Opioid Fentanyl: Die "Zombie-Droge" kommt auch nach Ostdeutschland

17. Oktober 2024, 06:43 Uhr

In Deutschland breitet sich Fentanyl immer weiter aus und könnte eine neue Drogenkrise auslösen. Das Opioid wirkt deutlich stärker als Heroin und könnte aber bald stärker verbreitet sein. Inzwischen ist es auch in Ostdeutschland angekommen.

Die Droge Fentanyl ist auch in Ostdeutschland angekommen und breitet sich offenbar weiter aus. "Das erste Mal bin ich mit 15 damit in Berührung gekommen. Das war vor viereinhalb Jahren", sagt Lennart. Der 19-Jährige sitzt auf einer Parkbank in Dresden. Er hat das Abi geschmissen und schon fast alle Drogen probiert – inklusive Fentanyl.

Das Opiod hat vor allem in den USA und Kanada zu einer schweren Krise geführt. 75.000 Fentanyl-Tote hat es 2023 in den USA gegeben. Das sind drei Viertel aller Drogentoten. Die US-Regierung hat deswegen bereits 2017 den nationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Tausende Abhängige leben im Elend auf der Straße, haben aufgrund der Sucht alles verloren. Bei dauerhaftem Konsum sorgt Fentanyl dafür, dass Muskeln versteifen und nicht mehr richtig funktionieren. Die Folge sind ein unrunder Gang und eckige Bewegungen, daher wird auch von einer "Zombie-Droge" gesprochen.

Wir haben in Deutschland sehr viel pharmazeutisches Fentanyl, was unterwegs ist.

Maria Kuban Deutsche Aidshilfe

Experten befürchten, dass es in Deutschland zu einer ähnlichen Opioid-Krise kommen könnte. In Frankfurt am Main oder Berlin ist Fentanyl längst auf dem illegalen Drogenmarkt angekommen. Das Opioid rückt langsam in den Fokus von Behörden und Hilfsorganisationen. Im Sommer hatte der Bundesdrogenbeauftragte zu einem Expertengespräch geladen, um die Fentanyl-Lage in Deutschland zu besprechen.

Daran hat auch Maria Kuban von der Deutschen Aidshilfe teilgenommen und sie sagt: "Wir haben in Deutschland sehr viel  pharmazeutisches Fentanyl, was unterwegs ist." Es werde viel davon an Schmerzpatienten verschrieben. Die Droge sei auf dem Schwarzmarkt unterwegs und es werde konsumiert. "Deutschland hat fast 30 Prozent Weltmarktanteil  an der Fentanyl- und Synthetische Opioide-Produktion im pharmazeutischen Bereich."

Die Gefahren von Fentanyl

In Halle an der Saale zieht Sven eine Tablettenpackung aus seinem Rucksack. Darin hat er ein Fentanyl-Pflaster versteckt. "Das ballert ganz schön", sagt er. Fentanyl ist rund 50-80 mal stärker als Heroin. Der Mann und seine Freundin Sandra haben langjährige Drogenerfahrung und sind jetzt in der Substitution, in einem Drogenersatzprogramm. Doch trotzdem ginge es nicht ohne zusätzliche Drogen.

"Wir nehmen beide Fentanyl, wir sind beide im Methadonprogramm, wir nehmen alles beides", sagt Sandra und beschreibt ihre Erfahrung mit Fentanyl: "Bei mir ist es so, als würde ich in die Ecke gedrückt." Das sei für sie ein positives Gefühl.

Doch die Frau hat mit dem Opioid auch schon Probleme bekommen: "Ich hatte letzten Sommer einen Herzstillstand gehabt", sagt Sandra. Da sie auch andere Drogen nimmt, ist es schwer zu ermitteln, ob das nur am Fentanyl lag.

