Nationale Impfkonferenz Beratungen über wachsende Impflücken auch bei Schulkindern
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14. Juni 2024, 15:57 Uhr
In Rostock-Warnemünde beraten Vertreter von Medizin und Politik über sinkende Impfbereitschaft und sinkende Quoten auch unter schulpflichtigen Kindern. "Problemzonen" sind auch Chemnitz, Halle und die Altmark.
- "Problemzonen" in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
- Auch Migration spielt eine Rolle für die jüngste Entwicklung.
- Und Impfraten bei Erwachsenen sind kein Vorbild.
Am Donnerstag und Freitag beraten Fachkreise und die Politik in Rostock-Warnemünde über das Impfen. Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, lässt in ganz Deutschland nach, stetig und seit Jahren – unter Erwachsenen. Damit aber sinken auch die Impfraten unter gerade schulpflichtigen Kindern, wofür natürlich wieder Erwachsene verantwortlich sind, vor allem Eltern.
Daten von Kindern liegen für Impfungen gegen neun Krankheiten vor: Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Hib (Haemophilus influenzae b), Poliomyelitis, Hepatitis B sowie gegen Masern, Mumps und Röteln.
Die bei amtsärtztlichen Untersuchungen vor dem Schuleintritt ermittelten Impfraten unter Kindern dieses Alters sind relevant – als ein Indikator für die weitere Tendenz beim Impfen und weil sie in Deutschland vorläufig auch die einzigen sind, die auf systematisch erhobenen Daten beruhen.
Masern: Impfnachweis-Pflicht wirkt
Dabei zeigt sich: Eine Impfnachweis-Pflicht wirkt. Während die Impfraten unter Schulkindern in Mittel- und ganz Deutschland seit etwa 2014 sinken, sind sie bei Masern doch gestiegen. Der Grund dafür dürfte vor allem die Impfnachweis-Pflicht für Kita- und Schulkinder seit März 2020 sein.
Damit gestiegen sind auch die Raten bei Impfungen gegen Mumps und Röteln. Der Grund liegt auf der Hand: In Deutschland ist ohne weiteres kein Einzel-Impfstoff gegen Masern verfügbar und die Impfung meist nur gegen alle drei zugleich möglich. Bei allen anderen Impfungen sinken die Raten.
Sachsen: Probleme in Chemnitz
Nach beim Statistischen Landesamt veröffentlichten Zahlen für Sachsen scheinen Impfungen vor allem in Chemnitz ein Problem zu werden. Dort ging etwa der Anteil der vor Schuleingang voll gegen Hepatitis B geimpften Kinder von 2013 schon niedrigen 81,5 Prozent auf 77,8 zehn Jahre später zurück, eine der niedrigsten Impfraten überhaupt.
Dabei fällt Chemnitz – auch im Vergleich etwa mit Dresden, Leipzig und Landkreisen – durch niedrigere Raten auch bei den Impfungen gegen andere Krankheiten auf, etwa Poliomyelitis und Tetanus.
Auch bei Masern hatte die Stadt für das Einschulungsjahr 2023 und die vollständige Impfung mit 94 Prozent den geringsten Wert aller Städte und Kreise in Sachsen. Zehn Jahre zuvor und vor der Impfnachweis-Pflicht für Kita und Schule wurde der damals sachsenweit drittniedrigste Wert in Chemnitz noch von den Nachbarkreisen unterboten – vom Erzgebirgskreis mit 64,1 Prozent und 64,2 Prozent im Kreis Sächsische-Schweiz-Osterzgebirge.
Probleme in Halle und im Norden
Nach den Zahlen aus Sachsen-Anhalt lag etwa bei Impfungen gegen Poliomyelitis die Rate voller Grundimmunisierungen bei 2023 eingeschulten Kindern bei 89,4 Prozent. Sie ging von 96 Prozent 2004 und noch 95,7 Prozent 2015 stetig zurück. Zuletzt lagen sechs Landkreise, darunter die um Salzwedel und Stendal, und die Stadt Halle unter 90 Prozent. Die höchste Polio-Impfquote hatte der Landkreis Harz mit 94,6 Prozent. Doch auch dieser Wert lag schon unter dem WHO-Mindestziel 95 Prozent.
Nicht anders sieht es bei Diphtherie und Tetanus aus. Bis 2015 lagen Impfraten bei 96 bis 97 Prozent – jetzt bei 91,2 im Landesdurchschnitt. In Halle waren es nur noch 84,2 Prozent. Wieder lagen auch hier die Altmark-Landkreise unter 90 und die höchste Quote im Harz bei 95,2 Prozent.
Tendenziell zeigen die Zahlen für Schulanfänger, dass in den beiden Kreisen im Norden und in Halle weniger geimpft wird, mehr dagegen im Harz, auch im Burgenlandkreis und der Börde. Einzig in Halle lag zuletzt bei Hepatitis B die Impfrate sogar unter 80 und bei den sonst auch in Sachsen-Anhalt viel besser geimpften Masern für die zweite MMR-Spritze noch unter 95 Prozent.
Landeshauptstadt impft nicht mit
Aus den Zahlen für Thüringen sticht auch Erfurt negativ heraus, etwa mit einer Rate vollständiger Hepatitis-B-Impfungen im Einschulungsjahrgang 2023 von nur 80,9 Prozent. Auch der Kreis Saalfeld-Rudolstadt und Jena lagen hier klar unter 90 Prozent. Auch bei anderen Impfungen leuchten Erfurt, Saalfeld-Rudolstadt, auch Greiz oder Suhl auf der "Thüringer Gesundheitsplattform" öfter in Hellblau auf – was so viel bedeutet wie: Hier sind im Vergleich weniger Kinder als anderswo den Empfehlungen entsprechend geimpft.
Auch hier aber gilt das nicht für Masern, Mumps und Röteln, wegen der Nachweis-Pflicht für Masern-Impfungen in Kitas und Schulen. Nach einigen Klicks ist das auf der "Gesundheitsplattform" unter "Gesundheitsversorgung" im Abschnitt "Kinder- und Jugendgesundheit" übersichtlich dargestellt.
Auch Migration ein Grund für sinkende Quoten
Mediziner sehen die Entwicklung mit Sorge: "Damit sinkt der Gesamtschutz der Bevölkerung", sagte etwa Gunther Gosch, Kinderarzt und Ärztekammer-Vorstand in Sachsen-Anhalt der "Mitteldeutschen Zeitung".
Als Gründe für sinkende Impfraten unter Kindern und generell geringere Impfbereitschaft nannte der Kinderarzt Detlef Wend aus Halle der Zeitung auch Faktoren wie Bildung und Migration. Flüchtlinge aus arabischen Ländern und aus der Ukraine etwa seien doch häufiger unvollständig geimpft, und "einige rumänische Familien erlebe ich als sehr impfkritisch".
Statistiken legen durchaus einen Zusammenhang zwischen Reise- und Migrationsbewegungen mit beispielsweise häufigeren Masern-Ausbrüchen nahe, wie hier für Sachsen-Anhalt zu sehen und hier für die bundesweite Entwicklung, da sie gerade im Jahr 2015 deutlich zunahmen.
Im Vogtland war es im Februar dieses Jahres zu einem Masernausbruch gekommen, bei dem zwölf ungeimpfte Kinder im Alter von einigen Monaten bis 13 Jahren aus zwei zugereisten Familien erkrankten.
Wo sie infiziert wurden, wurde dabei nicht ganz klar. Passieren kann ihnen das auch in Deutschland, denn deutsche Erwachsene sind ebenfalls – auch gegen Masern – kein sonderlich Erwachsene gut geimpftes Publikum.
Erwachsene: Impfraten unter 50 Prozent
Verantwortlich für Impflücken und die gelegentliche Weiterverbreitung von Erregern sind meist Erwachsene und dabei nicht nur Eltern, wenn auch sie für zumindest eigene Kinder besondere Verantwortung tragen.
Wie es bei den Erwachsenen selbst aussieht, ist schwerer zu beurteilen, die Datenlage dünner. Denn neben den auf gesetzlicher Grundlage erhobenen Daten von Kindern gibt es laut Robert-Koch Institut in Deutschland gar "kein einheitliches umfassendes System" dafür. Stichproben und Querschnittsdaten ermöglichen also für die Gesamtlage bei Erwachsenen nur Schätzungen.
Auf solcher Basis berichtete das RKI für die Pandemie-Jahre 2020 und 2021 zwar von gestiegenen Impfquoten – bei Covid-19 natürlich –, aber auch gegen Influenza, Pneumokokken, Masern. Insgesamt, schreibt das RKI zu diesem Thema, "erscheint die Nutzung von Impfstoffen im Erwachsenenalter jedoch weiterhin verbesserungswürdig". Demnach dürften die Raten bei den meisten der für Erwachsene empfohlenen Impfungen unter 50 Prozent liegen.
Insbesondere jüngere Menschen seien kaum nach Stiko-Empfehlungen geimpft, etwa 18 bis 49 Jahre alte Risikopatienten zu weniger als 20 Prozent gegen Influenza oder Pneumokokken. Auch vom Ziel einer Influenza-Impfrate von 75 Prozent bei Senioren sei Deutschland mit 43 Prozent weit entfernt.
MDR AKTUELL
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 13. Juni 2024 | 19:30 Uhr