Eine junge Frau mit den Händne vorm Gesicht - dahinter Medikamente. Symbolbild Medikamentenabhängigkeit
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 76) Süchtig auf Rezept - Abhängig von Medikamenten

Audiotranskription

21. April 2023, 09:49 Uhr

Gast: Milan Schnieder
Moderation: Secilia Kloppmann

Dir wird halt auf einmal extrem warm um die Beine, um deinen Körper, und du fühlst so ein Glücksgefühl in deinem Magen, als wärst du in Watte eingerollt. Und man wünscht sich in diesem Moment einfach nur, dass es einfach immer so bleibt.

"Maurice", medikamentenabhängig "Süchtig auf Rezept" MDR exactly

Wenn du dann so eine Pille hast, die du nimmst und die gibt dir das komplett wieder. Du nimmst die und 40 Minuten später bist du der sozialste Menschen und kannst du in riesen Menschengruppen rein und dieses Panikgefühl existiert gar nicht mehr. Dann ist das eigentlich gefühlt safe, dass du süchtig wirst.

t-low, Rapper "Süchtig auf Rezept" MDR exactly

Oxycodon, Koks, Pepp, Codein, alles Mögliche halt einfach. Ich denke, wenn ich keine Drogen genommen hätte, dann wären vielleicht meine Depression nicht so schlimm geworden.

"Emma" "Süchtig auf Rezept" MDR exactly

Moderation Secilia Kloppmann (SK)

Podcast gespräch Milan Schnieder Secilia Kloppmann
Milan Schnieder und Secilia Kloppmann im Gespräch Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Süchtig auf Rezept" - darum geht es in dieser Folge von MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche, zu der ich Sie herzlich begrüße. In diesem Podcast sprechen wir mit unseren Autorinnen und Autoren über ihre Recherchen und persönliche Eindrücke während der Arbeit am Thema. Immer freitags, alle zwei Wochen, gibt es in der ARD Audiothek und überall da, wo Sie diesen Podcast gerade hören, eine neue Folge. Ich bin Secilia Kloppmann und arbeite für die Politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. In Deutschland sind laut Bundesgesundheitsministerium 2,3 Millionen Menschen abhängig von Medikamenten - darunter Benzodiazepine, auch Benzos genannt. Opioide, also Schmerzmittel wie zum Beispiel Tilidin oder Codein. Und es gibt leider eine zunehmende Zahl Jugendlicher, die eine Abhängigkeit von diesen Stoffen entwickeln. Mein Kollege Milan Schnieder hat mit Abhängigen, Angehörigen von Süchtigen, Therapeuten und auch mit Dealern gesprochen und daraus einen Film gemacht. Der ist zu sehen auf YouTube, im Channel MDR investigativ und heißt "Süchtig auf Rezept". Milan ist heute bei mir zu Gast im Podcast. Ich grüße dich, Milan

Milan Schnieder (MS)

Ich grüße dich auch, hallo Secilia.

Secilia Kloppmann (SK)

Fast jede Sucht also, beginnt, glaube ich, immer erstmal mit einem guten Gefühl ... ist das denn bei diesen Medikamenten, zum Beispiel bei den Benzodiazepinen auch so?

MS

Ja, das kann man sagen. Also, das sind meistens Tabletten. Und die haben einen Wirkstoff, den es schon seit den 60er-Jahren gibt. Und die docken an einen bestimmten Rezeptor im Gehirn an, und das kann eine beruhigende Wirkung haben. Es gibt unterschiedliche Medikamente, die Benzodiazepine enthalten, und da ist der Wirkstoff in unterschiedlicher Konzentration drin. Und die Wirkung, die setzt meistens so nach einer halben Stunde ein und geht so zwischen drei Stunden bis sechs Stunden. Bei manchen Medikamenten hält die Wirkung bis zu 48 Stunden an.

SK

Wir haben es ja im Intro gehört... Der junge Mann, der wird im Film Maurice genannt, der ist nachgesprochen. Das sollten wir vielleicht auch gleich noch mal erwähnen. Und auch das junge Mädchen, die Emma genannt wird in dem Film.. die haben mit dir gesprochen, aber die sind anonym geblieben. Maurice hat das ja so beschrieben, dass es ganz warm wird um die Beine und dass man ein Glücksgefühl hat und dass man sich nichts sehnlicher wünscht, als dass das bleibt....

