Bergbau-Geschichte in Thüringen Der Kali-Schatz im Ohmgebirge
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16. März 2024, 05:00 Uhr
Das Ohmgebirge gilt als die größte Kaliressource in Westeuropa. Der Bergbauentwickler Südharz Kali will nun im thüringischen Eichsfeld ein neues Bergwerk bauen und die Vorkommen fördern. Ironie der Geschichte: Unweit der Lagerstätten kam es vor 30 Jahren in Bischofferode zu einer Marktbereinigung durch die Treuhandanstalt und somit zur Schießung der Grube "Thomas Münzer".
Autoren: Dirk Schneider, Jan Dörre
600 Meter unter der Erde, es ist dunkel und heiß: Von hier aus will der kanadische Bergbauingenieur Lawrence Berthelet endlich loslegen. Sein erklärtes Ziel: Der Abbau des Millionenschatzes unter dem Ohmgebirge im Norden Thüringens – Mineralien und Kali-Salze für die Düngemittel- und Chemieindustrie. Gemeinsam mit australischen Investoren ist er entschlossen, dieses Vorkommen zu erschließen.
Info-Box:
Seit ungefähr 150 Jahren weiß man, dass Kalium die Photosynthese von Pflanzen verstärkt. Mit dieser Entdeckung steigert sich die Pflanzenproduktion. Kalisalze steigen zu gefragten Rohstoffen auf dem Weltmarkt auf.
Natürliche Salze, die Kalium enthalten sind Carnallit, Kieserit und Sylvin. Die meisten der weltweit abgebauten Lagerstätten weisen einen ausgeprägten sylvinitisch oder carnallitisch Rohstoff auf. Ausgedehnte Kieserit-Vorkommen gibt es hauptsächlich in Deutschland.
Außerhalb von Deutschland befinden sich die größten Kalisalz-Vorkommen in Russland, Belarus und der Ukraine, in Kanada, den USA sowie im chinesischen Lop Nor. Auch aus Salzseen wie dem Toten Meer werden von Israel und Jordanien erhebliche Mengen Kalisalz gewonnen.
MDR /chemie.de
Für Lawrence Berthelet geht es kilometerweit durch das Altbergwerk Bleicherode-Sollstedt. Dorthin, wo der Schatz vom Ohmgebirge in greifbarer Nähe liegt. Unterwegs ist der Kanadier mit dem Thüringer Kali-Experten Henry Rauche. Beide wollen, dass dort die begehrten Salze wieder abgebaut werden. Denn jahrzehntelang lebte Thüringen gut vom Kali-Bergbau. Die Grube ist stilles Zeugnis dieser Zeit.
"Das wäre ein riesiger Standortvorteil, in einer Region zu sein, wo der Kali-Bergbau zuhause ist. Wo es in jeder Familie eine Beziehung zum Kali-Bergbau gibt, wo über mehrere Generationen Menschen in der Region erlebt haben, was der Kali-Bergbau an positiven Effekten für eine Region bringt", meint Henry Rauche.
Kalisalz - Devisenbringer für die DDR
Im Kalten Krieg steigt die kleine DDR zum drittgrößten Kali-Produzenten der Welt auf.
Nur Kanada und die Sowjetunion fördern mehr. Allein in Thüringen arbeiten im Kali-Werk Bischofferode in Hoch-Zeiten 16.000 Menschen. Und der Exportschlager bringt der DDR dringend benötigte Devisen.
"Nahezu 80 Prozent der Kali-Produktion wurde in das nichtsozialistische Wirtschaftssystem exportiert. Und alles wurde auf Dollar-Basis abgerechnet, das heißt, der Staatshaushalt der DDR, der Devisenhaushalt der DDR wurde zu guten Teilen aus Kali gespeist", erinnert sich Henry Rauche.
Als der Ost-Block erodiert und in Europa die Mauern fallen, wirft Russland große Mengen seines Kalis auf den Weltmarkt. Dadurch fallen die Preise rapide. Das Kali-Land Deutschland - Ost wie West - gerät unter Druck.
Das Staßfurter Kaliflöz Die Vorkommen unter dem Ohmgebirge sind nur ein kleiner Teil des sogenannten Kaliflöz Staßfurt, das sich von Polen bis in die Niederlande, vom Thüringer Wald bis an die Nordsee erstreckt. Es sind die Reste eines verdampften Salzmeeres, das sich dort vor 250 Millionen Jahren befand.
Der Kali-Abbau in Bischofferode und sein tragisches Ende
Bergmann Günter Henkel will Anfang der 1990er-Jahre beweisen, dass die Kali-Grube in Bischofferode eine Chance zum Überleben hat. Er weiß, dass der Abbau effektiver werden muss, um konkurrenzfähig zu werden.
