Geschichte Thüringens Enigma aus Erfurt – Geheim-Codes für Hitlers Wehrmacht
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21. Oktober 2023, 05:00 Uhr
Sie ist nicht viel größer als eine Schreibmaschine und wurde doch zu einer entscheidenden Waffe, vor allem in den U-Bootschlachten des 2. Weltkriegs. So wenig wie man über die Chiffriermaschine Enigma wusste, so geheim waren auch ihre Produktionsstätten. Eine Spur führt nach Erfurt, wo schon seit vielen Jahren Waffen und Büromaschinen produziert wurden.
Autor: Jan Dörre
Autorin: Galina Breitkreuz
Es ist Alan Turing, der im Film "Enigma - Das Geheimnis" (2001) beim Lagebericht vor britischen Offizieren auf die Frage nach der Wahrscheinlichkeit der Entschlüsselung des Enigma-Codes antwortet: "Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wovon Sie da sprechen? Die Enigma-Maschine verwandelt Klartext-Nachrichten in Nonsens-Buchstabengruppen. Das Problem ist, dass sie 150 Millionen Millionen Millionen Möglichkeiten hat. Wir reden hier nicht über das Kreuzworträtsel der Times".
Dem Film folgt ein weiterer aus dem Jahr 2014, diesmal starbesetzt mit Benedict Cumberbatch als Alan Turing und Keira Knightley als Joan Clarke. Und auch in "The Imitation Game" ist der eigentliche Star die kleine Chiffriermaschine, die den Takt des Films vorgibt. Es entwickelt sich ein Wettlauf, ob der streng geheime Enigma-Code der Wehrmacht von Spezialisten in Bletchley Park, der Dienstelle des britischen Geheimdienstes, zu knacken ist.
Von den Geschichten, die sich um die Verschlüsselungsmaschine Enigma ranken, ist auch der Erfurter Gerhard Roleder fasziniert. Als Elektroingenieur und begeisterter Hobbyfunker interessiert er sich schon zu DDR-Zeiten neben der Funktionsweise der Enigma auch für deren Entwicklung und Herstellung.
Durch Zufall stößt er auf einen Hinweis, dass während des 2. Weltkriegs ein Modell der Verschlüsselungsmaschine in Erfurt hergestellt wird und zwar in den Olympia-Büromaschinenwerken. Dabei handelt es sich angeblich um das Modell der Enigma, das auf den U-Booten der deutschen Kriegsmarine die geheime Funkübertragung garantieren sollte.
Die Waffenproduktion in der Königlich Preußischen Gewehrfabrik
Dass es in Erfurt eine lange Tradition für die feinmechanische Produktion gibt, ist ein nahezu vergessenes Kapitel. Schon im 19. Jahrhundert beginnt man am Mainzerhofplatz mit der Herstellung von Waffen.
Dort wird die Königlich Preußische Gewehrfabrik errichtet, die Ende der 1850er-Jahre ihre Produktion aufnimmt. Durch die Ansiedlung wird Erfurt zu einer strategisch wichtigen Stadt und Teil einer immer rasanter wachsenden Rüstungsproduktion.
Der Oberkurator des Stadtmuseums Erfurt Hardy Eidam erinnert an die Bedeutung der Waffenfabrik: "Für die damalige Zeit sind es hervorragende Arbeitsbedingungen. Das heißt, man hat eine geregelte Arbeitszeit. Man hat auch geregelte Pausen und die Plätze sind begehrt. Wer in der Preußischen Gewehrfabrik und in den jeweiligen Außenstellen unterkommt, hat eigentlich ausgesorgt für seine Familie."
In den 1910er-Jahren sind nahezu 20.000 Menschen an der Waffenproduktion direkt oder indirekt beteiligt. Das ist jeder fünfte Erfurter! Mit der seriellen Herstellung von Waffen wird Erfurt zu einem der großen Rüstungsproduktionsstätten im Deutschen Kaiserreich. Gebraucht werden die Waffen auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs.
Der Prototyp der Enigma fällt durch
In diesem Krieg entscheiden erstmals neue Technologien über Sieg oder Niederlage. Und so kommt auch der Verschlüsselung des Funkverkehrs eine immer größere Bedeutung zu.
1917 wird der Ingenieur Artur Scherbius beauftragt, für das Militär eine Verschlüsselungsmaschine zu bauen. Doch der Prototyp - schon 1918 zum Patent angemeldet - fällt beim Test ein Jahr später durch: Zu unzuverlässig erscheint die kleine Maschine dem Militär.
Mit der Niederlage im 1. Weltkrieg (1918) und dem Untergang des Deutschen Kaiserreichs wird auch in Erfurt laut Versailler Vertrag die Rüstungsproduktion eingestellt.
Der Aufstieg der Schreibmaschinen-Produktion
Tausende Beschäftigte verlieren dort ihre Anstellung. Doch es dauert nicht lange, bis die Fähigkeiten der Erfurter Rüstungsarbeiter wieder gefragt sind. Der Kommunikationssektor entwickelt sich rasch zu einem neuen globalen Markt und mit ihm brandneue Produkte. Und so beginnt man auch in Erfurt mit der Produktion von Schreibmaschinen.
"All die Dinge, die man für die Waffenherstellung benötigt, bei Gewehren, bei Handfeuerwaffen etc. werden nun natürlich auch in der Schreibmaschine zum Einsatz kommen. Bügel, Hebel, Zahnrädchen: All das, was da ineinander spielt, muss bearbeitet werden, braucht einen feinmechanischen Blick. Und diese Arbeiter sind zu Tausenden in Erfurt vorhanden", weiß Hardy Eidam.
