Tabletten in einer Plastiktüte
Ob in Tablettenform oder als Pflaster: Fentanyl wird eigentlich als Mittel bei starken Schmerzen, etwa bei Tumorpatienten, eingesetzt. Bildrechte: IMAGO/ZUMA Wire

Gefährliche Opioide Mit Fentanyl verunreinigte Drogen in Europa – Experten fordern Prävention

11. Februar 2024, 10:48 Uhr

In den USA spitzt sich die Opioidkrise seit Jahren immer weiter zu und kostet jährlich rund 100.000 Menschen das Leben. Auch in Europa werden vereinzelt mit dem synthetischen Opioid Fentanyl verunreinigte Substanzen entdeckt. Experten warnen vor Panikmache, aber mahnen zu Vorsicht und vor allem zu präventiven Maßnahmen.

Die Opioid-Krise in den USA spitzt sich seit Jahrzehnten zu und kostet jährlich rund 100.000 Menschen das Leben. Neben dem hochpotenten Opioid Fentanyl konsumieren viele Abhängige dort inzwischen auch das Beruhigungsmittel Xylazin, eigentlich ein Beruhigungsmittel für Tiere. Xylazin verstärkt den Rausch von Fentanyl, und – daher kommt der Name "Zombie-Droge" – verursacht bei vielen Abhängigen bei regelmäßigem Konsum auch große und tiefe Wunden mit abgestorbenem Gewebe. Dafür ist die lokal gefäßverengende Wirkung verantwortlich: "Bei regelmäßigem Missbrauch kommt es zu dauerhaft schlecht durchbluteten Hautarealen mit beeinträchtigter Wundheilung und infiziertem Gewebe", erklärt die Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ).

Die Opioidkrise in den USA Opioide enthalten opiumartige Wirkstoffe, die natürlicherweise im Schlafmohn vorkommen. Am bekanntesten ist Morphin. Opioide hemmen gezielt die Schmerzübertragung.

Opioide sind für die Mehrheit der tödlichen Überdosen in den USA verantwortlich. Seit 2021 gingen nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC mehr als 75 Prozent aller Todesfälle auf Opioide zurück. Das umfasst sowohl Schmerzmittel als auch illegale Drogen wie Heroin.

Viele Experten führen die Opioid-Krise auf die übermäßige Verschreibung opioidhaltiger Schmerzmitteln zurück, die bis Mitte der 1990er Jahre noch der Behandlung von Schwerstkranken vorbehalten waren. Den Herstellern sowie Großhändlern und US-Apotheken wird vorgeworfen, die Mittel aggressiv beworben und auf Warnzeichen der Suchtkrise nicht reagiert zu haben. 

(dpa)

Von solchen Bildern ist Deutschland noch weit entfernt, dennoch warnen Expertinnen und Experten aus der Drogen- und Suchtforschung vor einer Ausbreitung synthetischer Opioide wie Fentanyl in Europa. Ende des vergangenen Jahres habe es in Irlands Hauptstadt Dublin mehr als 50 Drogennotfälle binnen vier Tagen im Zusammenhang mit Opioiden gegeben – das deute darauf hin, dass diese Stoffe in Europa auf dem Vormarsch seien, erklärten der Bundesverband für Drogenarbeit "Akzept", die Deutsche Aidshilfe und die Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen in einer gemeinsamen Mitteilung.

Drugchecking Berlin: Bisher kein Fentanyl in Proben entdeckt

In Deutschland haben zuletzt Meldungen über Fentanyl in einer Partydroge in Berlin für Aufsehen gesorgt. Die Meldungen, die schnell in sozialen Medien wie Instagram kursiert sind, haben sich mittlerweile aber als falsch erwiesen.

Der Pharmazeut Tibor Harrach hatte genau diese Partydroge in den Händen. Und er gibt Entwarnung: Fentanyl war in der Probe nicht enthalten. Harrach ist pharmazeutischer Koordinator des Drugchecking Projekts in Berlin. Drei Anlaufstellen gibt es in der Hauptstadt, an die sich Konsumentinnen und Konsumenten wenden können, um erworbene Substanzen anonym und kostenfrei auf ihre Inhaltsstoffe überprüfen lassen zu können. Das Angebot besteht seit Juni 2023.

"Im Jahr 2023 wurden im Drugchecking-Projekt Berlin 1.092 Proben abgegeben und analysiert. Darunter waren keine synthetischen Opioide", sagt Harrach.

Was ist Fentanyl? Fentanyl ist rund 50-mal stärker als Heroin und rund 100-mal stärker als Morphin. Es ist ein künstlich hergestelltes Opioid und wird als Medikament bei starken Schmerzen verabreicht. Bei einer Narkose oder einer Akutbehandlung von Schmerzen wird Fentanyl intravenös gespritzt.