Nach zwei anstrengenden Jahren voller Arbeit, Ideen und Planungen ist er sich sicher: das Bergwerk könnte überleben. Und da ist ja noch das Vorkommen unter dem Ohmgebirge, das unweit von Bischofferode lagert.
"Wir haben uns erinnert, dass es noch eine weitere Lagerstätte gibt. Nämlich bei Kaltohmfeld, die Ohmgebirgslagerstätte“, so Bergmann Henkel.
Doch Bischofferode steht zu dieser Zeit unter der Verwaltung der Treuhand. Günter Henkel macht eine detaillierte Planung, aber die Reaktion lässt auf sich warten.
Und dann kam aber das rigorose Aus. Jegliche Aktivitäten sind einzustellen, ansonsten werde uns sofort und augenblicklich gekündigt. Da war für mich klar, diese Herrschaften spielen mit uns ein böses Spiel.
Heute weiß man, Bischofferode wird zum Opfer einer Marktbereinigung.
Damals ist die Wut groß: Die Kumpel besetzen ihr Werk, produzieren weiter – und beginnen schließlich einen Hungerstreik. Bischofferode wird zum Synonym für den Kahlschlag der Treuhandzeit. Ende 1993 wird Bischofferode geschlossen. Ein Jahr Proteste haben nichts genützt. Ein Trauma für die beteiligten Bergleute, bis heute.
Ich kenne keinen, der nicht ab einem bestimmten Alter mit dem Schacht zu tun hatte. Das war eine Katastrophe.
Bei Monique Haushälter wird durch ein Schüler-Praktikum bei Günter Henkel das Interesse am Bergbau geweckt und sie bleibt der Region treu, in der sie aufgewachsen ist. Heute ist sie neben ihrer beruflichen Tätigkeit ehrenamtliche Bürgermeisterin im Eichsfeld.
Während ihres Praktikums ist Günter Henkel dabei, "sein" Kali-Werk zu versiegeln. Fast die gesamte Kali-Industrie Thüringens stirbt. Die Region verliert tausende Arbeitsplätze, nahezu alle Bergwerke schließen, die Steuereinnahmen fallen weg.
Und der Freistaat muss - einmalig im deutschen Bergbau – für sämtliche Altlasten allein aufkommen, aufgrund einer Vereinbarung aus den 1990er-Jahren.
Australisches Unternehmen besitzt viele Abbau-Lizenzen in Thüringen
Dabei wäre das alte Kali-Bergwerk heute eine Chance: "Würde Bischofferode noch existieren, könnte man von hier aus die Ohmgebirge-Lagerstätte erschließen", sagt Babette Winter, Geschäftsführerin der vor über zwei Jahren gegründeten Südharz Kali, Tochtergesellschaft der australischen Tochter der South Harz Potash Ltd.
Babette Winter und ihr Team um Ingenieur Lawrence Berthelet arbeiten weiter an der Kali-Zukunft in Thüringen. Denn die Investoren haben sich nicht nur die Rechte für die Ohmgebirge-Lagerstätte gesichert, sondern alle Bergbau-Lizenzen für die Kali-Vorkommen in Nordthüringen. Exakt jene Vorratsfelder der durch die Treuhand geschlossenen Bergwerke.
Das Ohmgebirge ist nur der kleinste Teil des gesamten Lizenzgebietes. Und das sind ewige Lizenzen, wir müssen keine Gebühren zahlen. Wir besitzen sie, so lange wir sie haben wollen.
Auch Monique Haushälter ist heute Mitarbeiterin der Südharz Kali. Die 27-jährige Eichsfelderin hat Geotechnik studiert und hofft auf eine Renaissance des Bergbaus in ihrer Heimat: "Wann hat man denn schon die Chance, von Anfang an ein Bergwerk zu entwickeln?"
Neustart von Kali-Abbau in der Region umstritten
Bis dahin scheint es jedoch noch ein langer Weg zu sein. In diesem Jahr will Südharz Kali das Planfeststellungsverfahren mit allen Gutachten vorbereiten. Je nachdem, ob oder wann die Thüringer Behörden das Vorhaben genehmigen, könnte dann das Bergwerk frühestens ab 2026 gebaut werden.
Das Interesse an dem Vorhaben ist unter der Bevölkerung groß und wird kontrovers diskutiert. Unter den Fürsprechern ist auch der ehemalige Kali-Bergmann Günter Henkel.
Mein Phantomschmerz aus dem Jahre 93 wirkt noch immer nach. Da es nunmehr seit 2022 ein Konsortium von Südharz Kali gibt, das den Bergbau hier in der Südharzregion wiederbeleben will, war das für mich ein freudiges Erlebnis.
500 Arbeitsplätze sollen entstehen, die Aufbereitung im neuen Bergwerk soll weitestgehend mit Strom erfolgen und damit klimaschonend und nachhaltig sein.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke, wo du lebst | 19. März 2024 | 21:00 Uhr