Angriffe auf Politiker Expertin: Die Strategie der Einschüchterung an der Wurzel packen
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05. März 2024, 05:00 Uhr
Hass und Wut auf Politiker nehmen zu, der Protest wird militanter und so für einige Menschen zur Gefahr für Leib und Leben. Das hat Folgen für die Betroffenen und auch für die Demokratie, erklärt Konfliktforscherin Lotta Rahlf. Sie sieht eine Lösung in drei Schritten.
- Die drastische Wirkung tätlicher Angriffe
- Eine Lösung in drei Schritten
- Welchen Hintergrund haben extreme Gewalttaten
Welche Art von Angriffen gibt es?
Lotta Rahlf: Von Hasskommentaren im Netz bis zu tätlicher Gewalt und wirklich sehr starken Übergriffen und Anschlägen ist da alles möglich.
Und es gibt immer mehr Angriffe auf Politiker, wie Statistiken und Studien belegen.
Ja, das zeigen sowohl die Kriminalstatistik der Polizei und des Bundeskriminalamtes als auch zahlreiche Studien. Die Heinrich-Böll-Stiftung spricht dabei auch von mehreren Wellen der Gewalt.
Zur Person: Lotta Rahlf ist Doktorandin am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. Sie forscht seit Jahren zum Thema Gewalt an Politikerinnen und Politikern. Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt in der Prävention von gewaltbereitem Extremismus in Deutschland und anderen Ländern.
Wann hat es diese gegeben?
Die erste Welle gab es kurz nach der Flüchtlingskrise in den Jahren 2016 bis 2017 und dann noch mal, als die Zahlen dann wieder ein bisschen abgeflacht sind, circa 2018 bis 2020. Dazu sind auch viele Studien entstanden.
In der aktuellen Umfrage eines Fachmagazins berichten 72 Prozent der Bürgermeister von Gewalt, fast jeder zweite Kommunalpolitiker sagt, er sei auch betroffen. Wie sind die häufigsten Formen?
Am häufigsten sind es Hasskommentare oder auch verbale Angriffe. In deutlich geringerer Zahl gibt es auch tätliche Angriffe, aber deren Wirkung ist natürlich deutlich drastischer.
So wie etwa bei einem der jüngsten Fälle, als der Briefkasten des SPD-Politikers Michael Müller und ein Auto angezündet wurden. Er hat sich bei Demonstrationen pro Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagiert. Ist er deshalb ins Visier geraten und angegriffen worden?
Also politisches Engagement gegen rechts ist bereits in mehreren Fällen und auch in der Vergangenheit auch eine Angriffsfläche gewesen. Doch das soll natürlich auf gar keinen Fall so sein, dass man durch politisches Engagement angreifbar wird.
Wie meinen Sie das?
Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich gegen rechts engagieren, Opfer von solchen Angriffen werden. Das ist eine gesellschaftliche und politische Aufgabe, der wir uns angesichts dieser Fälle jetzt auch stellen müssen.
Naiv gefragt: Warum ist das so wichtig?
Na ja, sonst wird erreicht, was die Täter damit bezwecken wollen. Das heißt: Eine Einschüchterung dieser Personen. Und das führt dann womöglich bei den Betroffenen dazu, dass sie sich aus ihrem politischen Amt zurückziehen. Und so könnte es dazu führen, dass sich weniger Menschen gegen rechts engagieren. Damit wäre das Ziel der Täter natürlich erreicht.
Damit wäre das Ziel der Täter natürlich erreicht.
Das muss aber nicht die Folge sein?
Das muss nicht so sein. Es gibt auch Betroffene, die dann eine jetzt-erst-recht-Mentalität entwickeln. Aber häufig findet eben eine Verhaltensänderung statt. Das zeigen auch die Studien. Außerdem: Eine zweite demokratiegefährdende Wirkung ist, dass eben das politisch Amt an sich, durch die Möglichkeit von solchen Taten betroffen zu sein, einfach an Attraktivität verliert. Auch das würde unsere Demokratie nachhaltig schädigen.
Meiner Meinung nach muss man in drei Schritten vorgehen. Einerseits braucht es eben ganz klare Hilfsstrategien im Umfeld der betroffenen Person. Also, wenn so eine Tat passiert, dann muss es Unterstützungsstrukturen im sozialen und persönlichen Umfeld der Person geben. Gott sei Dank hat sich das in den letzten Jahren sehr gut entwickelt und es gibt zahlreiche Beratungsstrukturen.
Zweitens?
Wir benötigen eine ganz konkrete und konsequente Strafverfolgung, damit die Taten nicht ungesühnt bleiben. Und drittens ist natürlich der präventive Aspekt besonders zentral. Denn hier muss einfach dafür gesorgt werden, dass solche Taten gar nicht erst ein vermeintliches Mittel sind, um politische Ideen zu vollenden.
Was meinen Sie damit?
Wir müssen gesamtgesellschaftlich präventiv tätig werden: Das heißt durch Projekte und Programme dafür sorgen, dass rechte Narrative gar nicht erst in unserer Gesellschaft Fuß fassen können. Damit die Strategie der Einschüchterung von der Wurzel her angefasst wird.
Gilt dies nur für die Rechte? Denn nach den vorläufigen Zahlen gab es von 2019 bis 2023 über 10.537 politisch motivierte Straftaten. Dabei sind Amtsträger von allen Parteien betroffen. Auch bei AfD-Politikern hat es Brandanschläge auf Autos gegeben.
Letztendlich müssen wir auch bei den gesellschaftlichen Umgangsformen ansetzen. Aber vor allen Dingen bei den Taten, die auch eher rechts motiviert sind. Dass wir diese rechten Gedanken, dass eben Gewalt gegen Politiker legitim sein könnte, gar nicht erst entstehen lassen.
Es gibt eine Zunahme auf allen Ebenen: von Bundesebene bis Kommunalpolitik, von Hass und Hetze im Netz bis hin zu Brandanschlägen. Wie viele von diesen politisch motivierten Taten kommen tatsächlich aus dem rechten Spektrum?
Die aktuellen Studien dazu laufen noch. Aber gerade wenn es um extreme Gewalttaten geht – wie etwa um Brandanschläge –, ist es doch sehr häufig so, dass sie einen rechtsextremen Hintergrund haben.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 28. Februar 2024 | 20:15 Uhr