Wiese mit Pilzen vor Schloss Tangerhütte
Das Schloß von Tangerhütte Bildrechte: Sylvia Hensel

Trend Besser leben auf dem Land

15. November 2022, 14:48 Uhr

Leben auf dem Land galt lange Zeit als unattraktiv – fehlende Freizeitangebote und die schlechte Infrastruktur trieben viele Landbewohner in die Metropolen. Doch mittlerweile erkennen immer mehr Menschen im Osten das Potential der Regionen abseits der Städte. Mit Kreativität und Engagement erobern sie den ländlichen Raum zurück.

Ein Gourmetrestaurant mitten in der sächsischen Provinz? Was nach einer Schnapsidee klingt, ist im 3.000-Einwohnerort Stauchitz seit 2015 Realität. Im Kochtempel hat die ländliche Küche deutlich mehr vorzuweisen als nur Haxe, Klöße, Bratensoße. Marko Ullrich sei Dank.

Der 39-jährige gelernte Koch kommt gebürtig aus dem Nachbarort Ostrau und hat vor Jahren eine kleine Karriere gemacht: Nach einer Ausbildung im Sauerland verschlug es ihn als Chefkoch in verschiedene Feinschmecker-Lokale, unter anderem nach Leipzig und München. Doch warum sollten Gourmet-Gerichte immer nur in der Stadt auf den Teller kommen? "Ich habe mir damals im Fernsehen viele Kochshows angeschaut. Und ich sah, dass es selbst in einem schwedischen Dorf am Arsch der Welt ein Sterne-Restaurant gibt, das jeden Tag ausgebucht ist", erinnert er sich.

Edelküche auf dem Dorf

Ullrich hat im Laufe seiner Kochkarriere viel gesehen, das Leben in der hektischen Stadt sagte ihm jedoch nie so richtig zu. Mittlerweile wohnt er mit seiner Familie wieder in Ostrau. Zu seiner letzten Arbeitsstelle im Leipziger Stadtpfeifer pendelte er, fuhr mit seinem Auto täglich 150 Kilometer. Als Ullrich eines Tages im Nachbardorf Stauchitz eine geschlossene Dorfkneipe entdeckte, musste er nicht lange überlegen. Er beschloss, dort sein eigenes Restaurant zu eröffnen.

In Stauchitz gibt es kein Cinestar, keinen Technoclub, keinen New Yorker, keinen McDonalds - aber mit Marko Ullrichs Kochtempel eine kulinarische Attraktion. Alles, was hier auf den Tisch kommt, wird frisch zubereitet. Ullrich versucht, regionale Essgewohnheiten zu bedienen, aber darüber hinaus auch Gerichte zu kreieren, wie sie sonst nur Gourmet-Restaurants in den Städten bieten.

Und das Konzept funktioniert: Inzwischen kommen die Gäste aus der gesamten Region. Ganz zur Freude von Marko Ullrich, der in seinem Kochtempel den Fokus jedoch nicht nur auf das Kochen legen will. Er bildet selbst Lehrlinge im Gastronomiebereich aus und will damit jungen Menschen aus der Region eine Perspektive bieten. Fehlende Ausbildungsstellen waren für Ullrich selbst damals der Grund, die Gegend zu verlassen.

Landimmobilien gesucht

Marko Ullrichs Weg, der ihn zurück auf das Dorf ist führte, ist für ostdeutsche Verhältnisse mittlerweile keineswegs ungewöhnlich. Vorbei scheinen die Jahre der unumkehrbaren Landflucht, vieles spricht für eine zunehmende Stadtflucht. So zeigen steigende Immobilienpreise in vielen ländlichen Regionen des Ostens, dass es zunehmend mehr Menschen aufs Land zieht. Darauf deuten zumindest die Ergebnisse einer Erhebung des Portals Immowelt aus dem vergangenen Dezember hin. Für 30 ostdeutsche Landkreise wurde die Entwicklung der Kaufpreise für Immobilien im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr untersucht – und ein durchschnittlicher Anstieg von gut 15 Prozent festgestellt.  

Seit einigen Jahren ziehen wieder mehr Menschen von der Stadt in ostdeutsche Landregionen als umgekehrt. Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung bei den 30-64-Jährigen, wie Daten des Wirtschaftsinstituts ifo belegen. Dennoch heißt das nicht, dass auf dem Land gleich alles gut ist. Es fehlt vielerorts nach wie vor an Freizeitangeboten und es obliegt den alten oder neuen Bewohnern, ihren ländlichen Raum lebendig zu gestalten. Aber es gibt auch immer mehr Menschen, die diese Herausforderung annehmen.

