Nachrichten auf t-online, GMX und WEB.DE Die stillen Beobachter
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24. September 2021, 16:37 Uhr
Wahlkampfzeiten sind Hochzeiten für politischen Journalismus. Eine Umfrage jagt die andere. Die "Performance" der Kandidatinnen und Kandidaten und ihre Wahlprogramme werden unerbittlich analysiert und bewertet. Bei der Bundestagswahl 2021 mischen aber nicht nur die klassischen Medien mit. Auch E-Mail-Startseiten oder das ehemalige Telekom-Portal t-online machen heute in Politik.
Altbundeskanzler Gerhard Schröder hat einen Kommentar geschrieben. Es geht um 9/11 und die bis heute spürbaren Folgen des Terroranschlags vor 20 Jahren. "Der Kampf ist noch nicht gewonnen", lautet die Überschrift über Schröders Text. Doch der findet sich nicht etwa, wie man denken könnte, in einer großen Tageszeitung. Er steht auch nicht in der Zeit oder im Spiegel. Sondern ganz oben auf der Startseite von t-online. Hier finden sich auch eine Bewertung zum Auftritt von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet in der ZDF-Sendung "Klartext" und Informationen zu den jüngsten Umfrageergebnissen.
t-online gibt es im Netz und auf 4.700 Video-Screens
Das Portal heißt zwar noch nach Deutscher Telekom. Auch die Farbe der Schlagzeilen und Überschriften ist noch Magenta und zum gleichnamigen E-Mail-Dienst geht’s ebenfalls. Doch mit der Telekom hat die Website nichts mehr zu tun. Sie gehört seit Ende 2015 der Werbefirma Ströer, die durch Plakatwerbung groß geworden ist und heute vor allem auf Online-Werbung setzt. t-online versteht sich als vollwertiges digitales Nachrichtenangebot wie spiegel.de oder auch die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Neben der Website und diversen Newslettern werden die Inhalte von t-online in Kurzform auch über die rund 4.700 Public-Video-Screens von Ströer in Innenstädten, Bahnhöfen und Einkaufszentren verbreitet. Es gibt Ressorts und Bereiche wie in den klassischen Medien - von Politik, Wirtschaft und Sport bis zu Kultur, Lifestyle und Gesundheit. Neben Texten und Rankings bringt t-online auch Videobeiträge.
Der Chefredakteur ist kein Unbekannter: Florian Harms war vor seinem Wechsel zu t-online vor vier Jahren Redaktionsleiter bei Spiegel Online. Mit seinem Newsletter "Tagesanbruch" sortiert er jeden morgen das Weltgeschehen, und natürlich gibt es das Ganze auch als Podcast. 80 Journalistinnen und Journalisten arbeiten nach eigenen Angaben in der Berliner Redaktion von t-online. "Wir wollen nicht aus dem Elfenbeinturm oder von der Kanzel herab berichten, sondern uns jeden Tag selbst fragen: Was wollen unsere Nutzer wirklich wissen?", erklärt Harms das Selbstverständnis der Redaktion auf den eigenen Seiten. Daher setzt t-online auf Berichterstattung auf Augenhöhe und Dialog mit Nutzerinnen und Nutzern. "Unser Journalismus soll kritisch, aber konstruktiv sein. Einordnend, aber nicht verordnend. Aufklärerisch, aber nicht rechthaberisch", schreibt Harms weiter. Sein großes Ziel ist nichts weniger, als "t-online.de zu einem Leuchtturm in der Informationsflut zu entwickeln."
Ebenfalls von Ströer betrieben wird der deutsche Ableger des Schweizerischen Nachrichtenportals watson, das sich seit 2018 vor allem an junge Erwachsene richtet. "Junge Erwachsene interessieren sich nicht nur für reine News, sie wollen selbst teilhaben und mitgestalten", heißt es dort. "Deswegen nimmt watson zusätzlich sechs Schwerpunkte in den Fokus, die gerade für die junge Generation wichtig sind: Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung, Vielfalt, Chancengleichheit, Streaming und der positive Blick."