Ab 1923 heißt die einst Königlich Preußische Gewehrfabrik "Deutsche-Werke-Schreibmaschinengesellschaft" und Schreibmaschinen aus Erfurt können sich schnell auf dem Weltmarkt behaupten.
Bis zum Ende des 2. Weltkriegs entwickelt sich das in "Olympia" umbenannte Büromaschinenwerk (1937) zu einem der größten Industriebetriebe Erfurts. Nach dem Krieg muss wegen eines Rechtsstreit der Firmenname in VEB Optima Büromaschinenwerk geändert werden, ab 1978 bis zum Ende der DDR geht der Betrieb im Kombinat Robotron auf.
Kurze Geschichte der "Optima"
1946 wurden die Olympia Büromaschinen Werke (1937) in eine Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) umgewandelt, aber schon 1950 als VEB Olympia Büromaschinenwerk Erfurt in deutsche Verwaltung übergeben.
Der Betrieb verlor anschließend einen Rechtsstreit um den Namen am Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen die Olympia-Werke AG in Wilhelmshaven, die von ehemaligen Mitarbeitern in der BRD gegründet worden waren.
Sowohl der Firmenname wurde in VEB Optima Büromaschinenwerk geändert, als auch der Name der Schreibmaschinen von Olympia in Optima. Dem Betrieb, der in den 1960er-Jahren rund 6.900 Beschäftigte hatte, gelang es, sich als Schreibmaschinenproduzent einen vorderen Platz auf dem Weltmarkt zu sichern.
1978 wurde die Optima Teil des Kombinates Robotron und dementsprechend in VEB Robotron-Optima Büromaschinenwerk Erfurt (OBE) umbenannt. 1979 konnte die Optima als einer der ersten Betriebe der Welt eine elektronische Schreibmaschine, die "robotron S 6001", vorstellen.
1991 wurde im Zuge der Auflösung des Kombinates die Robotron Optima GmbH gegründet, die 1999 Insolvenz anmelden musste. Noch bis 2004 versuchten noch verschiedene Nachfolgeunternehmen ihr Glück. Jedoch ohne Erfolg.
Quelle: Thüringer Wirtschaftsarchiv, Robotrontechnik.de
Enigma wird zur geheimen Waffe im 2. Weltkrieg
Zurück zu Artur Scherbius: Er erkennt das Potential der neuen Schreibmaschine und entwickelt seine Erfindung in Berlin weiter. 1924 baut er zwei unterschiedliche Varianten seiner Chiffriermaschine.
Eine sogenannte schreibende, die wie eine Schreibmaschine das Ergebnis ausschreibt und eine Glühlampen-Maschine, die das Ergebnis mit Glühlampen anzeigt. Alle Kunden bevorzugten die schreibende Maschine. Nur, dass die schreibende Maschine noch nicht fertig war.
Doch 1924/25 braucht die Marine der Weimarer Republik dringend eine Chiffriermaschine. Und so entscheidet man sich für die Glühlampen-Variante.
Eine Investorengruppe erkennt das kommerzielle Potential der Chiffriermaschine und will Scherbius‘ Erfindung auf dem internationalen Markt für zivile Kunden etablieren. Was fehlt, ist der passende Name. Und so ist "Enigma" (Rätsel) wohl auf eine Idee der Investoren zurückzuführen. Kurz nach Beginn der Serienfertigung verunglückt Scherbius 1929 tödlich.
Mit der Machtergreifung Adolf Hitlers nimmt die bereits begonnene geheime Aufrüstung Fahrt auf. Das Interesse des Militärs an der Enigma wächst und so verschwindet sie vom zivilen Markt. In den folgenden Jahren wird sie zu einer wichtigen Verschlüsselungsmaschine der Deutschen Wehrmacht.
Die Entzifferung des Geheim-Codes
Als 1942 auf deutschen U-Booten die weiterentwickelte Version der Enigma, die M4 mit vier statt bislang drei Walzen zum Einsatz kommt, ist der Code für die Wissenschaftler in Bletchley Park wieder nicht entzifferbar. Es braucht zehn Monate bis es Alan Turing und seinem Team gelingt, auch diesen Code zu knacken. Doch weder die Besatzungen der deutschen U-Boote, noch das Oberkommando der Wehrmacht ahnen etwas davon.
Erst 1974 wird öffentlich, dass es den westlichen Alliierten bereits 1940 gelungen war, den Code der Enigma zu entschlüsseln. Damals eine Sensation, denn schließlich bedeutete dies, dass seitdem verschlüsselte Nachrichten der Deutschen Wehrmacht von den westlichen Alliierten abgefangen und mitgelesen werden konnten.
Der Beweis für die Enigma-Produktion in Erfurt
Die Nachforschungen des Erfurter Ingenieur Gerhard Roleders führen ihn schließlich ins Staatsarchiv Weimar. Dort findet er den gesuchten Beweis, vermerkt auf einer halben DIN-A4- Seite: eine Bestellung des Oberkommandos der Kriegsmarine für die Lieferung von Enigmas vom Typ M4 aus den Olympia Büromaschinenwerken in Erfurt.
Gerhard Roleder konnte sein Geheimnis "knacken" und entdeckte, dass die Enigma M4 tatsächlich auch in Erfurt hergestellt wurde. Damit reiht sich die Herstellung der Chiffriermaschine ein in die erstaunliche Kontinuität des Produktionsstandorts Erfurt für feinmechanische Erzeugnisse. Ein fast vergessenes Kapitel Thüringer Industriegeschichte.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke, wo du lebst | 17. Oktober 2023 | 21:00 Uhr