Eine Landstadt mit Jugendclub

Ebeleben ist eine Landstadt im thüringischen Kyffhäuserkreis mit 2.600 Einwohnern. Es wohnen auch noch viele Jugendliche in der Kleinstadt. Ebeleben besitzt sogar einen Jugendclub. Ein Jugendclub ist durchaus keine Selbstverständlichkeit auf dem Land, nicht einmal in der Stadt. In Ebeleben ist er Tradition, eine Einrichtung, die man auch nach dem Ende der DDR nicht abgeschafft hat, und den sich die Kleinstadt - Haushalt hin oder her - bis heute leistet. Nancy Schuder-Ludwig ist Jugendarbeiterin und kümmert sich in Ebeleben um das Freizeitprogramm. "Der Bedarf ist einfach da, es gibt noch genügend Kinder und Jugendliche, die gerne die Angebote wahrnehmen. Und da es sonst kaum Strukturen gibt für Kinder- und Jugendangebote, ist es ganz wichtig, dass das Angebot nach wie vor vorgehalten wird." Eine lohnenswerte Investition, glaubt Bürgermeister Steffen Gröbel. "Uns liegt etwas an der Jugend, die ja auch für die Entwicklung des Orts ungemein wichtig ist." Die jungen Leute sollen möglichst in Ebeleben gehalten werden, um die Zukunft der Gemeinde sicherzustellen.

Perspektiven will auch Ebeleben seinen Einwohnern bieten. In der Kleinstadt im thüringischen Kyffhäuserkreis leben noch viele Jugendliche. Ebeleben besitzt sogar einen Jugendclub - keine Selbstverständlichkeit auf dem Land. In Ebeleben ist er Tradition, eine Einrichtung, die man auch nach dem Ende der DDR nicht abgeschafft hat, und den sich die Kleinstadt - Haushalt hin oder her - bis heute leistet.

Nancy Schuder-Ludwig ist Jugendarbeiterin und kümmert sich in Ebeleben um das Freizeitprogramm. "Der Bedarf ist einfach da, es gibt noch genügend Kinder und Jugendliche, die gerne die Angebote wahrnehmen. Und da es sonst kaum Strukturen gibt für Kinder- und Jugendangebote, ist es ganz wichtig, dass das Angebot nach wie vor vorgehalten wird." Eine lohnenswerte Investition, glaubt Bürgermeister Steffen Gröbel. "Uns liegt etwas an der Jugend, die ja auch für die Entwicklung des Orts ungemein wichtig ist." Die jungen Leute sollen möglichst in Ebeleben gehalten werden, um die Zukunft der Gemeinde sicherzustellen.

Es gibt im Jugendclub eine Chill-Ecke, Billard und Dart, eine Holzwerkstatt und Kochangebote. Für viele Jugendlichen aus Ebeleben war er das Epizentrum ihrer Kindheit. "Ich habe hier viel Zeit meiner Kindheit verbracht, das ist ein gewisser Bestandteil meines Lebens", erzählt Ramon Gröbel, der im örtlichen REWE-Markt gerade eine Ausbildung absolviert. "Ich wollte früher mal nach Hamburg ziehen, weil ich finde, dass das eine sehr schöne Stadt ist. Aber jetzt habe ich nicht mehr die Lust dazu, weil ich hier alles habe, meine Freunde zum Beispiel, und ich hier später auch einmal arbeiten werde. Ich wüsste nicht, warum ich nach Hamburg gehen sollte."

Aus Globalisierung wird Glokalisierung?

Ungeahnte Zukunftschancen für die ländlichen Regionen bietet natürlich die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt. Viele Arbeiten können mittlerweile bequem am heimischen Computer erledigt werden, zeitraubende Fahrten ins Büro lassen sich damit vermeiden. Auch zahlreiche Behörden und sogar Ärzte können per Internet aufgesucht werden.

Einzelne Glasfaserkabel bei Verlegearbeiten
Schnelles Internet macht den ländlichen Raum für viele Berufsgruppen attaktiver Bildrechte: picture alliance / dpa | Julian Stratenschulte

Wird aus der Globalisierung nun eine Glokalisierung: global im Internet unterwegs, aber lokal zu Hause? Die Digitalisierung freilich kann die lokale Infrastruktur - Kindergarten, Schule, Freizeitangebote, ärztliche Versorgung, Bus- und Bahnverbindungen - ergänzen. Aber nur dann, wenn beides in ausreichendem Maß funktioniert, gibt es einen dauerhaften Weg zurück aufs Land.

