Mann auf Beifahrersitz tauscht 50-Euro-Schein mit Tütchen mit Cannabis mit einer Frau auf dem Beifahrersitz eines PKWs.
Nach Erkenntnissen der Forschung wird in Deutschland illegal produziertes Cannabis zu einem größeren Teil über private Netzwerke von Freunden, Bekannten und Familie verteilt und nicht unbedingt von Dealern in Parks oder auf der Straße. (Symbolbild) Bildrechte: Colourbox.de

Trotz Legalisierung Cannabis-Schwarzmarkt wird noch länger dominieren

29. Oktober 2024, 08:48 Uhr

Seit mehr als einem halben Jahr ist Kiffen in Deutschland legal. Auch der Cannabis-Anbau ist in einigen Clubs erlaubt. Doch auch in Mitteldeutschland sind erst wenige Genehmigungen erteilt. So kommt die Droge vorerst weiter eher aus illegalen Quellen. Und das könnte auch noch länger so bleiben.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Kristian Schulze
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Nach einer wissenschaftlich recht gut abgesicherten Schätzung gibt es in Deutschland etwa fünf Millionen erwachsene Cannabis-Konsumenten. Das sind Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren, die mindestens einmal im Jahr kiffen, viele aber auch häufiger – manche sogar täglich.

Der Suchtforscher Jakob Manthey sagte MDR AKTUELL, Prävalenz für Cannabis-Konsum gebe es bei etwa zehn Prozent der Erwachsenen dieser Altersgruppe und bei etwa sieben Prozent der Jugendlichen. Das gehe aus diversen Befragungen zum Thema hervor, kombiniert auch mit Daten etwa von Polizeibehörden. Das sei der Stand vor der Legalisierung des Cannabis-Konsums in Deutschland am 1. April und vor dem seit Juli nun möglichen legalen Anbau in Vereinen, sogenannten Cannabis Social Clubs.

Dr. Jakob Manthey Der Suchtforscher hat an der TU Dresden studiert, gearbeitet und promoviert. Heute lebt er in Leipzig. Hier ist er Gastwissenschaftler am Universitätsklinikum.
Vor allem aber leitet er die AG "Substanzkonsum und Public Health" am Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) am Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf.

Milliardenschwerer Cannabis-Schwarzmarkt

Weniger gut bekannt ist, woher die Leute ihr bisher illegales Cannabis bekommen. Manthey sagt dazu, man wisse, dass viel in den Niederlanden produziertes oder dort importiertes Cannabis weiter nach Europa gehe, "auch einiges nach Deutschland", wo nach Schätzungen jährlich rund 400 Tonnen konsumiert werden. Es sei aber offen, wie viel davon organisierte Kriminalität liefere. Es gebe hier auch viele Kleinproduzenten, weil sich illegale Märkte nicht so leicht zentralisieren ließen wie legale, erklärt Manthey.

Für den Forscher ergibt sich aus Befragungs- und Polizeidaten die Annahme, dass "ein relativ großer Teil" des in Deutschland konsumierten Cannabis nicht organisierte Kriminelle lieferten, sondern "Personen, die zu Hause anbauen, für sich anbauen, aber auch für Freunde und Freundesfreundinnen," an die sie es dann verteilten: "Was wir nicht wissen, ist", sagt Manthey, "wie viel diese Kleinproduktion ausmacht und wie viel organisierte Kriminalität."

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Einfach Genial: Cannabis anbauen im Container? Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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Die Botaniker Yannik Wolfsteiner und Ansgar Reinecke aus Dresden entwickeln einen Container für den legalen Cannabisanbau. Seit sich die Teillegalisierung von Cannabis abzeichnete, tüfteln sie an einem Anbausystem.

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Auch die geschätzten 400 Tonnen Cannabis-Konsum sind laut Manthey nicht sicher: "Es können auch 200 oder 600 Tonnen sein." So oder so ginge es damit aber um Cannabis in Schwarzmarktwerten von mindestens zwei bis mehr als sieben Milliarden Euro – pro Jahr. Diesen riesigen Schwarzmarkt zumindest zu verkleinern, ist eines der politischen Ziele der bisherigen Legalisierung.

Anbauvereine können "Bedarf" nicht decken

Mit dem seit Juli möglichen legalen Anbau in privaten Vereinen wird es wohl nur teilweise gelingen, den Schwarzmarkt zu verkleinern. Und es kann dauern. Keine 400 Anträge sind seit Juli bundesweit gestellt und kaum 40 genehmigt, die meisten in Niedersachsen. Dort gab es Mitte Oktober 15 Genehmigungen, weitere in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, in den meisten anderen Bundesländern aber noch gar keine.

Doch selbst wenn all diese etwa 400 Vereine, die bisher Anträge gestellt haben, für die maximal zulässige Zahl von jeweils 500 Mitgliedern – insgesamt also rund 200.000 – laufend produzieren würden: Dann wären gerade mal vier Prozent der potenziellen Konsumenten bundesweit legal "versorgt".

In Mitteldeutschland sieht es nicht viel anders aus – auch wenn etwa in Thüringen nach Auskunft des zuständigen Landesamts für Landwirtschaft auf Anfrage von MDR AKTUELL in dieser Woche nun erste Anbaugenehmigungen für Cannabis-Vereine erteilt werden. Neun Anträge lagen hier bisher vor.