MS

Genau. Das hat er gesagt haben in Bezug auf Tilidin, ein Opioid also. Es gibt im Wesentlichen zwei Medikamente, mit denen ich mich beschäftigt habe, von denen Jugendliche abhängig werden. Es gibt noch mehr, aber zwei, die besonders problematisch sind. Und das sind Opioide, also Schmerzmittel und Benzodiazepine, die sich als Beruhigungsmittel eignen,

SK

Du hattest das erwähnt, das ist nichts Neues … aber wenn dieser Wirkstoff schon seit den 60er Jahren auf dem Markt ist, gibt es da aktuell eine Verschiebung in der Altersgruppe?

MS

Ja, die gibt es. Und zwar gibt es immer mehr junge Leute, die das nehmen, und immer mehr junge Leute, die davon auch abhängig werden. Und das zeigen die Zahlen, die die Krankenkassen erheben. Und das sagen auch die Leute, die zum Beispiel ambulante Beratungsangebote haben oder auch stationär Leute betreuen, bei denen es nicht mehr anders geht.

SK

Warum denn jetzt dieses Thema? Warum hast du einen Film gemacht?

MS

Das ist ein Thema, das mich schon länger beschäftigt, Weil ich davon mitbekommen habe in anderen Medienberichten. Ich höre auch sehr viel Musik in der das behandelt wird. Und in dem Fall kam die Idee, diesen Film zu machen und dass ich den würde produzieren können von zwei Redakteurinnen vom MDR Landesfunkhaus Sachsen in Dresden.

SK

Zu sehen. In deinem Film ist auch ein Rapper, der heißt t-low. Der ist auch einer der Wenigen im Film, den man offen sehen kann. Der ist 21 Jahre alt, und das große Thema in seiner Musik ist seine Medikamentenabhängigkeit. Kanntest du denn schon vorher?

MS

Der 21-Jährige Rapper t-low behandelt seine Hassliebe für Benzos und Opiate in seinen Songs.
Der 21-Jährige Rapper t-low behandelt seine Hassliebe für Benzos und Opiate in seinen Songs. Bildrechte: MDR/Nicky Fischer

Ja, ich bin schon vorher auf den aufmerksam geworden, weil er aus meiner Sicht ein guter Musiker ist. Ich bin jetzt kein t-low-Fan, aber gelegentlich höre ich mir seine Musik gerne an, weil ich die interessant finde. Ich bin über YouTube, Backstage -Eindrücke auf ihn aufmerksam geworden, wie er so unterwegs ist und von Ort zu Ort reist und so weiter. Und da war auch eine Studiosession in Berlin und da hat er einen Song gespielt, den ich richtig gut fand. "We made it“, heißt der, und der ist auch sehr erfolgreich geworden, als er dann rauskam. Und deshalb habe ich mir dann auch sein Album "Percocet Party" angehört. Das war bevor ich wusste, dass ich mal einen Film darüber machen würde.

SK

Wann und warum hat er denn diese Abhängigkeit von Medikamente entwickelt? Was hat er dir erzählt?

MS

Ja, t-low hat ganz offen berichtet von seiner Krankheitsgeschichte und wie das bei ihm mit der Abhängigkeit losgegangen ist. Und zwar schon im Jugendalter so mit 15 / 16, dass er richtig Probleme hatte, unter Leute zu gehen. Also er war zu Hause. Seine Freundinnen und Freunde waren draußen vor der Tür und fragten, hey, kommst du mit raus? Wir hängen ab zusammen, und er hat sich nicht getraut, weil er so eine Angst hatte. Der wusste gar nicht, warum. Aber es ging irgendwie nicht. Und dann hat er sich darüber informiert im Internet und hat mitbekommen, dass es Medikamente gibt, die dagegen helfen. Und hat sich die irgendwie besorgt, auch nicht immer über Rezept und Arzt, sondern auch manchmal, indem man einfach so bei der Notaufnahme war und gesagt hat, ich brauche es jetzt unbedingt. Irgendwie hatte er Mittel und Wege, um da ranzukommen. Dann hat er die genommen, und dann sei es ihm auf einmal total gut gegangen. Er hatte gar kein Problem mehr, unter Leute zu gehen und hat mir im Interview beschrieben, dass, wenn man so ein Problem hat und es ist eine Tablette gibt, die man nehmen kann und das Problem ist auf einmal weg, dass es dann ganz sicher ist, dass man süchtig werden kann davon. Und so ist das dann auch bei ihm geworden.

