Studienfinanzierung Kein Geld, kein Studium: Warum Bafög-Anträge in Thüringen monatelang nicht bearbeitet werden

01. Juni 2023, 08:21 Uhr

Studierende in Thüringen müssen derzeit teils monatelang auf ihren Bafög-Bescheid warten. Wir haben mit zwei betroffenen Studentinnen gesprochen und beim Studierendenwerk und dem Ministerium nachgefragt, woran das liegt.

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Bildrechte: MDR/Carmen Fiedler

Zehn Monate sind eine lange Zeit, wenn man auf sein Geld wartet. Entsprechend verärgert wirkt Linda Riebesam. Sie studiert an der Internationalen Hochschule (IU) Erfurt Mediendesign und hatte im Juli vergangenen Jahres einen Bafög-Antrag gestellt. Im Oktober begann ihr Studium, bis dahin hatte sie noch keinen Bafög-Bescheid. Bis Anfang Mai dieses Jahres kam keine Antwort vom Amt für Ausbildungsförderung, das Telefon dort sei immer besetzt gewesen, sagt Linda Riebesam.

Keine Rückmeldung vom Bafög-Amt

Auf der Website des Amtes stand, E-Mails würden wegen Personalmangels nicht beantwortet. Linda Riebesam hat kurz nach Antragstellung lediglich eine Mail mit einer Bearbeitungsnummer bekommen. Mit dieser kann sie sich in ihr persönliches Konto einloggen. Jedes Mal, wenn sie das tut, liest sie dieselben Worte: "Antrag in Bearbeitung".

"Das ist sehr frustrierend", sagt die Studentin. Auf der Website des Studierendenwerkes Thüringen ist zu lesen: "Über einen Antrag soll zwar nach spätestens zwei Monaten entschieden sein, doch sind aktuell (Stand 2022) diese Vorgaben nicht zu halten."

Unterstützung durch die Familie

Zwei Monate sind bei Linda Riebesam lange überschritten. Sie kann ihre Wohnung und ihre Lebenshaltungskosten nur deshalb bezahlen, weil sie von ihrer Familie unterstützt wird. Ihre Eltern, die Mutter ist Bürokauffrau, der Vater Maurer, ihre Oma und die Uroma, alle geben ihr Geld. Linda Riebesam sei ihrer Familie sehr dankbar, sagt sie, und erzählt von einer Bekannten, die ihr Studium "auf Eis legen musste", weil sie ohne die Ausbildungsförderung ihre Wohnung nicht mehr bezahlen konnte.

Die Wartezeit von Linda Riebesam ist außergewöhnlich lang.

Benjamin Reichardt Sprecher der Konferenz Thüringer Studierendenschaften

Benjamin Reichardt, Sprecher der Konferenz Thüringer Studierendenschaften, ist erstaunt. "Die Wartezeit von Linda Riebesam ist außergewöhnlich lang", sagt er. Aus seiner Sicht ist das Amt für Ausbildungsförderung, das beim Studierendenwerk angesiedelt ist, bemüht, Anträge schnellstmöglich zu bearbeiten.

Bafög für Studierende - Zuschuss und Darlehen

Für Studierende an höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen gibt es das Bafög grundsätzlich zur Hälfte als Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss - selbst wenn der Studienerfolg ausbleibt. Die andere Hälfte wird als zinsloses Darlehen gezahlt.

Bafög dient zur Sicherung des Lebensunterhalts für Studierende, deren Familien die finanzielle Belastung durch die Ausbildung nicht meistern können. Die Bafög-Förderung berücksichtigt auch Wohnkosten und Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung. Außerdem gibt es Zuschüsse für alle Bafög-Geförderten, die eigene Kinder betreuen.

(Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung)

"Ich kann solche langen Wartezeiten aus eigener Erfahrung nicht bestätigen", sagt der Studierendenvertreter. "Die längsten Wartezeiten, von denen ich gehört habe, waren vier bis fünf Monate und das auch nur, weil Unterlagen bei der Antragstellung gefehlt haben." Benjamin Reichardt studiert an der Fachhochschule Erfurt. Als Studierendenvertreter tauscht er sich häufig mit Studentinnen und Studenten aus, gerade über Probleme wie beispielsweise Geldsorgen.

Er sagt: "Dass Studierende derzeit länger als sechs Wochen auf die Bearbeitung ihres Bafög-Antrages warten müssen, ist aber tatsächlich ein Problem in Thüringen." Das hänge - und das ist die Pointe des Ganzen - teilweise mit der IU zusammen.

Denn die IU ist eine private Hochschule, "die größte private Hochschule, die es in Deutschland gibt", sagt Benjamin Reichardt. Mit über 30 Standorten in ganz Deutschland und circa 100.000 Studierenden.

Und da der Hauptsitz dieser Hochschule Erfurt ist, laufen seit 2019 alle Bafög-Anträge, die Studierende deutschlandweit an der Internationalen Hochschule stellen, über Thüringen. "Das hat zur Folge, dass das Studierendenwerk sehr viel mehr Anträge bearbeiten muss", sagt Reichardt.

2022 über 20.000 Bafög-Anträge in Thüringen

Das Studierendenwerk Thüringen bestätigt das. Auf Anfrage sagte eine Sprecherin MDR THÜRINGEN, dass 2022 mit über 20.000 Bafög-Anträgen fast doppelt so viele Anträge wie noch vor drei Jahren gestellt worden seien.

"Das hängt vor allem damit zusammen, dass das Studierendenwerk Thüringen 2019 die Zuständigkeit für die IU Internationale Hochschule übernommen hat und seitdem die Antragszahlen auf Ausbildungsförderung der IU-Studierenden sehr ansteigen." Aus dem zuständigen Wissenschaftsministerium heißt es: "Der Anstieg der Studierendenzahlen an der IU Erfurt überstieg die Erwartungen und damit die Planungen deutlich."

"Studierendenwerk Thüringen" steht auf dem Schild vor einem Studentenwohnheim in der Nordhäuser Straße.
Das Studierendenwerk Thüringen sucht Personal für das Bafög-Amt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Zudem stehe "aus rechtlichen und technischen Gründen keine elektronische Akte zur Verfügung", weshalb alle Unterlagen ausgedruckt werden müssen - auch, wenn diese online eingereicht wurden. Zusätzlich gebe es zu wenig Bearbeiterinnen und Bearbeiter, auch wenn das Personal schon aufgestockt worden sei.

Dass eine Studentin seit Sommer 2022 auf ihren Bescheid wartet, entspricht nicht unseren Ansprüchen und geht in der Regel schneller.

Studierendenwerk Thüringen

Doch damit allein lasse sich die lange Bearbeitungszeit des Antrags von Linda Riebesam nicht erklären, meint das Studierendenwerk: "Dass eine Studentin seit Sommer 2022 auf ihren Bescheid wartet, entspricht nicht unseren Ansprüchen und geht in der Regel schneller."

Ich bin schon etwas desillusioniert.

Katharina Osterhammer Studentin an der Uni Erfurt

Ist Linda Riebesam also ein Einzelfall? Nicht ganz. Auch Katharina Osterhammer, die den Masterstudiengang "Geschichte und Soziologie des Nahen Ostens" an der Universität Erfurt absolviert, wartet schon seit Monaten auf ihren Bafög-Bescheid. "Ich habe wie jedes Jahr einen Antrag gestellt, und zwar Mitte November für eine Folgezahlung ab Januar."

Im April habe sie die Nachricht bekommen, dass der Antrag nun bearbeitet werde. Ende Mai hatte sie noch immer keinen Bescheid. Nach einem halben Jahr. "Theoretisch hätte ich gern Geld ab Januar gehabt", sagt die Studentin und fügt hinzu: "Das passiert nicht das erste Mal bei mir. Ich bin schon etwas desillusioniert."

"Der Antrag hat das Image, dass man nur im besten Fall wenige Wochen nach Antragstellung das Geld bekommt", sagt Katharina Osterhammer und erzählt von anderen Studierenden, die monatelang auf ihren Bescheid warten mussten. "Ich bin nicht der unglückliche Einzelfall", sagt sie.

