Digitalisierung in Deutschland Warten auf Bafög: Warum Online-Anträge ausgedruckt werden
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08. Juni 2023, 05:00 Uhr
Die Digitalisierung beim Bafög sollte die Verfahren beschleunigen, doch es ist nicht zu Ende gedacht. Das "digitale Bafög" bedeutet teilweise sogar mehr Arbeit in den Ämtern. So hat etwa das Bafög-Amt in Halle deswegen eine Hilfskraft eingestellt, die die online gestellten Anträge ausdruckt.
Lange Wartezeiten, komplizierte Anträge, umständliche Kommunikation mit dem Amt – das kennen viele Studierende, die auf Bafög angewiesen sind. Die Folge: "Man kommt natürlich in Schwierigkeiten", sagt Anton Recknagel. Er studiert Psychologie in Chemnitz und musste in diesem Jahr sechs Monate vom Antrag bis zur Auszahlung warten. Üblich seien ein bis zwei. Am Ende musste er sich Geld leihen, um die Miete zahlen zu können und beim Essen sparen. Es ist kein Einzelfall.
MDR Investigativ hat bei Studierendenvertretungen an elf Hochschulen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen angefragt – diese Probleme kennen viele. 2021 haben 80 Prozent aller Studierenden keinen Bafög-Antrag gestellt. Bafög führt bei manchen zu Resignation und erreichte in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weniger Studierende.
Als das Bafög 1971 eingeführt wird, ist es ein hundertprozentiger staatlicher Zuschuss. Ein Jahr danach erhalten 40 Prozent aller Studenten in der Bundesrepublik diese Förderung. Ab den Neunziger Jahren wird das Bafög in die heutige Form umgewandelt: eine Hälfte staatlicher Zuschuss, die andere ein zinsloses Darlehen. 1994 erhalten noch 27 Prozent der Studierenden Bafög. 2021 sind es nur noch 13 Prozent, das sind die aktuellsten verfügbaren Zahlen und das jüngste abgeschlossene Studienjahr.
Die Angst vor Schulden nach dem Studium, steigende Eltern-Einkommen und eine unzureichende Weiter-Entwicklung des Bafögs könnten laut Studierenden-Organisationen die Gründe für diesen Rückgang sein.
Fehlende Dokumente und lange Bearbeitungszeiten
Die langen Wartezeiten kommen noch obendrauf: "Das sind eben mehrere 1.000 Euro, die einfach nicht bei mir ankommen in der Zeit", sagt Recknagel. Er erhält monatlich knapp 500 Euro Bafög und finanziert sein Studium auch durch Nebenjobs und einen Zuschuss seiner Eltern. Pro Monat hat er so eigentlich knapp 1.000 Euro.
Das sind eben mehrere 1.000 Euro, die in der Zeit einfach nicht bei mir ankommen.
Ende September 2022 stellte Recknagel den jährlichen Bafög-Antrag. Im Oktober reichte er fehlende Unterlagen – wie Verdienstbescheide und Ausbildungsnachweise seines Bruders – nach. Dann wartete er auf eine Rückmeldung vom Bafög-Amt, ob noch mehr Dokumente fehlen. Das Hin- und Her zog sich über Monate und brachte ihn immer mehr in die Bredouille. Ende Februar kam endlich der Bescheid. Ende März, nach sechs Monaten Wartezeit, war das Geld auf seinem Konto. Diese langen Bearbeitungszeiten gibt es nicht nur in Chemnitz.
Digitalisierung im Amt: Hilfskraft zum Ausdrucken eingestellt
"Ich war ja selbst auch Studierender, habe hier sogar bei meinem Amt früher Anträge gestellt, das hat auch manchmal ganz schon lange gedauert", sagt der Leiter des Bafög-Amtes Halle, Matthias Müller. Nur: "So unzufrieden war ich eigentlich nie." Seit Müllers Studienzeiten sind zwei Jahrzehnte vergangen. Doch im Bafög-Amt scheint die Zeit stehengeblieben.