SK

Das ist ein großes Thema in seiner Musik. Er teilt sich da zum Beispiel auch auf Instagram mit ... hat auch ganz viele Follower. Hast du das verfolgt, inwiefern er da auch ein schwieriges Vorbild ist, für junge Leute?

MS

Ja, ich habe das verfolgt. Es gibt Leute, die auch zum Beispiel unter dem Video (Milans Film auf Youtube) kommentiert haben, dass sie nur wegen t-low darauf aufmerksam geworden sind und dann das auch mal ausprobieren wollten. Es gibt viele Musikerinnen und Musiker, die in ihren Songs über Drogen oder Abhängigkeiten Rappen oder singen, und t-low macht da keine Ausnahme. Mit dem Unterschied, dass er sich auch immer sehr kritisch damit auseinandersetzt. Also man braucht eine hohe Reife und Medienkompetenz und auch eine gute Selbstsicherheit, um diese Musik zu hören und nicht diese Neugierde zu entwickeln oder zumindest dem eine Haltung entgegenzusetzen. Im Sinne von, ich nehme das aber jetzt nicht nur, weil der das nimmt. Und weil ich den cool finde.

SK

Zu dem Zeitpunkt, wo wir miteinander sprechen, sind es so knapp zwei Wochen, dass der Film veröffentlicht wurde. Da gibt es diese Möglichkeit zu kommentieren und das wurde Stand jetzt auch schon über 1000 Mal gemacht. Und auch genau das, was du gerade gesagt hast. Da habe ich auch mal einen Kommentar rausgesucht. Fresh Mo hat da geschrieben:

Ich muss sagen, ich hab so'ne Hassliebe zu T-Low - durch seine Musik bin ich erst auf Benzos und Opiate gestoßen, ich kannte das vorher gar nicht, wurde dann neugierig und habe es auch ausprobiert. Andererseits schreckt er mich gerade auch ab, es weiterhin zu nehmen, gerade durch seinen "Wandel" bzw. die Transparenz über seinen schlimmen Entzug usw. Natürlich möchte ich auch gar nicht sagen, dass er irgendwie verantwortlich ist, dass ich oder andere junge Leute die Medis ausprobieren, das ist natürlich Quatsch, jede*r ist letztlich für sich selbst verantwortlich! Dass die (Rap)musik aber einen enormen Einfluss haben kann, ist für mich unbestreitbar.

Fresh MO YouTube: "Süchtig auf Rezept" MDR exactly

Da wird ja schon durchaus ein Zusammenhang dargestellt, dass diese Musik dazu animiert, das auch auszuprobieren, oder? Das ist schon kontrovers, Milan, oder?

MS

Natürlich. Deswegen habe ich mich darum bemüht, ein Interview mit ihm zu führen und habe auch gesagt, dass ich da eben auch kritische Fragen stellen möchte. Die Musik hat nicht den Zweck, Leute zum Drogenkonsum zu animieren. Er sagt selber, die Leute sollen das nicht nehmen. Aber natürlich ist er in einer Vorbildfunktion. Ob er das will oder nicht, der hat eine sehr große Reichweite. Er ist ein Chart-relevanter Platin-Künstler mit über 250.000 Followerinnen und Followern allein auf Instagram. Dann ist er noch auf TikTok, auf YouTube und füttert ja auch seine Community ganz viel mit Content zu diesen Themen. Und natürlich nehmen die das wahr und setzen sich damit auseinander. Es mag welche geben, denen ist es egal ist. Es mag welche geben, die sagen okay, ich probiere das jetzt extra nicht aus, weil ich weiß, wozu das führen kann. Aber natürlich gibt es Leute, die dadurch überhaupt erst mal auf die Idee kommen, dass es das gibt und die nachempfinden wollen … dieser Künstler ... mein Idol. Wie ist das überhaupt? Wie fühlt sich das an, wenn ich das vielleicht selber auch mal ausprobiere?

