Hirnwellen Wie wir mit Neurofeedback unsere Konzentration verbessern

31. Mai 2024, 15:13 Uhr

Um die Konzentration zu steigern, leichter in die Entspannung zu kommen oder Angststörungen zu verringern, werden zunehmend Neurofeedback-Therapien angewendet. Wie funktionieren sie?

Bei der Konzentration schwingt unser Gehirn auf besondere Weise

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Auf einem Fernseher fliegt wie im Simulator ein Flugzeug über den Ozean. Die Sonne scheint, das Meer liegt glitzernd und ruhig unter Ihnen. Dann erscheinen grüne Ringe vor dem Flugzeug in der Luft. Konzentrieren Sie sich jetzt darauf, mit dem Flugzeug durch die Ringe zu fliegen. Konzentrieren Sie sich auf diese Vorstellung: Steuern Sie das Flugzeug durch die Ringe!

Was wären wir ohne Konzentration? Konzentration ist ein elementarer Vorgang unseres bewussten Erlebens und ein großer Teil unseres Gehirns ist daran beteiligt. Immer wenn wir uns auf eine Sache konzentrieren, gerät unser Gehirn in Schwingung und schwingt in einem ganz besonderen Muster, ganz bestimmten Frequenzen.

Hirnwellen lassen sich messen

Diese Frequenzen lassen sich über die Elektroenzephalographie (EEG) messen: Dabei werden Elektroden an der Kopfhaut angebracht, die die Spannung messen und Veränderungen in der Hirnaktivität aufzeichnen können. Seit einiger Zeit wird dieser Vorgang auch in der therapeutischen Praxis angewendet – als sogenannte Neurofeedback-Therapie: "Man kann die Hirnwellen steuern", erklärt Louisa Kulke, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Bremen: "Meistens hat man keine Ahnung, wie das gehen soll. Wenn ich jetzt sagen würde, setzen Sie mal kurz die Amplituden auf ihren Alphawellen runter, dann wüssten Sie nicht, was sie machen sollten."

Deshalb gebe es Methoden, um für die Patienten zu visualisieren, welche Hirnwellen aktiv seien: Beispielsweise in Form eines Flugzeugsimulators. Wenn Patienten es schaffen, das Flugzeug durch den Ring zu steuern, ist das ein Signal dafür, dass sie sich konzentrieren – und dass ihre Hirnwellen in dem gewünschten Muster schwingen. "Wir messen die Gehirnaktivitäten und geben ein Feedback dazu, wie diese Aktivität gerade aussieht", erklärt Psychologin Kulke.

Eine Frau mit langen schwarzen Haaren hält in ihrer rechten und linken Hand je eine Hälfte unseres Gehirns als Modell in der Hand und lächelt in die Kamera
Psychologin Louisa Kulke erforscht, wie sich unsere Konzentration von Kindesbeinen an entwickelt. Bildrechte: MDR

Grundlage der Therapie sind Datenbanken mit den Hirnwellen von hunderten gesunden Probanden in verschiedenen Situationen wie "konzentriert" oder "entspannt". So sind bei gesunden Menschen im Modus "konzentriert" die sogenannten Alpha- und Thetawellen weniger aktiv als andere Hirnwellenmuster.

Alpha und Theta-Wellen Unser Hirn schwingt in Frequenzen von unter 1 bis weit über 100 Hertz, also von etwa einer bis über 100 Schwingungen pro Sekunde. In aufsteigender Geschwindigkeit gibt es Deltawellen, Thetawellen, Alphawellen und Betawellen. Den Wellen werden unterschiedliche Bewusstseinsvorgänge und Zustände zugeordnet. Vor etwa 100 Jahren entdeckte der deutsche Psychiater Hans Berger die Hirnwellen und entwickelte das EEG.

Wie funktioniert die Neurofeedback-Therapie?

Am Anfang der Therapie wird die Datenbank mit den Hirnwellen der Patienten abgeglichen, um Unterschiede feststellen zu können. In den Sitzungen sollen die Patienten dann ihre Hirnwellen an das gesunde Maß angleichen. Mittlerweile ist die Neurofeedback-Therapie eine anerkannte Behandlungsform für Kinder und Jugendliche mit ADHS. Sie wird als reguläre Leistung von Krankenkassen übernommen. Etwa fünf Prozent der Heranwachsenden und drei Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben ADHS.