Bei besonders akuten Schmerzen kann das Mittel auch als Nasenspray oder als Lutschtablette eingenommen werden. Seit den 1990er-Jahren wird Fentanyl auch in der Form von Pflastern eingesetzt. Dabei gelangt der Wirkstoff langsam über die Haut in die Blutbahn. Wegen seiner starken Wirkung gehört Fentanyl zu den verschreibungspflichtigen Betäubungsmitteln.

Opioide wie Fentanyl: Die Gefahr der Überdosierung ist extrem hoch

Experten zufolge besteht jedoch die Gefahr, dass Heroin immer häufiger synthetische Opioide wie Fentanyl beigemischt werden. Diese Stoffe wirken um Einiges stärker als Heroin, Konsumierende könnten Dosierung und Wirkung daher nur schwer einschätzen, sagt der Suchtforscher Daniel Deimel von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Die Opioide beeinträchtigten die Atmung, was schnell tödlich verlaufen könne. Deimel zufolge sind auch in Deutschland solche Stoffe schon nachgewiesen worden – wenn auch nicht in großem Maßstab.

RAFT-Modellprojekt hat Testungen von Straßenheroin ermöglicht

Um vorzubeugen und Fentanyl-Beimischungen in Straßenheroin möglichst früh zu erkennen, ist bereits am 1. Dezember 2022 das Bundesmodellprojekt "Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen" (RAFT) gestartet. RAFT wurde vom Bundesgesundheitsministerium gefördert, von der Deutschen Aidshilfe geleitet und in insgesamt siebzehn Drogenkonsumräumen deutschlandweit umgesetzt. Die Ergebnisse sollen in der kommenden Woche veröffentlicht werden.

"Straßenheroin ist normalerweise gestreckt und die Konsument:innen haben Erfahrungswerte, wie stark die Drogen wirken. Wenn sie aber nicht wissen, dass hochwirksames Fentanyl beigemischt ist, kann der Konsum lebensgefährlich sein", erklärte RAFT-Projektleiterin Maria Kuban zum Projektstart. "Schon eine winzige Menge, etwa so viel wie ein paar Salzkörnchen, kann eine tödliche Überdosierung auslösen."

Immer weniger Heroin gelangt nach Deutschland

"Synthetische Opioide haben ein ähnliches Wirkspektrum wie Heroin, sind aber deutlich potenter und nicht so gut dosierbar", sagt auch Suchtforscher Daniel Deimel. Die Gefahr für Überdosierungen sei extrem hoch.

Das Problem, so bizarr es klingen mag: Heroin wird in Deutschland bzw. in Europa immer knapper. Weil die Taliban offenbar die Produktion von Schlafmohn verboten haben, ist die Opiumproduktion in Afghanistan eingebrochen – bisher der Hauptlieferant für das Heroin, das auch in Deutschland landet.

Suchtforscher Daniel Deimel geht davon aus, dass derzeit noch Heroin nach Deutschland gelangt. Doch mit einer Verzögerung werde sich der Einbruch in Afghanistan auf dem deutschen Markt bemerkbar machen. Er gehe von einem zeitlichen Puffer von rund zwölf Monaten aus. Deimel befürchtet, dass sich der Markt verändern wird, wenn zu wenig Heroin in Deutschland ankommt. Und das könnte gefährliche Auswirkungen haben. Heroin könnte dann durch synthetisch hergestellte Opioide gestreckt werden – eben auch mit Fentanyl.

Umso wichtiger sei es, jetzt schon vorbeugend zu handeln und in Deutschland eine Testinfrastruktur zu schaffen – nicht nur in Drogenschutzräumen, sondern auch für den häuslichen Gebrauch, sagt der Experte.

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2,3 Millionen Deutsche sind medikamentenabhängig, vor allem von Benzodiazepinen und Opioiden. Spätestens seit der Corona-Pandemie nehmen immer mehr junge Leute Benzos – mit gravierenden Folgen.

MDR AKTUELL Fr 21.04.2023 09:47Uhr 27:02 min

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Großer Andrang beim Drugchecking-Projekt in Berlin

Ähnlich wie der Suchtforscher Deimel schätzt auch Tibor Harrach die Lage ein. Fentanylverunreinigungen im Partydrogenbereich hält er für weniger wahrscheinlich als bei Heroin. "Wenn eine Versorgungslücke mit Heroin entsteht, ist es wahrscheinlich, dass sie mit synthetischen Opioiden gefüllt wird", sagt Harrach.

Doch einen positiven Effekt habe der alarmierende Fentanyl-Verdachtsfall in der Berliner Partyszene gehabt, sagt der Pharmazeut: Die Anlaufstellen des Berliner Drugchecking-Projekts seien anschließend so stark frequentiert worden, dass vermehrt Leute abgewiesen werden mussten. "Zumindest in dieser Szene herrscht eine gewisse Awareness (dt.: Achtsamkeit, Bewusstsein). Die Konsumierenden haben mit dem Drugchecking Zugang zu qualitativ hochwertigen Testmöglichkeiten und sie nutzen sie auch."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 10. Februar 2024 | 08:11 Uhr

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