Zwei Schachfiguren stehen, eine weitere wird von einer Hand hinzugefügt.
Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Medien im Wahlkampf Das Duell ist tot - es lebe das Triell

23. August 2021, 10:30 Uhr

Triell im Dreierpack statt ein zentrales Kanzlerschafts-Duell, Town-Hall-Meetings unter Corona-Bedingungen und dazu noch "Pommes mit Meinung": Die Bundestagswahl 2021 bringt auch für die Medien viele Veränderungen. Schließlich kämpfen gleich drei Spitzenkandidatinnen und -kandidaten um den Einzug ins Kanzleramt. Und noch nie war die Möglichkeit der digitalen Teilhabe und Mitwirkung für die Bürgerinnen und Bürger so groß.

Der für alle sichtbarste Unterschied ist das direkte Schaulaufen ums Kanzleramt. Hier konkurrieren diesmal drei statt zwei Menschen. Doch auch das klassische TV-Duell ist hierzulande noch gar nicht so alt. Seinen Ursprung hat es in den USA, wo im 19. Jahrhundert Wahlkampfdebatten zwischen den Präsidentschaftskandidaten schonmal mehrere Tage dauern konnten. 1948 gab es das erste Duell im Radio, die Premiere im Fernsehen fand 1960 zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy statt. In (West-)Deutschland wurde zwar schon seit den 1970er Jahren über ein TV-Duell diskutiert, aber erst 2002 stiegen der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) in die TV-Bütt. Und das gleich doppelt: Einmal für die Privatsender RTL und ProSiebenSat.1 und ein zweites Mal für ARD und ZDF. Bei den folgenden Bundestagswahlen bestand die heutige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stets darauf, dass es nur ein Duell gab. Weil natürlich alle vier Sendergruppen dabei sein wollten, interviewten so vier Fragestellerinnen und -steller die zwei Duellanten.

Drei Trielle am 29. August sowie 12. und 19. September

2021 wird es - ähnlich wie beim ersten deutschen TV-Duell 2002 - dagegen wieder mehrere Runden geben. Das erste Triell senden am 29. August RTL und der private Nachrichtensender n-tv. Dann nehmen die zu RTL gewechselte Ex-"Tagesthemen"-Moderatorin Pinar Atalay und RTL-Chefmoderator Peter Kloeppel Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) in die Zange.

Die Öffentlich-Rechtlichen legen zwei Wochen später am 12. September unter der Moderation von Maybrit Illner und ARD-Chefredakteur Oliver Köhr nach.

Während diese beiden Termine schon seit Mai vereinbart waren, legte Mitte August die dritte große TV-Einheit ProSiebenSat.1 nach. Auch sie bekommt die drei ins Studio - und hofft, mit dem spätesten Termin am Sonntag vor der Wahl (19. September) zu punkten. Das dritte Triell soll bei allen Sendern der Gruppe (ProSieben, Sat.1, Kabel 1) und auf dem Youtube-Kanal des ProSieben-Magazins "Galileo" ausgestrahlt werden. Die Moderation ist dabei Frauensache - neben Claudia von Brauchitsch vom Sat.1-Magazin "akte" befragt Linda Zervakis Baerbock, Laschet und Scholz. Zervakis kommt auch von der ARD, sie war bis Ende April 2021 Chefsprecherin der "tagesschau".

Dass Triell stellt dabei noch aus einem ganz anderen Grund alle Teilnehmenden vor neue Herausforderungen. Denn es kann beim echten Triell paradoxerweise dazu kommen, dass unter bestimmten Bedingungen gute "Schützen" gegenüber schlechten "Schützen" im Nachteil sind: Sie halten sich dann gegenseitig in Schach, während der schlechtere "Schütze" triumphiert. Ob sich diese in einigen Western wie "The Good, the Bad and the Ugly" aus dem Jahr 1966 verfilmte Situation auf ein TV-Triell von Politikerinnen und Politikern übertragen lässt, ist noch unerforscht.

Journalistik-Professor Michael Haller kritisiert "Belanglosigkeiten"

"Alles ist anders", sagt auch Michael Haller zur Bundestagswahl 2021. Der Journalistik-Professor hat lange das Institut für Journalismus der Universität Leipzig geleitet und verfolgt die Wahlberichterstattung seit Jahren professionell. Er sieht aktuell eine "brutale Überforderung des Polit-Journalismus, der sich im hektischen News-Gehetze verirrt und sein Publikum verwirrt". Die eigentliche Aufgabe der Medien wäre dagegen, "die zentralen Fragen großer Teile der Bevölkerung beispielsweise zum Umweltschutz und zur Sozialpolitik zu publizieren, die von den drei Kandidaten bzw. Parteien (noch) nicht hinreichend beantwortet werden. Tag für Tag konkrete, belastbare Antworten zu naheliegenden Fragen der Zukunftssicherung einfordern: Dies wäre aus meiner Sicht die neue Herausforderung der Medien. Stattdessen werden in den Interviews und Talkrunden vor allem Belanglosigkeiten bequatscht." Besonders kritisch sieht Haller Tendenzen wie beim Privatsender ProSieben, der wie bei den letzten Wahlen seine "Bundestagswahl-Show" eher unterhaltend ausrichtet. "Soweit ich sehe, versuchen die TV-Produzenten während dieser Wahlkampfzeit, praktisch jedes Format umzusetzen. Es fehlen nur noch Formate in der Art von 'Wetten das' oder 'Wer wird Millionär'."