Sachsen war schon etwas weiter. Hier gibt es inzwischen bereits vier Anbaugenehmigungen, die erste für einen Verein in Görlitz zu Beginn des Monats und nun für drei weitere in Leipzig, Chemnitz und Meißen. Sieben Anträge sind nach Angaben der Landesdirektion noch in Bearbeitung, aber noch keiner abgelehnt. In Sachsen-Anhalt unterdessen wurde von bislang insgesamt 13 Anträgen bis Ende Oktober noch kein einziger genehmigt.

Manthey: "Das ist ein Prozess"

Nicht jeder Cannabis-Konsument aber will in einen Verein oder selbst zu Hause anbauen. Daher gibt es auch Kritik und Zweifel daran, ob der illegale Markt auf diese Weise überhaupt zurückgedrängt werden kann.

Suchtforscher Manthey rät zu Geduld: "Natürlich kann man nicht erwarten, von jetzt auf gleich den legalen Bedarf legal zu decken. Das hat auch nicht funktioniert in Kanada oder in anderen Regionen, in denen legalisiert wurde. Das ist ein Prozess." Die Frage sei vielmehr, wie lange es für zumindest einen bestimmten Teil brauche, "und in welchem Umfang sind wir dann vielleicht damit zufrieden, dass ein bestimmter Teil illegal bleibt".

Manthey glaubt, dass es "möglich ist, dass Eigenanbau und der kollektive Anbau in den Verein einen beträchtlichen Teil decken können". Denn bisher werde vermutlich etwa 80 Prozent des Cannabis von Leuten nachgefragt, die viel konsumierten. Die seien eher bereit, selbst anzubauen und in Vereine zu gehen. Andere dürften sich, nimmt Manthey an, wie bisher an informelle Netzwerke halten, an "Leute, die sie kennen", die konsumieren und anbauen. "Das ist nicht legal", betont er, sei aber auch keine organisierte Kriminalität.

Einzigartiges deutsches Experiment

Der zweite Zwischenbericht im Rahmen einer gesetzlichen vorgesehen Evaluation zu den Auswirkungen des Cannabisgesetzes soll es am 1. April 2026 geben. Darin soll es konkreter auch um organisierte Kriminalität gehen. Manthey sieht durchaus viel Forschungsbedarf beim Thema Legalisierung, besonders zu den Effekten verschiedener Regulierungsmodelle.

Auch darum kann der Suchtforscher dem nicht-kommerziellen deutschen "Experiment" etwas abgewinnen. Deutschland habe sich ja "für ein Modell entschieden, das es nirgendwo anders gibt", nicht in den Niederlanden, in Kanada oder US-Bundestaaten. "Und das ist auch gut so", sagte Manthey, da von dort auch schon negative Erfahrungen bekannt geworden seien.

Warnung vor unerwünschten Nebenwirkungen

Eine negative Erfahrung sei etwa, dass zu viele Geschäfte entstehen könnten, sagt der Forscher: Dass "an jeder Ecke, vor allem in urbanen Räumen, wo sich viele junge Menschen aufhalten, Cannabis-Läden aufmachen", konkurrieren, Preise senken, Werbeverbote umgehen und starke Konsumanreize setzten.

Ein Kunde gibt eine Bestellung in einem Coffeeshop in Amsterdam auf.
"Coffeshops" wie in Holland wird es hier vorerst nicht geben. Bildrechte: IMAGO / ANP

Man wolle ja nicht neue Märkte schaffen und den Konsum antreiben, sagt Manthey. Für ihn als Gesundheitswissenschaftler "wäre das eine unerwünschte Nebenwirkung". Legalisierung "sollte ja bestenfalls den illegalen zum legalen Konsum machen" und den Gesundheitsschutz durch qualitätsgesicherte Produkte stärken. Modellversuche mit lizensierten Läden sind nun vorerst aber ohnehin nicht mehr geplant.

Als Gesundheitswissenschaftler wünsche er sich einen differenzierten Umgang mit der Droge, sagte Manthey: "Dass natürlich akzeptiert wird, wenn Personen im geregelten Maß ihrem Konsum frönen", im privaten Raum, ohne anderen zu schaden. Ein Problem sei aber, wenn "große Konzerne einen wirklich riesigen Umsatz bereits machen, mit medizinischem Cannabis", bei dem es eigentlich oft um einen freizeitlichen Markt gehe.

Für Deutschland wird in der Branche für medizinisches Cannabis laut Manthey bereits ein Umsatzrekord von bis zu 420 Millionen Euro erwartet, Cannabis als Wundermittel angeboten und fragwürdig beworben.

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Seit 2013 ist in Tschechien der Konsum von Cannabis zu medizinischen Zwecken legal, 2022 hat das Land die Regeln für den Anbau liberalisiert. Seither boomt die Branche.

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Der Wissenschaftler will aber keine Industrie mit starker Lobby und eine gefährliche Entwicklung "von einer Verteufelung hin zu einer Verherrlichung", auch durch wirtschaftlichen Druck. Im Sinne des Gesundheitsschutzes sei er für "mehr Wissenschaftlichkeit und weniger Wirtschaftlichkeit".

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 27. Oktober 2024 | 06:08 Uhr

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