SK

Bei dem Film hatte ich den Eindruck, als du mit t-low gesprochen hast, dass der auch so ein bisschen mit seiner Drogensucht kokettiert. Zum Beispiel, wenn er sagt:

Stay away von den scheiß Medikamenten. Generell von allem. Das ist auf jeden Fall der bessere Weg, auch wenn ihr in der Musik immer hört Drogen, Drogen, Drogen. Thats not the way … wirklich nicht.

t-low "Süchtig auf Rezept" MDR exactly

SK

Wie ehrlich meint der das? Milan, was denkst du?

MS

Ich glaube, dass der das sehr ehrlich meint. Ich halte den für einen ganz authentischen Musiker und auch Interviewpartner. Ich habe nicht den Eindruck, dass er mir Sachen erzählt hat, nur weil er glaubt, dass die irgendwie in einem öffentlich-rechtlichen Format erwartbar gerne gehört werden. Aber natürlich ist er ein Künstler in einem industriellen Zusammenhang mit einem Management und anderen Leuten um ihn herum, die auch mit ihm und an ihm Geld verdienen. Und diese Kontroverse, die trägt enorm zu seiner Bekanntheit bei. Und es gibt vor allem im Rap sehr viele Künstlerinnen und Künstler, die deshalb erfolgreich sind, weil sie eben nicht nur viele Fans haben, sondern auch viele Hater und Leute, die das so richtig schlecht finden, was die machen, weil auch das eine Publicity darstellt. Und ich bin mir sicher, dass er sich darüber auch im Klaren ist, denn er könnte auch über viele andere Dinge rappen oder singen, die in seinem Leben passieren.

SK

Ihr habt euch ja zusammen auch ein Musikvideo von ihm angeschaut. Und das, was ich in dem Video gesehen habe und auch, wass ich von den jungen Leuten gehört habe, mit denen du gesprochen hast... Das klang alles irgendwie so... naja … so einsam. So wie jemand, der sich einfach wegschießt. Oder ist der Eindruck falsch?

MS

Es gibt unterschiedliche Motive, warum Leute solche Drogen nehmen. Also ich habe ja mit insgesamt vier Betroffenen gesprochen für diesen Film, also zumindest vor der Kamera. Ich habe noch mit mehr Leuten gesprochen, im Hintergrund und in der Vorrecherchen. Da gibt es zum Beispiel den Maurice, der kommt aus einem Elternhaus, das ist ganz gesund und intakt und super liebevoll. Aber trotzdem oder unabhängig davon hat er Depressionen entwickelt, hat sich oft einsam gefühlt, hat Liebeskummer gehabt und hat dann diese Medikamente ganz allein für sich im Zimmer genommen. Wie in so einer Meditation, manchmal auch zusammen mit anderen, aber vor allem ganz alleine für sich. Und in dem Interview hat der auf mich total reflektiert und empfindsam gewirkt. Aber es gibt auch andere Leute, also zum Beispiel die Emma. Die ist ein Trennungskind, die ist oft umgezogen, und das war zur Zeit ihrer Pubertät, wo sie nicht so richtig wusste, bin ich jetzt bei der Mutter oder beim Vater? Wo bin ich zu Hause, wo ist meine Heimat, wo bin ich sicher? Und hat dann ganz viel Zeit mit ihren Freundinnen und Freunden verbracht. Und da gab es welche, die waren experimentierfreudig und haben alles Mögliche genommen bis hin zu Heroin. Und da gab es zum Teil richtig wilde Partys und auch so eine Gruppenzwang Dynamik, weshalb sie dann das eine oder andere ausprobiert hat.

SK

Insgesamt hast du ja vier junge Leute getroffen. t-low, Maurice, Emma und der vierte ist Joshua. Den hast du in der Psychiatrie besucht, weil dem ist es ist richtig schlecht ergangen mit den Medikamenten, oder?

MS

Richtig genau. Wie ich ihn jetzt erlebt habe, das war schon erstaunlich. Das ist ein junger, schlanker Mann, sportliche Figur, dem man erst einmal nicht viel anmerkt, außer, dass er vielleicht ein bisschen blass ist. Aber der hat ganz leise gesprochen, auch nicht viel geredet. Also relativ kurze Formulierungen. Und er war ganz gleichgültig und antriebslos. Der hat mit ungefähr 17 zum ersten Mal Benzos genommen, so genau weiß er das gar nicht mehr, weil man auf Benzos das Zeitgefühl verliert. Bei ihm ist der Konsum so lange und so regelmäßig und exzessiv gewesen, dass er gar nicht mehr genau sagen kann, wie lange das her ist. Der hat das also jahrelang jeden Tag genommen. Und irgendwann hat er mal versucht, das abzusetzen. Und dann hat er Krampfanfälle bekommen und hat dann sofort wieder weitermachen müssen damit. Dann hat er versucht, zusammen mit seiner Ärztin das auszuschleichen, also den Konsum, langsam zurückzufahren. Aber auch da hat er nicht die Disziplin aufbringen können. Und er hatte dann mit der Ärztin den Deal, das, wenn er das in einem Jahr nicht schafft, das sie ihn einweisen lässt in eine psychiatrische Einrichtung. Und so ist er dann in Halle gelandet. Das ist eine geschlossene Psychiatrie, wo Menschen mit psychischen Störungen und Menschen, die Drogenprobleme haben gemeinsam untergebracht sind. Da gibt es zum Beispiel Ergotherapie, und da war die Aufgabe, die wir dann da gemeinsam hatten, ein Vogelhäuschen zu bauen. Es gab dort eine Ergotherapeutin, Anke Nowak, die hat uns gezeigt, wie das funktioniert. Er hatte da schon was vorbereitet, so ein bisschen ausgeschnitten aus Holz. Und dann ging es darum, dass man das anmalt und dann am Ende montiert. Und dieses Anmalen, das haben wir zusammen gemacht.

SK

Und hast du ein Unterschied festgestellt, zwischen dir und ihm in der Arbeit?

MS

Auf jeden Fall! Die Ergotherapeutin hat ihn gefragt, welche Farbe er denn jetzt benutzen möchte, um das Vogelhäuschen anzumalen. Da hat er mit der Schulter gezuckt und auf diesen Kasten, wo verschiedene bunte Farben zur Auswahl waren, geguckt und hat dann einfach irgendeine genommen. Das hat ihn nicht so richtig interessiert. Und das war schon schlimm, das so zu sehen, auch mitzubekommen, was das mit seinem Leben gemacht hat. Also der hat die zehnte Klasse nicht geschafft. Hätte er eine Ausbildung machen können, sollte da auf Probe arbeiten, ist da irgendwann oft zu spät gekommen oder gar nicht erschienen, dann haben die ihm gekündigt. Der hatte eine Beziehung mit einer jungen Frau. Die ist auseinander gegangen... Das hat auch t-low beschrieben: Mit dieser beruhigenden Wirkung geht eben auf Dauer auch eine Gleichgültigkeit einher. Denen ist wirklich egal, ob ihn oder Menschen, die ihnen sehr nahestehen, Mutter, Familie oder so, ob denen was Schlimmes passiert. Das ist der Grund, warum es auch bei ihm richtig schlimme Zerwürfnisse gab, dann in der Familie und im privaten Umfeld.

SK

Wir sind im Jahr 2023, und zwar im Frühjahr. Und vor genau drei Jahren hat die Corona Pandemie angefangen. Hast du herausfinden können, ob diese Pandemie und ja auch diese ganzen Maßnahmen, die ja doch zu sehr viel Einsamkeit geführt haben, auch Auswirkungen hatten auf die Medikamentensucht bei jungen Leuten?

MS

Dieser Verdacht, der hat sich schon früh bestätigt bei der Recherche. Denn parallel mit den ganzen Lockdowns und den Kontaktbeschränkungen und auch der Wirtschaftskrise ging ja auch bei ganz vielen Menschen nicht nur Jugendlichen, und nicht nur welche, die später medikamentenabhängig geworden sind eine Zukunftsangst einher. Was wird aus mir? Welche Zukunft habe ich noch? Kriege ich das noch so hin? Mit dem Bildungsweg, den ich mir überlegt habe, kann ich mir das alles noch leisten? Und dann kommt auch noch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dazu. Und in solchen Zeiten ziehen sich viele Menschen zurück und meiden den Kontakt mit anderen und versuchen das mit sich selbst auszumachen. Dabei können mentale Krisen entstehen, bei denen Benzos zunächst helfen können, scheinbar. Aber das hat eben eine Kehrseite. Und ich habe darüber auch gesprochen, mit dem Matthias Rost von der Leipziger Jugend Drogenberatung Klick. Das ist eine Einrichtung, die von der Diakonie getragen wird. Und er hat mir was ganz interessantes erzählt. Der kriegt das ja immer mit, mit welchen Substanzen Leute bei ihm in die Beratungsstelle kommen. In Zeiten der Krise gekommen die Leute, weil sie haben Probleme mit Downern, mit Medikamenten, die sie beruhigen, die sie runterbringen, die sie vergessen lassen. In Zeiten von wirtschaftlichen Aufschwung gibt es Leute, die versuchen dann, sich aufzuputschen Amphetamine, Crystal Meth, Kokain .. das siknd dann die Drogen, die dann eine größere Rolle spielen. Und diesen Zusammenhang fand ich sehr interessant.