Viele Online-Angebote zum Mitmachen

funk, das junge Angebot von ARD und ZDF ist schon Mitte August in die heiße Phase der Wahlberichterstattung gestartet. Das Politik-Format "Die da oben!" führte am 16. August Kandidatinnen- und Kandidatenchecks aus Sicht junger Menschen durch und erklärte, wer für welche Themen steht. Außerdem schauen sich die funk-Formate "So Many Tabs", "Simplicissimus", "Hand drauf" und "reporter" weitere Wahlkampfthemen innovativ und mit Beteiligung der Userinnen und User an. Bei "So Many Tabs" werden zum Beispiel die Wahlprogramme der sechs aktuell im Bundestag vertretenen Parteien mit dem Fokus auf Netzpolitik verglichen. "Hand drauf" erklärt nochmal anschaulich, wie das Ganze abläuft und bietet so Basiswissen zur Bundestagswahl.

Der MDR lässt sein Publikum ebenfalls in vielen Formaten direkt zu Wort kommen und hat dazu unter anderem eine interaktive Wünsche-Karte für die Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen angelegt. Hier können die Erwartungen an die neue Bundesregierung eingetragen und Visionen und Hoffnungen formuliert werden. Die Befragung läuft über die MDR-Online-Befragungsplattform MDRfragt, die Antworten werden interaktiv in eine Online-Landkarte integriert und in diversen MDR-Formaten im Fernsehen und Radio thematisiert. In den Wochen vor der Wahl präsentiert der MDR Nachmittag auch sein Format "Pommes mit Meinung" ganz mit Blick auf den 26. September. Vier Mal ist dann der MDR mit der mobilen Imbissbude auf Marktplätzen in Mitteldeutschland unterwegs und sucht zum Thema Wahl den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern.

Rundfunk, Presse und Politik

Eine Europa-Karte auf der europäische Länder in drei Farben eingefärbt sind. Die Karte befindet sich unter Sonar-Kreisen, auf denen Zeitungs-, Fernseh- und Radio-Symbole platziert sind. mit Video
Rundfunkbeitrag, Steuer oder beides? Für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es in Europa unterschiedliche Systeme. Bildrechte: MEDIEN360G
Im Hintergrund sitzt eine Person. Sie ist nicht erkennbar. Im Vordergrund ist ein Mikrofon zu sehen.
Lokaljournalisten, die in Dörfern und Kleinstädten arbeiten, laufen Gefahr, dass sich ihr Berufsleben auch auf ihr Privatleben auswirkt. Sie haben Sorge vor Übergriffen, weil nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Wohnorte oder Autos häufig bekannt sind. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Medien im Fokus

Ein Mann ist in drei Situationen abgebildet: in nachdenkender Pose, mit einem Tablet in der Hand, mit einer Kamera in der Hand. Im Hintergrund ist eine Fernsehregie zu sehen.
Reporter wie Olaf Nenninger arbeiten oft unter Zeitdruck, damit ein Nachrichtenbeitrag noch am selben Tag gesendet werden kann. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Foto: Daniela Dufft
Eine Person hat ein Smartphone in den Händen. An den Handgelenken ist die Person mit einer Kette gefesselt.
Ob Bahnticket oder Arzt- und Behördentermin – ohne Smartphone und Internet geht fast nichts mehr. Wer sich dem verweigert, läuft Gefahr, abgehängt zu werden. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Ein Mann im Rollstuhl spricht in eine Kamera auf einem Stativ.
Aus dem digitalen Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen mit einer Krankheit machen, können Betroffene Hoffnung und Mut schöpfen. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia

Sicher in der digitalen Welt

Ein Politiker steht vor Mikrofonen, lächelt in die Kamera und reckt beide Daumen nach oben. Das Foto hat mehrere digitale Bildfehler.
Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen meint, Desinformation gefährde die Demokratie. Manche Experten halten die Angst vor Fake News für übertrieben. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Kinder arbeiten im Unterricht auf ihren Tablets.
Ab dem nächsten Schuljahr werden Schulkinder in Thüringen im neuen Fach Medienbildung und Informatik unterrichtet. Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services
Ein Mann und eine Frau posieren mit ihrem Säugling für ein Selfie.
Bevor Kinder fünf Jahre alt sind, sind bereits durchschnittlich 1500 Bilder von ihnen im Netz, so eine Studie. Und einmal online, haben die Eltern keine Kontrolle mehr darüber, wie die Bilder verwendet werden. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia