Falsche Diagnostik Warum ADHS bei Frauen erst spät oder gar nicht erkannt wird
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19. Juli 2024, 06:56 Uhr
Lange war nicht klar, dass ADHS auch Frauen und Mädchen betrifft. Weil die Diagnostik auf Jungs ausgelegt ist und Mädchen es lernen, ihre Symptome nicht nach außen zu tragen, bekommen viele ihre Diagnose erst sehr spät oder gar nicht. Häufig löst das Begleiterkrankungen aus.
- Frauen werden seltener und meist später mit ADHS diagnostiziert als Männer, weil die Diagnostik auf Jungs ausgelegt ist.
- Bei Mädchen richten sich die Symptome häufiger nach innen und bringen Begleiterkrankungen mit sich.
- Viele Betroffene denken, dass ADHS ein negativer Teil ihrer Persönlichkeit ist und keine Krankheit.
Angelina Boerger ist 32. Mit 29 erhielt sie die Diagnose ADHS. Aber nur, weil sie wusste, dass irgendwas nicht stimmt: "Ich war damals schon in einer Verhaltenstherapie, weil ich das Gefühl hatte, dass ich nicht gut mit Stress umgehen kann, und mit noch nicht einmal 30 mit einem Bein im Burnout stehe." Sie sah ein Interview mit einer Betroffenen und für Angelina war klar: Sie hat das auch.
Bei ihrer Therapeutin stieß sie auf taube Ohren. Also suchte Angelina aktiv nach ADHS Ambulanzen für Erwachsene. Mittlerweile hat sie einen therapeutischen Fahrplan mit Medikation und Verhaltenstherapie: "Die Medikamente sind keine Zauberpille, die man einschmeißt und plötzlich funktioniert man so, wie die Norm. Sondern es hilft mir dabei, all die Symptome, die mich im Alltag manchmal aufhalten und stören, ein bisschen unter Kontrolle zu kriegen."
ADHS-Diagnostik auf Jungs ausgelegt
Dass Frauen so selten und meist noch viel später als Angelina diagnostiziert werden, hat auch damit zu tun, dass sie schon in der Kindheit durchs Raster fallen. Studien zufolge sollen doppelt bis zehn Mal so viele Jungs betroffen sein wie Mädchen. Doch langsam weiß man: Diese Zahlen kommen vor allem zustande, weil die Diagnosekriterien auf Jungs gemünzt sind.
Da sich bei Mädchen die Symptome eher nach innen richten, würden sie meist nicht als ADHS erkannt, sagt Maria Strauß. Sie leitet die ADHS Ambulanz der Uniklinik Leipzig: "Das sehen wir auch bei den Komorbiditäten. Das sind dann zusätzliche psychische Störungen, die bei einer nicht erkannten ADHS häufig die Folge sind." Weibliche Betroffenen hätten häufiger Angststörungen und depressive Störungen.
Das habe damit zu tun, dass Mädchen häufig signalisiert werde: Zappeln, unordentlich und laut – so sollen Mädchen nicht sein. Also kompensieren sie. So wird die Hyperaktivität zur inneren Unruhe, die Aufmerksamkeitsschwäche zur Träumerei. Die emotionalen Überforderungen zum inneren Kampf mit sich selbst.
Stichwort ADHS
Eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beginnt im Kindes- und Jugendalter und kann auch im Erwachsenenalter weiter bestehen. Hinter ADHS verbirgt sich eine der häufigsten psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Man nimmt an, dass etwa zwei bis sechs Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter krankhaften Störungen der Aufmerksamkeit und an motorischer Unruhe leiden.
Charakteristisch für ADHS sind folgende drei Hauptsymptome: Hyperaktivität (übersteigerter Bewegungsdrang), Unaufmerksamkeit (gestörte Konzentrationsfähigkeit) sowie Impulsivität (unüberlegtes Handeln). Die einzelnen Symptome können jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt sein und müssen auch nicht immer alle gleichzeitig auftreten.
Quelle: Bundesgesundheitsministerium
Erleichterung durch Diagnose
Gerade, wenn ADHS als Kind nicht in Betracht gezogen wurde, sagt Medizinerin Maria Strauß, dächten viele Betroffene, dass dieses Verhalten Teil ihrer Persönlichkeit sei: "Wenn ganz vieles nicht klappt, wieder was vergessen wurde, wieder zu spät gekommen – schon seit der Kindheit gibt es ja diese Erlebnisse – dann beginnt man an sich selbst zu zweifeln."
Mit einer Diagnose gebe es dann endlich die Chance, sich anders zu betrachten – so wie bei Angelina Boerger. Sie hat in der Therapie gelernt, sich selbst zu verzeihen und sich zu akzeptieren: "Ich bin so und ich muss anfangen mich selbst anders zu sehen und auch in den Arm nehmen zu können, wenn mal was schief geht."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 19. Juli 2024 | 06:51 Uhr
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