In rund 30 bis 40 Sitzungen lernen die Patienten über Flugzeugsimulationen oder die veränderte Lautstärke ihrer Lieblingsmusik (wenn sie sich konzentrieren, wird die Musik lauter, wenn sie abschweifen, verstummt die Musik) ihre Hirnwellen zu modulieren. Sie werden durch Erfolge am Bildschirm für ihre Konzentration belohnt und können so ihr Gehirn konditionieren und durch regelmäßige Wiederholung in der Therapie schneller in die gewünschten Schwingungen bringen. Die Therapie fußt also auf dem Belohnungssystem im Gehirn.

Ergotherapeutin: Anwendungsfälle werden mehr

Ergotherapeutin Sophia Petzold aus Leipzig beobachtet seit Corona auch eine deutliche Zunahme von Erwachsenen, die für verschiedene Symptomatiken ihre Neurofeedback-Therapien in Anspruch nehmen. "Uns fällt auf, dass die Bandbreite der psychischen Erkrankungen – also Zwänge, Ängste, Erschöpfung, Burnout, Long Covid, Vergesslichkeit, Fatigue – viel, viel mehr geworden sind und mehr und mehr Leute zu uns kommen", so die Therapeutin.

Was passiert genau in der Neurofeedback-Therapie?

Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit von Neurofeedback-Therapien. Bereits die erste Sitzung kann dabei positive Effekte auf Aufmerksamkeit, Entspannung und Konzentration haben. Es gibt allerdings ein großes Aber: Denn neuere, randomisierte Studien mit mehreren Kontrollgruppen zeigen auch die Wirksamkeit von "Placebo"-Neurofeedback.

Das Bild zeigt ein Büro, in dem sich zwei Frauen gegenübersitzen. Links MDR Wissen Moderatorin Daniela Schmidt, rechts die Ergotherapeutin Sophia Petzold
Ergotherapeutin Sophia Petzold im Gespräch mit MDR Wissen Moderatorin Daniela Schmidt bei einer Neurofeedback-Sitzung Bildrechte: MDR

"Selbst wenn man ein Neurofeedback-System aufsetzt, was in Wirklichkeit gar nicht angeschlossen ist und man aber denkt, man würde trainieren, dann erhöht sich danach schon die Lebensqualität", sagt Psychologin Louisa Kulke: "Die Teilnehmenden denken, dass dann schon ihre ADHS-Symptome besser geworden sind, wenn sie an so einer Intervention teilnehmen. Das heißt, der Kontext ist sehr wichtig und schon allein dieses Gefühl, dass man was tut, hilft einem für die Aufmerksamkeit."

Therapie-Setting stärkt die Ergebnisse

Reichen schon die Bestandteile des therapeutischen Settings – regelmäßiger Gang zum Therapeuten, Anamnese-Gespräche über die eigenen Probleme, ruhig sitzen während der Therapie-Sitzung, unter Anleitung und in Obhut eines Experten sein, die Erwartung des Therapieerfolges – um die eigene Konzentration zu verbessern? Studien legen das nahe und sprechen daher beim Neurofeedback von einer unspezifischen Wirkweise: Neurofeedback wirkt, aber es ist noch immer nicht klar, welche Faktoren genau daran wirken.

Können wir also unsere Hirnwellen steuern? Autoren der Studie „Believing is achieving – On the role of treatment expectation in neurofeedback applications“ formulieren es so: "Selbst nach mehr als 50 Jahren Forschung auf diesem Gebiet stützt der aktuelle Wissensstand also kaum die Annahme eines direkten und ausschließlichen Zusammenhangs zwischen EEG-Feedback-Training und Symptomreduktion." Die Forschenden seien sich einig, dass die positiven Auswirkungen von Neurofeedback aus mehreren Faktoren resultierten. Außerdem sehen sie weiteren Forschungsbedarf. Neurofeedback ist ein Weg zur besseren Konzentration, daneben gibt es aber noch eine Reihe anderer Möglichkeiten, die Konzentration im Alltag zu steigern.

Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 31. Mai 2024 | 12:00 Uhr

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