In den weißen Gängen und auf den grauen Schränken türmen sich Akten von mehr als 8.000 Studierenden. In jedem der ockerfarbenen Ordner befindet sich mindestens zwei Finger breit Papier. Einige werden nur durch rote Gummibänder vor dem Auseinanderflattern bewahrt.
Dabei sollte das Bafög längst digital sein – doch das ist nur in Teilen der Fall. Studierende können ihre Anträge und Unterlagen seit zwei Jahren online einreichen. Aber am anderen Ende der Leitung wartet der Drucker.
Zu Hochzeiten laufen 10.000 Blatt pro Tag durch.
"Unser Hochleistungs-Drucker. Hier werden die Bescheide gedruckt. Die Uploads aus dem digitalen Bafög", sagt Amtsleiter Müller und schaut auf das permanent surrende Gerät, welches ein Blatt nach dem anderen ausspuckt. "Zu Hochzeiten laufen 10.000 Blatt pro Tag durch. Alles Anträge und Bescheide.” Aufgrund der Digitalisierung hat das Bafög-Amt in Halle nun extra eine Hilfskraft eingestellt – deren Arbeit nur aus Drucken besteht.
Warten auf Einführung der elektronischen Akte
Ist es also nur eine halbe Digitalisierung? "Das Ausdrucken der Anträge, das manuelle Verwalten auf Papier, das ist sehr ärgerlich, dass wir in diesem Jahr noch nicht weiter sind", sagt der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Jens Brandenburg (FDP). Aus dem FDP-geführten Ministerium stammt die bundesgesetzliche Bafög-Förderung. Das Problem sei die notwendige E-Akte. "Das ist jetzt eine Aufgabe der Länder und der Bafög Verwaltung. Der Bund wirbt dafür, die E-Akte flächendeckend einzusetzen."
Der Bund hat also lediglich dafür gesorgt, dass die Studierenden ihren Antrag online stellen können. Für den zweiten Teil – die digitale Verwaltung im Amt – ist jedes einzelne Bundesland selbst zuständig. Als eines der ersten Bundesländer soll nun Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr die elektronische Akte bekommen.
Die könnte tatsächlich Verwaltungs-Prozesse beschleunigen, aber ein wesentlicher Grund für die langen Wartezeiten sei damit immer noch nicht gelöst, erklärt Bafög-Amts Leiter Müller und schiebt die Akte zurück zum Bund: "Einer der hauptsächlichen Gründe ist, dass die Studierenden ihre Anträge nicht vollständig einreichen." Die teils benötigten detaillierten Unterlagen verlangsamen den Prozess. "Sinnvoll wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang, dass man im Bafög als Gesetzgeber viel mehr pauschalisiert."
Rückzahlung von Bafög funktioniert bereits digital
Eine schlankere Bafög-Verwaltung hatte die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag versprochen. Umgesetzt bislang allerdings nicht. Andere wichtige Punkte sind bereits angegangen worden. Zum aktuellen Wintersemester 2022/ 2023 wurden die Elternfreibeträge deutlich angehoben, um 20,75 Prozent. Die Altersgrenze für den Erst-Antrag wurde ebenso geändert: von 30 auf 45 Jahre. Der Förderhöchstsatz hat sich von 861 Euro auf 934 Euro erhöht.
So könnten künftig wieder mehr Studierende vom Bafög profitieren, wenn sie einen Antrag stellen. Recknagel will im Herbst erneut Bafög beantragen und sein Master-Studium beginnen. Dann könnte allerdings erneut viel Geduld und vielleicht sogar Hilfe von anderen nötig sein. Nach seinem Studium muss Recknagel die Hälfte seines Bafögs zurückzahlen – maximal 10.000 Euro. Das funktioniert schon jetzt digital.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 07. Juni 2023 | 20:15 Uhr