SK

Das stimmt. Du hast auch mit - im Prinzip ja zwei - Dealern gesprochen. Die hatten zwar eine Maske auf, aber die haben relativ bereitwillig erzählt, wie ihr Geschäft funktioniert, wieviel Geld sie damit machen, das war durchaus beachtlich. Wie wie viele Dealer hast du eigentlich angefragt? Und warum haben die denn ausgerechnet mit dir gesprochen?

MS

Also alles, was ich dazu tatsächlich sagen kann, ist, dass ich das gerne nicht kommentieren würde. Weil das ganz vertraulich ist.

SK

Ich versuche es noch mal anders. Ihr seid da ja verdeckt hingegangen, und du hast die ausgefragt. Was war so dein dein Gefühl dabei?

MS

Das war für mich etwas Besonderes. Das ist nämlich das erste Mal gewesen, dass sich selber nicht den Leuten ins Gesicht geschaut habe, während ich sie interviewt habe.

SK

.. weil die diese Masken aufhatten...?

MS

Richtig. Genau. Das war im Vorhinein so vereinbart, dass sie die Masken anziehen können. Und dass wir die nicht im Nachhinein pixeln, weil ich auch fand, dass das für die Zuschauerinnen und Zuschauer gut sich mit der Kriminalität verknüpfen lässt. Wenn das der Grund, warum Leute solche Masken tragen.

SK

Aber waren die denn freundlich zu dir?

MS

Ja, das kann man schon sagen. Und es gab auch keine bedrohliche Situation oder so. Und ich bin denen sehr dankbar dafür, dass sie sich die Zeit genommen haben und so offen mit mir darüber geredet haben. Denn ein gewisses Restrisiko besteht ja immer, und ich finde, dass das einen sehr interessanten Einblick gibt in diese Welt.

SK

Die Marge war zwischen 50 und 100 Prozent bei den Medikamenten. Und sie haben auch bestätigt, dass mit Corona die Tendenz zu Medikamenten gegangen ist. Es gibt einen deutlichen Trend, und er ist relativ schnell relativ sprunghaft gekommen?

MS

Ganz genau. Ich habe ja zwei Dealer interviewt, der erste, der aus einer Quelle die Medikamente beschafft und sie in einer größeren Menge zu demjenigen bringt, der sie dann direkt an die Endverbraucher vertreibt. Und der zweite, den wir Roger nennen, der hat mir erklärt, sobald es mit Corona losging, und den Einschränkungen, die richtigerweise notwendig waren, in dieser Zeit ... Infektionsgeschehen und so weiter … die Leute halt angefangen haben, gezielt Benzos bei ihm nachzufragen.

SK

Dealer sind das eine. Aber es gibt noch jede Menge anderer Wege an Medikamente heranzukommen. Du hast auch noch einige andere ausprobiert …?

MS

Richtig genau. Also, was wir im Film sehen, ist wie ich mit einem verschlüsselten Messenger vom Handy aus bestelle. Da habe ich einen Zugang bekommen zu einer Gruppe und einem direkten Chat-Kontakt, wo ich halt Kryptowährungen/ Bitcoins hin schicken konnte im Gegenwert von ungefähr 25 Euro. Und dann habe ich ein paar Tage später in meinem Briefkasten auch das bestellte Medikament drin gehabt.

SK

Und dann bist du auch auf dem Schwarzmarkt gewesen. Das hat es nicht in den Film geschafft, aber das hast du mir im Vorgespräch erzählt...?

MS

Ich war nicht nur auf einem digitalen Schwarzmarkt, sondern auch auf einen tatsächlichen Straßen-Schwarzmarkt, Straßenhandel. Und da bin ich an einen Ort gegangen, der so szenetypisch, dafür bekannt ist, dass es ein Umschlagplatz ist .

SK

.. hier in Leipzig?

MS

.. ein Ort. Und dort bin ich gewesen und habe rumgefragt. Und das hat 10 Minuten gedauert, dann hatte ich ein Beruhigungsmittel in der Hand, für zehn Euro, vier Tabletten. Also schon ein Vielfaches von dem Preis, den es in der Apotheke kostet. Aber dort braucht man ein Rezept, es ist ein rezeptpflichtiges Medikament gewesen, kein Benzodiazepin. Aber es kann trotzdem schwere Nebenwirkungen haben.

SK

Thema Rezept: Das scheint ja auch gar nicht so ein großes Problem zu sein, wenn ich mir deinen Film angeschaut habe...

MS

Ja, denn Rezepte liegen manchmal in der Arztpraxis einfach auf dem Tresen, so ein kleiner Stapel. Und im günstigen oder ungünstigen Moment, je nachdem, kann man die halt klauen. Da gibt es Leute, die Kopien mit einem Farbkopierer empfinden, eine Unterschrift nachmachen. Und es gibt auch Apotheken, die da nicht so genau darauf schauen. Es gibt auch super authentische Rezepte, die im Darknet gehandelt werden. Mir hat ein Arzt auch mal erzählt, das, wenn mal in eine Praxis eingebrochen wurde, das dann auch die ganzen Stempel geklaut wurden und dann Leute mit diesen relativ leicht erhältlichen Blanco Rezeptblocks und den geklauten Stempeln dann selber authentische Rezepte fälschen.

SK

Wir reden ja vor allen Dingen über junge Menschen. Jetzt kommen die mit so einem Rezept in die Apotheke. Warum wird denen dann so ein Zeug ausgehändigt? Muss man da nicht stutzig werden? Wenn man hinterm Tresen in der Apotheke steht?

MS

Sollte man. Es gibt Apotheken, die sind da auch streng. Aber es gibt auch welche, die sind das nicht. Und das spricht sich natürlich dann auch herum bei den Kids. Und dann gibt es auch Apotheken, da gehen dann die jungen Leute hin, zeigen ein Rezept - das kann echt sein oder auch nicht – die machen das extra am Samstag, so dass die Apothekerin nicht noch mal beim Arzt anrufen kann, um zu fragen hey, stimmt das? hier ist eine junge Frau, ich bin mir nicht sicher. Und das sind so Tricks. Und man gibt das Rezept ja nicht einfach nur ab und hofft dann darauf, ein Medikament zu bekommen, sondern man zeigt das vor. Und wenn es nicht klappt, dann sieht man zu, dass man es wieder mit nehmen kann, aus der Apotheke raus und zu einer anderen geht.

SK

Ein Thema in deinem Film ist auch, dass es immer wieder Rezepte gibt, die auch ausgestellt werden von Ärzten. Und du hast mit Erik Bodendieck gesprochen, der ist Präsident der sächsischen Landesärztekammer, der ist auch Mediziner in Wurzen ....

MS

Ja, ich habe den vor allem rausgesucht als Interviewpartner, auch wenn es am Ende nicht in den Film geschafft hat. Ich wollte mit ihm sprechen, weil er ist der Vorsitzende des Ausschusses für Drogen bei der Bundesärztekammer. Der hat mir erklärt, das ist ein Ausschuss, der versucht die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland zu sensibilisieren, vor allem in Bezug auf das Abhängigkeitspotenzial der Medikamente, weil es halt immer noch Ärztinnen und Ärzte gibt, die diese Medikamente zu leichtfertig verschreiben. Und es gibt auch genaue Richtlinien, wie lange und oft man diese Medikamente verschreiben darf und um zu verhindern, das es gar nicht erst zu einer Abhängigkeit kommt. Aber es gibt Abhängigkeit, so zwischenmenschlich zwischen Ärztin, Arzt, Patientin, Patient und das kann auch manchmal richtig bedrohliche Ausmaße annehmen.

Das Auftreten des Patienten führt dann auch manchmal dazu, dass man auch als Arzt sich fragt, was passiert denn jetzt? Geht er jetzt gleich mit Messer auf mich los? Was passiert jetzt?

Erik Bodendieck "Süchtig auf Rezept" MDR exactly

SK

Das das offenbar immer noch passiert, dass Ärzte Medikamente leichtfertig verschreiben oder einfach mitgeben, das zeigt auch ein Beispiel aus den Kommentaren

Danke für die tolle Doku! Ich war 2016 wegen einer Psychose 20 Tage in der Psychiatrie, hätte ich jedes Mal, wenn mir dort vom Pflegepersonal Tavor angeboten wurde, eine genommen, hätte ich später wohl ein Problem gehabt. Ich finde, dass es zu leichtfertig und zu oft angeboten wurde.

qwertzybert von Rattenfels YouTube: "Süchtig auf Rezept" MDR exactly

Also man könnte ja als Fazit und von unserem Gespräch und auch von deinem Film ziehen, dass Menschen immer noch viel zu leicht an diese Medikamente rankommen. Sehen der Apothekerverband oder das Gesundheitsministerium da irgendwie Handlungsbedarf?

MS

Das Bundesgesundheitsministerium sieht, dass es viele Menschen gibt, die ein Abhängigkeitspotenzial haben von Medikamenten. Es gibt viele Hilfsangebote, an die dort verwiesen wird. Und dort kann man sich darüber belesen, dass das ein Problem ist. Aber Leute, die die Medikamente nehmen wollen, um sich zu berauschen oder die schon abhängig sind, die surfen ja nicht auf die Seite vom Bundesgesundheitsministerium um dort zu sehen: 'Oh, das ist mit Risiken und Nebenwirkungen behaftet. Deswegen nehme ich das jetzt nicht oder lasse das sein.' Sondern die gehen mit einem gefälschten Rezept in die Apotheke und bekommen, was sie brauchen. Oder haben andere Wege, dran zu kommen. Und ich glaube, dass ein verpflichtendes E-Rezept und damit die Abschaffung von sämtlichen Papierrezepten sehr viele Probleme lösen könnte. Ich habe das Gesundheitsministerium angefragt, und zwar mehrmals, und die haben mich immer abgeblockt und abgespeist mit halben Antworten. Ich habe wirklich mehrmals gezielt nachgefragt, angerufen und so weiter.

SK

Und die Apotheker? Es gibt doch auch einen Apothekerverband? Was haben die gesagt, Milan?

MS

Ich habe dort die Gelegenheit gehabt, mit dem Vorsitzenden der dortigen Arzneimittelkommission zu sprechen. Und er hat mir auch noch einmal bestätigt, dass es ganz viele Rezepte gibt, die nicht fälschungssicher sind. Insbesondere die Privatrezepte. Ein Privatrezept, das ist formlos. Das kann einfach ein Din-A4-Blatt sein, wo ein Arzt was draufschreibt mit Stempel und Unterschrift. Und dann bekomme ich, wenn ich das in der Apotheke vorlege, das entsprechende Medikament. Das ist also nicht normiert. Und da ist natürlich dem Betrug und der Fälschung Tür und Tor geöffnet.

SK

Ich würde gern unser Gespräch mit einem Kommentar beenden, den ich gelesen habe. Martin 44 hat geschrieben:

Ein guter Freund ist letzten Monat an an dem Konsum von Schmerzmittel erlegen ️ echt krank was das Zeug anstellen kann.

Martin44 YouTube: "Süchtig auf Rezept" MDR exactly

MS

Solche Geschichten habe ich in der Recherche viele gehört. Oft ist es so, dass der Medikamentenmissbrauch nicht alleine steht, sondern im Zusammenhang mit dem Konsum von Drogen, die verboten sind. Und ich glaube, dass ist wichtig, dass wir dieses Thema auf dem Zettel haben und aufeinander achten und mitbekommen, wie geht es denn meinem Nachbarn, den ich immer seltener sehe? Oder die Musik, die du da hörst - was macht das eigentlich mit dir? Wie setzt du dich damit auseinander?

SK

Milan Schnieder, vielen Dank für diesen Film und vielen Dank für dieses Gespräch.

Danke, gerne

Podcast MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche

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