Landrat des Landkreises Wittenberg, Christian Tylsch (CDU). Ihm sei wichtig zu betonen, dass es beim 49-Euro-Ticket spezielle Lösungen für den ländlichen Raum und dünnbesiedelte Gebiete brauche. "Und wenn der Staat sagt, ich gebe sowieso sehr viel Geld in die Subventionierung, dann darf man es bitte nicht nur in den urbanen Gebieten machen."
Flexiblen ÖPNV aufs Land zu bringen kostet viel. Zudem sind Projekte wie der "AnrufbusFlex" noch nicht durch die öffentliche Hand unterstützt. Muss die Bundesregierung also mehr Geld in die Verkehrswende investieren? "Der öffentliche Personennahverkehr ist Ländersache. Also eigentlich ist es Sache der Länder und Kommunen", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Müller. Doch der Bund wisse, dass es auf Dauer nicht mehr zu finanzieren sei.
"Wir arbeiten in Berlin an einem sogenannten Ausbau-Modernisierungspakt für den ÖPNV gemeinsam mit den Ländern", sagt der ausgebildete Lokomotivführer aus Chemnitz. Detlef Müller erklärt, dass dabei auch mögliche Finanzierungsmodelle aufgezeigt würden. "Also es wird nicht so sein, dass der Bund jedes Jahr auch noch mehrere Milliarden rein gibt. Wenn, dann müssen, dass die Länder und die Kommunen auch tun. Wir wissen, dass wir mit der jetzigen Finanzierungsarchitektur nicht mehr weit kommen."
E-Bike statt Bus
Lange Planungszeiten, teure Umsetzung: bis ein ÖPNV-Angebot auch im ländlichen Raum mehr Menschen überzeugt, wird es offenbar noch dauern – oder die Bewohner der Dörfer und Gemeinden müssen sich selbst etwas überlegen.
Sabine Dörr ist seit kurzem im Ruhestand und zumindest für die kurzen Wege soll jetzt das Fahrrad eine Alternative zum Auto werden. In der Garage ihres Hauses stehen nun zwei metallic-weinrote E-Bikes. So will die Rentnerin etwas mehr Sport treiben. Außerdem: "Ich habe hier große Taschen an meinen E-Bikes. Und so will ich auch versuchen, meine Einkäufe zu erledigen."
Quelle: mpö
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 24. Mai 2023 | 20:15 Uhr