Tangerhütte: will nicht mehr abgehängter Osten sein

Auch Andreas Brohm ist ein Rückkehrer. Er wurde in Tangerhütte geboren und verbrachte in der Kleinstadt auch seine Jugend. Nach dem Abitur zog er 1998 zum Studium nach Leipzig und arbeitete danach als Musicalmanager in Zürich, Köln und Berlin. "Das Gefühl der Zeit war damals: Nur weg von hier", erinnert sich Brohm. "Ich glaube, 80 Prozent meines Jahrgangs sind weggegangen. Jetzt ist der Zeitgeist aber ein anderer." 2010 zog Andreas Brohm gemeinsam mit seiner Frau und seinen drei Kindern wieder in seine Geburtsstadt zurück. Jetzt ist Andreas Brohm sogar Bürgermeister von Tangerhütte.

Tangerhütte ist eine Einheitsgemeinde mit 32 Ortschaften, die flächenmäßig größer ist als Frankfurt am Main, aber weniger als 11.000 Einwohner hat. Sie steht beispielhaft für das, was ostdeutsche Provinzen seit 1990 erlebt haben: wirtschaftlichen Niedergang, Abwanderung, Überalterung. Der abgehängte Osten eben. Studien zur Wirtschaftsentwicklung auf dem Land geben Gemeinden wie Tangerhütte kaum eine Chance. Die Zukunft des Ostens liege in den großen Städten, die Wirtschaft konzentriere sich in den Ballungszentren um Halle, Leipzig oder Dresden. Doch Andreas Brohm glaubt an diese Region, an ihre Chancen. Und er setzt dabei konsequent auf Digitalisierung. Der Ausbau des Glasfaser-Netzes läuft auf Hochtouren. Auch die Gemeinde-Verwaltung hat Andreas Brohm digital revolutioniert. Ins Rathaus geht man nicht mehr zu Fuß, sondern über eine App.

Günstiger wohnen auf dem Land

Die Gemeinde ist chronisch klamm. Andreas Brohm hat nicht das Geld, das Tangerhütte braucht. Aber er hat Phantasie, den Mut des Tüchtigen und den Zeitgeist auf seiner Seite. Denn mittlerweile ziehen die jungen Leute nicht mehr so ohne weiteres fort und es kommen sogar einige wieder nach Tangerhütte zurück. "Es gibt eine Bushaltestelle in einem Dorf mit 90 Einwohnern bei Tangerhütte. Da stand zehn Jahre lang nicht ein einziges Kind, das mit dem Bus in die Grundschule fahren wollte. Es gab keine Kinder mehr. Jetzt plötzlich stehen da sechs Kinder. Das hat niemand vor zehn Jahren geglaubt, dass da noch einmal sechs Kinder stehen werden." Andreas Brohm braucht dringend neue Leute für seine Stadt, junge Menschen, die wiederkommen und bleiben. Und er setzt auf jene, die sich die teuren Großstädte nicht mehr leisten wollen oder können.

Wohnen in Tangerhütte, arbeiten in Berlin

Eine Autobahn wird für den Verkehr freigegeben.
Tangerhütte profitiert auch von der Nordverlängerung der A14, die 2020 eingeweiht wurde Bildrechte: MDR/Annette Schneider-Solis

Tangerhütte liegt in der Altmark, zwischen Magdeburger Börde und Elbe, nur 120 Kilometer von Berlin entfernt. Wäre die Zuganbindung besser, könnte man problemlos in Berlin arbeiten und in der Altmark wohnen. "In den Großstädten steigen die Mieten und es gibt große Wohnungsprobleme", sagt Brohm. "Wir haben in unserem kommunalen Wohnungsbestand 30 Prozent Leerstand und Kaltmieten von vier Euro. Da stellt sich doch eigentlich nur die Frage: Wie kriegen wir es intelligent organisiert, dass die Leute wieder vermehrt und in großer Zahl aufs Land ziehen?"

Liegt die Zukunft im ländlichen Raum?

Andreas Brohm denkt in die Zukunft. Und es könnte sein, dass die Zukunft der Städte und des ländlichen Raums für seine Ideen spricht. "Ich sehe, dass die Probleme gerade in den Städten liegen", sagt Andreas Brohm. "Es ist zunehmend unattraktiv, dort zu wohnen und das wird sicher nicht besser werden. Und ich sehe, dass das die Chance der Dörfer ist, mit dem, was wir anzubieten haben: Daseinsvorsorge ist vorhanden, Kitas, Jugenclubs sind da, Schulen auch und Einkaufsmöglichkeiten. Es ist alles da. Es ist alles vorbereitet."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hinter den Städten | 27. April 2022 | 20:15 Uhr