Pressefreiheit Klagen gegen die Meinungsfreiheit
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03. Mai 2023, 00:01 Uhr
SLAPP-Klagen sind strategische Einschüchterungsklagen gegen Medien und die öffentliche Meinung. Sie kosten Geld, Zeit und Nerven. Einflussreiche Personen und Organisationen missbrauchen die Gerichte und klagen gegen Journalistinnen und Journalisten. Diese bewusste Einschüchterung der Zivilgesellschaft durch einflussreiche Privatpersonen, Unternehmen, Lobbygruppen und staatliche Institutionen nimmt zu.
2022 versuchte ein Immobilienunternehmen, ein zivilgesellschaftliches Netzwerk und eine Uni-Zeitung rechtlich an kritischer Berichterstattung zu hindern. Die Leipziger unabhängige Hochschulzeitung luhze hatte über eine Initiative von Mieterinnen und Mietern berichtet, die gegen die Firma United Capital vorgingen. Im konkreten Fall ging es um den Umbau von Mietraum zu hochpreisigen Wohnungen für Studierende. United Capital wollte per einstweiliger Verfügung verbieten, dass die Zeitung eine Reihe von Aussagen der Mieterinitiative weiterverwendet. Diese Aussagen seien geschäftsschädigend, argumentierte United Capital. Kurz vor dem Gerichtstermin zog United Capital dann seinen Antrag überraschend zurück.
Abmahnungen von der Adelsfamilie
Auch die Adelsfamilie der Hohenzollern hat in den vergangenen Jahren Medien und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Dutzenden von Abmahnungen überzogen. Hintergrund ist ein langjähriger Streit, ob die Hohenzollern Anspruch auf Rückgabe von nach 1945 enteigneten Besitztümern haben. Dabei geht es auch um die Rolle des letzten deutschen Kaiserhauses im Nationalsozialismus. "Wir haben den Eindruck, dass es um generellen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung geht", erklärte auf dem Höhepunkt der Klagewelle 2020 Arne Semsrott vom Portal "FragDenStaat". Nach seinen Berechnungen habe Hohenzollern-Chef Georg Friedrich Prinz von Preußen allein 2019/2020 mindestens dreißig Historiker, Journalisten, Medien und Politiker verklagt. "FragDenStaat" legte darauf den sogenannten "Prinzenfonds" auf, um Betroffene zu unterstützen. Damals erklärten die Hohenzollern-Anwälte laut heute nicht mehr online verfügbaren Stellungnahmen auf der Familien-Website preussen.de, es sei bei den Abmahnungen lediglich um einzelne Falschbehauptungen gegangen.
2021 konnte sich die Gewerkschaft Verdi, gegen deren Zeitschrift "M - Menschen machen Medien" die Hohenzollern vorgingen, in zweiter Instanz vor Gericht durchsetzen. Im März 2023 erklärte Georg Friedrich Prinz von Preußen dann überraschend, auf die Forderungen zur Rückgabe des enteigneten Vermögens zu verzichten und nahm auf einer von den Hohenzollern veranstalteten Fachkonferenz dazu Stellung.
Was sind SLAPP-Klagen? SLAPP steht für strategic lawsuit against public participation, das heißt: Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung. Ziel der Klagen ist, die Veröffentlichung unliebsamer Informationen zu verhindern und Kritiker und Kritikerinnen einzuschüchtern. "SLAPPs stellen eine schädliche Form der Belästigung und Einschüchterung gegen diejenigen dar, die das öffentliche Interesse schützen und Missstände öffentlich aufdecken", so Philipp Wissing von PatFox. Die europaweit aktive Organisation setzt sich für eine freie Berichterstattung von Journalistinnen und Journalisten ein. PatFox steht für "Pioneering anti-SLAPP Training for Freedom of Expression".
Warum gibt es diese Klagen?
SLAPP-Klagen sind hauptsächlich gegen Journalistinnen, Journalisten und Medienunternehmen gerichtet: The Coalition Against SLAPPs in Europe (CASA) veröffentlichte im März 2022 eine Fallstudie, bei der 570 SLAPP-Klagen untersucht wurden. Die CASA ist ein Zusammenschluss aus Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen aus verschiedenen EU-Ländern. Die Befunde der Studie zeigen, dass fast jede dritte SLAPP-Klage gegen eine Journalistin oder ieinen Reporter gerichtet ist. In etwa jede vierte Klage richtet sich gegen ein Medienunternehmen. Die Anzahl solcher Klagen steigt seit 2010 stetig an.