Auch GMX und WEB.DE haben eigene Nachrichtenredaktionen
Auch wer seine Mails bei den Diensten des United Internet-Konzerns wie gmx.net oder web.de abruft, steckt plötzlich mitten im Bundestagswahlkampf. Hier analysiert Ostblogger Marco Fieber als Politikredakteur die Aussichten der Grünen, nach der Wahl am 26. September im Bund mitzuregieren oder es wird über Pläne berichtet, nach denen der SPD-Politiker Karl Lauterbach Chancen auf den Posten des Bundesgesundheitsministers hat. Hinter diesem Angebot steht eine eigene Redaktion mit Sitz in München. Die Finanzierung läuft allein durch Werbung, sagt Chefredakteur Thomas Rebbe: "Da web.de und GMX zu den reichweitenstärksten Nachrichtenmedien in Deutschland gehören, können wir unsere Inhalte durch Werbung finanzieren." Laut Rebbe ist das Angebot für viele Nutzerinnen und Nutzer nicht nur einfach ein Maildienst, "für viele sind wir auch die Hauptnachrichtenquelle im Internet". Dabei ist der Redaktion der enge Kontakt zu den Nutzerinnen und Nutzern wichtig, die in der Rubrik "Wie wir arbeiten" auch nachvollziehen können, nach welchen Spielregeln und Kriterien bei GMX und WEB.DE Journalismus gemacht wird.
Angebote erzielen im Netz hohe Reichweiten
Die Reichweiten dieser neuen Angebote sind enorm, weil sie klassische Internet-Dienste wie E-Mail mit ihrem Inhalteangebot verknüpfen. Und sie werden vor allem mobil genutzt. t-online kam im August 2021 nach Angaben des Reichweitenmessers IVW auf über 390 Millionen Visits, davon entfielen rund zwei Drittel auf mobile Geräte. Das ist mehr als spiegel.de mit rund 246 Millionen Visits; von den klassischen Medien liegt nur bild.de mit 486 Millionen Visits höher. GMX kam im gleichen Monat auf über eine halbe Milliarde Visits, der zum gleichen Konzern United Internet gehörende Dienst WEB.DE, dessen redaktionelles Angebot weitgehend mit dem von GMX identisch ist, blieb mit 481 Millionen Visits knapp darunter. Bei GMX und WEB.DE entfallen jeweils sogar rund 80 Prozent auf die mobile Nutzung. Diese extrem hohen Werte ergeben sich allerdings dadurch, dass hier jede Mailnutzung mitgezählt wird. Wird die Mailnutzung herausgerechnet, bleiben trotzdem beachtliche Zugriffszahlen auch für das redaktionelle Angebot. So meldete t-online für den August 2021 rund 188 Millionen Visits, auf web.de entfielen 104 Millionen und 92 Millionen auf GMX.
Zum Vergleich: Ein Angebot wie rtl.de kam im August in der Kategorie Nachrichten auf rund 15 Millionen Visits und sueddeutsche.de auf knapp 46 Millionen Visits. watson.de liegt mit 322.000 Visits eher im unteren Bereich. Spitzenreiter ist mit weitem Abstand bild.de mit über 409 Millionen Visits.
Noch keine Erkenntnisse aus der Wissenschaft
Doch wie nutzen die Menschen diese neuen Angebote? Spielt ihre Berichterstattung in der öffentlichen Debatte eine Rolle und macht den klassischen Medienangeboten ernsthaft Konkurrenz? Wer sich hier aus der Forschung Hinweise erhofft, bleibt derzeit eher ratlos zurück. Denn mit diesen neuen Angeboten beschäftigt sich die Wissenschaft bislang kaum. MDR MEDIEN360G hatte zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs Anfang August MDR-Nutzerinnen und Nutzer gefragt, wo sie sich über die Bundestagswahl und den Wahlkampf informieren. Bei der Umfrage mit dem MDR-Befragungstool MDRfragt gaben zehn Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, sich auch bei t-online zu informieren. Interessanterweise stieg dieser Anteil in der Altersgruppe der über 50-Jährigen auf 13 Prozent. Auf GMX bzw. WEB.DE entfielen in allen Altersgruppen nur drei bis vier Prozent. Zum Vergleich: Fast drei Viertel der Befragten nutzen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gut die Hälfte auch Tageszeitungen und das Radio.
Keine Verdrängung anderer Medien, sondern Ergänzung
Eine wirklich große Rolle spielen die vergleichsweise "neuen Player" trotz ihrer beachtlichen Zugriffszahlen aber offensichtlich noch nicht. Sie machen zumindest bislang den klassischen Leitmedien wie Fernsehnachrichten, Tageszeitungen oder Nachrichtenmagazine keine Konkurrenz in dem Sinne, dass diese nun deutlich weniger Zugriffe verzeichnen oder gar nicht mehr genutzt würden. Vielmehr tragen t-online, GMX & Co. zu einer größeren Angebotsvielfalt bei und werden von vielen Menschen ergänzend zu den etablierten Medien konsumiert.