Aus ihrer Beobachtung wurde das Problem in den letzten zwei Jahren "drastischer". Das passt zu den Angaben des Studierendenwerks, dass die Zahl der Anträge gerade in den letzten zwei Jahren stark zugenommen habe und dies unter anderem zu einer längeren Bearbeitung führe.

Keine konkreten unbearbeitete Bafög-Anträge

Konkrete Zahlen darüber, wie viele Anträge unbearbeitet beim Bafög-Amt liegen, hat das Studierendenwerk auf Nachfrage nicht genannt. Dort spricht man weiter von Einzelfällen. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, das geschilderte Antragsvolumen zu bewältigen", heißt es auf nochmalige Anfrage.

Auch das Thüringer Wissenschaftsministerium hat keine Zahlen. Eine Sprecherin sagte MDR THÜRINGEN: "Konkrete Statistiken zu den einzelnen Bearbeitungszeiten liegen uns nicht vor. Gleichwohl ist uns bekannt, dass es stellenweise längere Bearbeitungszeiten gab."

So wie es jetzt ist, hängt man komplett in der Luft.

Katharina Osterhammer Studentin an der Uni Erfurt

Derweil lebt Katharina Osterhammer von Nebenjobs und Rücklagen eines Stipendiums. Aber lange reichen diese Rücklagen nicht. Sie braucht das Bafög oder zumindest einen Bescheid, mit wieviel Geld sie monatlich rechnen kann. "Man ist in permanenter finanzieller Unsicherheit", sagt die Masterstudentin.

"Von der Bafög-Entscheidung macht man ja auch andere Entscheidungen abhängig, zum Beispiel den Umfang des Nebenjobs." Sich um einen Job zu kümmern, brauche Vorlauf. "Das wäre mit einem zeitlichen Rahmen leichter." Sie wünsche sich zumindest eine Einschätzung, wie die Chancen stehen, Bafög zu bekommen. "So wie es jetzt ist, hängt man komplett in der Luft."

Zusätzliches Personal für das Bafög-Amt

Ihr Wunsch also ist, neben einer schnelleren Bearbeitung, eine bessere Kommunikation. Doch auch dafür braucht es genügend Personal und nach diesem ist das Studierendenwerk nach eigenen Angaben auf der Suche: "Das Studierendenwerk Thüringen gewinnt zusätzliches Personal für die Antragsbearbeitung im Bereich Bafög" und suche "qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter".

Durch die "bereits erfolgte und laufende Einstellung von Beschäftigten" soll laut dem Wissenschaftsministerium "der Bearbeitungsrückstand zeitnah abgebaut werden". Ein "positiver Effekt" sei bereits spürbar, sagte eine Sprecherin des Ministeriums.

Zumindest Linda Riebesam, die seit zehn Monaten auf die Bearbeitung ihres Bescheids wartet, hat nun endlich Antwort vom Studierendenwerk bekommen. Darin heißt es, dass ihre zuständige Sachbearbeiterin nicht mehr im Amt sei. "Leider sind wir auf Grund der Vielzahl der Anträge auch erst bei der Bearbeitung der Posteingänge vom Januar 2023", steht in der E-Mail, die uns vorliegt.

Die Studentin muss nun noch einige Unterlagen nachreichen. Dann soll, so steht es in der E-Mail, ihr Antrag abschließend bearbeitet werden. Linda Riebesam könnte demzufolge zum Monatsende "ihren berechneten Leistungsanspruch erhalten".

Ich will finanziell unabhängig sein und nicht meiner Familie auf der Tasche liegen.

Linda Riebesam Studentin an der IU Erfurt

Die Studentin, die aus Frömmstedt im Landkreis Sömmerda stammt, klingt erleichtert. Sie sagt: "Ich will finanziell unabhängig sein und nicht meiner Familie auf der Tasche liegen." Vor zehn Monaten hat sie durch einen Online-Rechner berechnen lassen, auf wie viel Bafög sie Anspruch hätte. Es waren um die 800 Euro, das ist fast der Höchstsatz.

MDR (caf)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | Nachrichten | 23. Juni 2023 | 08:00 Uhr

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