Der Zweck solcher Klagen besteht darin, Kritiker zu zensieren, einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Im Gegensatz zu regulären Verfahren werden SLAPP-Klagen nicht mit dem Ziel eingeleitet, den Rechtsstreit für sich zu entscheiden oder eine Entschädigung zu erlangen. "Es geht in erster Linie nicht darum, den Fall zu gewinnen. Das Verfahren wird nur aus dem Grund eingeleitet, um damit finanzielle und psychologische Ressourcen des Angeklagten zu erschöpfen und diesen einzuschüchtern. Ziel ist es, die Beklagten zum Schweigen zu bringen und sie davon abzuhalten, ihre Arbeit fortzusetzen.", so Tiemo Wölken. Er ist SPD Europaabgeordneter und setzt sich für Betroffene von SLAPP-Klagen ein.
Denn wenn rechtliche Schritte eingeleitet werden, ist das für die Betroffenen belastend. Es schüchtert sie ein und unterbindet oft die Berichterstattung. Besonders kritisch sind solche Klagen auch durch hohe Schadenssummen, die in den meisten Verfahren geltend gemacht werden. Zwar könnten viele solcher missbräuchlichen Klagen zivilrechtlich angefochten werden, sagt Patrick Wissing von PatFox. Doch auch das erfordere wieder viel Zeit, Aufwand und Nerven bei den Betroffenen - vom Prozessrisiko einmal ganz abgesehen.
Wölken fordert, dass die abschreckende Wirkung solcher Einschüchterungsklagen gestoppt werden muss, weil sie die Meinungs- und Informationsfreiheit bedrohen. "Zu unserer Demokratie gehört ein öffentlicher Diskurs, der mittels kritischer Berichterstattung gefördert wird", so der EU-Politiker. "Unsere Gerichte dürfen nicht von mächtigen Unternehmen, reichen Einzelpersonen oder korrupten Politiker*innen missbraucht werden, um unbequeme Kritik loszuwerden", sagt Wölken.
SLAPP-Klagen – kein deutsches Phänomen
Der Rechtsanwalt Jasper Prigge aus Düsseldorf ist spezialisiert auf Medienrecht und kennt sich mit Einschüchterungs- und SLAPP-Klagen aus. Er sagt: "EU-weit muss mehr Sensibilität geschaffen werden. Solche Fälle sind für die Demokratie in Europa von Bedeutung." Wichtig sei auch, sich EU-weit zu vernetzen und Probleme über die Landesgrenzen hinaus zu diskutieren. Es sei immer wieder die Schwierigkeit, dass Kenntnisse für solche Verfahren fehlen würden. Wichtig sei eine geeignete Gegenstrategie zur Klägerseite zu finden.
In der EU ist das Problembewusstsein unterschiedlich ausgeprägt. Das hängt an verschiedenen Faktoren: Daran, von welchen Akteuren jeweils eine große SLAPP-Gefahr ausgeht; aber auch daran, wie lange das Thema schon im Fokus ist. In der EU und in der europäischen Öffentlichkeit ist das Thema spätestens seit dem Mord an der maltesischen Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 relevant. Bei ihren Recherchen war sie einflussreichen Drahtziehern in Malta zu nahe gekommen. Sie starb durch eine Autobombe. Es war ein Auftragsmord. Zuvor gab es etliche Versuche, die Recherchen über Korruption, Offshore-Firmen und Geldwäsche juristisch zu verhindern.
EU-Kommission legt Anti-SLAPP-Richtlinie vor
"Derzeit gibt es in keinem Mitgliedstaat besondere Schutzmaßnahmen gegen solche Verfahren, und nur einige wenige erwägen derzeit die Einführung spezieller Schutzmaßnahmen", so Philipp Wissing von PatFox. Ebenso wenig gäbe es unionsweite Vorschriften für SLAPP-Klagen. Europaweit solle eine Definition festgelegt werden, was SLAPP-Klagen seien. Laut Wissing könne man Gerichten dann wirksame Mittel an die Hand geben, um gegen SLAPP-Klagen vorzugehen. Rechtsanwalt Jasper Prigge empfindet eine Vorabprüfung als schwierig. Denn ob diese einen zeitlichen Vorteil bringen würden, sei fraglich. Zudem sei es verfassungsrechtlich zweifelhaft, den Rechtsweg durch ein solches Verfahren zu verkürzen. Zudem sollen die Betroffenen die Möglichkeit erhalten, sich effektiver zu verteidigen. Diese Botschaft ist in der EU angekommen. Die EU-Kommission hat 2022 eine Anti-SLAPP-Richtlinie vorgelegt, nach der unbegründete oder missbräuchliche Klagen frühzeitig abgewiesen werden sollen.
Doch erste Kompromissvorschläge lassen den Vorschlag schon wieder verwässern. Das zivilgesellschaftliche Bündnis bestehend aus Gewerkschaften, Menschenrechts- und weiteren Nichtregierungsorganisationen zeigt sich besorgt, denn der aktuelle Kompromissvorschlag würde die Situation nicht verbessern.