Wenn Afghanistan weniger Heroin produziert

Experten befürchten, dass Fetanyl künftig sogar Heroin vom Drogenmarkt verdrängt. "Es gibt Hinweise der UN darauf, dass der Hauptproduzent des Heroins, nämlich Afghanistan, die Anbauflächen deutlich reduziert hat", sagt Rüdiger Scholke, der Opioid-Experte des Berliner Drogennotdienstes, einer der ältesten Drogenhilfsorganisationen Deutschlands. "Wir befürchten, dass damit weniger Heroin in Europa landet." So stiegen die Preise.  Fentanyl ist extrem gefährlich, weil es so hoch wirksam ist und es leicht zu Überdosierungen kommen kann. 


Opioide Opioide sind eine Gruppe von Substanzen, die sowohl natürliche als auch synthetische Schmerzmittel umfassen und wegen ihrer stark schmerzlindernden Wirkung häufig in der Medizin eingesetzt werden. Bekannte Opioide sind neben Fentanyl auch Morphin und Heroin.

Wenn Schmolke in die USA schaue, wo Fentanyl eine Marktdominanz hat und in einigen großen Städten auch Heroin als die Hauptdroge bereits abgelöst hat, dann "befürchten wir, dass sich Fentanyl auch hier in kurzer Zeit sehr stark verbreiten kann."

Der Experte zeigt, wie die Droge im Netz vertrieben wird und schaut auf sein Handy: "Und Telegram ist ja so, dass die erst mal wenig mit den Behörden kooperieren und ihren ganzen Algorithmus", sagt Schmolke. Schnell hat er einen entsprechenden Kanal gefunden: "Und genau, da haben wir einiges, zum Beispiel Fentanyl powder, 150 Pfund per gramm. Ein Gramm ist schon eine mächtige Menge, das sind 500 Dosen."

Drogen als Bezahlung für Hilfe in der Nachbarschaft

Lennart aus Dresden wäre fast an einer Überdosis gestorben – kurz vor seinem 17. Geburtstag. "Es war wirklich ganz, ganz, ganz kurz davor, dass ich nicht mehr hier stehen würde", sagt er. Er bereut zutiefst, überhaupt mit Drogen angefangen zu haben. Als er das erste Mal mit Fentanyl in Berührung kam, habe er es sublingual genommen. "Kleine Karo-Größen, Plättchen abgeschnitten mit einer Schere. Muss man sehr, sehr vorsichtig sein." Die Droge ist nur schwer zu dosieren.

Das hätte mein Tod sein können.

Sven Fentanyl-Konsument

Das Problem kennen auch Sandra und Sven, die in Eisleben bei Halle in Sachsen-Anhalt leben. "Es ist die Lagerung", sagt Sven. "Wenn man es hinstellt, kann es sein, dass der Wirkstoff nach unten fließt." Das könne gefährlich werden, warnt er. "Da könnte man ein Stück erwischen, wo mehr Fentanyl drin wäre, als oben."

Das Paar hatte zuvor über Monate einen älteren Schmerzpatienten aus der Nachbarschaft im Haushalt unterstützt. Dafür wurden sie mit Fentanyl-Pflastern "bezahlt", erzählen sie. "Naja, jeden Tag haben wir vielleicht zwei, drei Pflaster gekriegt", sagt Sven.

Svens Drogen-Laufbahn begann mit Heroin. Am Ende brauchte er immer stärkere Opioide und landete schließlich bei Fentanyl. "Ich habe mal sechs Pflaster innerhalb von zwei Tagen reingeraucht", sagt Sven. "Das hätte mein Tod sein können." Trotz Substitution sieht er derzeit keinen Weg heraus aus der Sucht.

"Wir haben in den letzten drei Jahren in Deutschland beobachtet, dass es über 260 Drogentodesfälle gibt, die mit Fentanyl zusammenhängen", sagt Maria Kuban von der Deutschen Aidshilfe. "Also wir sehen die Gefahren und wir sehen auch keinen Grund, warum es vor Deutschland Halt machen sollte."

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exactly | 16. Oktober 2024 | 20:45 Uhr

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