Illegaler Technologietransfer im Kalten Krieg Toshiba und die Erfurter Müllkippe
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24. Oktober 2023, 05:00 Uhr
Weil die DDR in den 80er-Jahren nicht schnell genug eine Chip-Fertigung auf die Beine stellen konnte, kaufte man das Know-how in Japan: Für viel Geld lieferte der Toshiba-Konzern Technik, die damals schon zweite Wahl war. Und nach einem internationalen Skandal endete das Ganze auf einer Müllkippe in Erfurt.
Gleich mehrere Kamerateams halten die Aktion fest. Im Juli 1987 zertrümmern 10 US-Kongressabgeordnete auf dem Rasen vor dem Capitol in Washington ein Radio der Marke "Toshiba". Eine symbolische Aktion, denn am liebsten hätten die Parlamentarier nicht nur den Apparat, sondern gleich den gesamten japanischen Konzern zerschlagen. Die Japaner waren zu unzuverlässigen Partnern und Verbündeten geworden: Heimlich hatten sie gemeinsam mit der norwegischen Firma Kongsberg computergesteuerte High-Tech-Fräsmaschinen an die Sowjetunion verkauft. Die war nun in der Lage neue, präzise Antriebsschrauben für ihre U-Boote herzustellen, die so leise liefen, dass sie von den Ortungsgeräten der NATO nicht mehr erfasst wurden. Die Sowjets schienen plötzlich einen Schritt voraus, die Sicherheit des Westens gefährdet - durch den illegalen Technologieverkauf der Japaner.
Toshiba in den USA
Es war ein japanischer Handelsmitarbeiter, der 1985 der CoCom (Coordinating Committe on Multilateral Export Controls), also dem Überwachungsorgan für die Embargolisten des Westens gegenüber dem gesamten Ostblock, den entscheidenden Hinweis zu den illegalen Geschäften gab. Eine norwegische Regierungskommission deckte daraufhin den geheimen Deal auf und auch die Verstrickung der Japaner. Washington drohte mit einem mehrjährigen Importverbot aller Toshiba-Produkte für den amerikanischen Markt. Die japanische Regierung war um Schlichtung bemüht. Der Außenhandelsminister reiste sofort zu Gesprächen nach Washington. Der Toshiba-Vorstand trat zurück. Das Unternehmen entschuldigte sich für seinen Verrat in großseitigen Zeitungsanzeigen beim amerikanischen Volk. Der Image-Schaden war enorm.
Toshibas illegales Geschäft mit der DDR
Aber nicht nur in Washington bemühten sich die japanischen Manager damals um Schadensbegrenzung. Ihr Weg führte auch nach Erfurt, um auch hier ein anderes, ebenfalls unerlaubtes Geschäft möglichst "geräuscharm" zu beenden. Auch hier ging es um den verbotenen Transfer von Know-how. Diesmal aber handelte es sich um Mikrochips. Auch diese Technologie und die zu ihrer Herstellung notwendigen Ausrüstungen unterlagen den Embargobestimmungen der NATO und ihrer Verbündeten. Sie durften weder in die Sowjetunion noch in andere mit der UdSSR verbündete Staaten geliefert werden. Doch wie war es zu dem Deal zwischen Toshiba und der DDR gekommen?
1985 schrieb der Leiter des Erfurter Kombinates für Mikroelektronik einen dramatischen Hilferuf an Günter Mittag in das Zentralkomitee der SED in Berlin. Dem obersten Wirtschaftslenker der DDR wurde darin offenbart, dass man in einer der wichtigsten, ökonomischen Zielsetzungen des Landes zu versagen drohte – die erfolgreiche Serienproduktion von in der DDR entwickelten 64 und 256 kBit-Speicherchips.
Halbleiter essenziell für die DDR-Wirtschaft
1984 hatte das 1978 gegründete Erfurter Kombinat für Mikroelektronik eine neue Chipfabrik errichtet. Im Erfurter Südosten. Genannt ESO 1. Hier sollten die im Dresdner ZFTM (Zentrum für Forschung und Technologie für Mikroelektronik) entwickelten Speicherchips produziert werden. Dafür war auch der Kauf westlicher Anlagentechnik nötig. Die DDR besaß zum Beispiel selbst keine Diffusionsanlagen. Derartige Anlagen standen jedoch auf den Embargolisten des Westens. Sie mussten also meist überteuert, also illegal erworben werden. Trotz all dieser millionenschweren Investitionen gelang dem Erfurter Kombinat keine effektive Massenproduktion von Speicherchips. Doch die DDR brauchte dringend diese Halbleitertechnik. Zum Beispiel um die Rechner des Kombinates Robotron mit Prozessoren zu bestücken.
Der Mann für schwierige Fälle
In solchen Situationen ließ Günter Mittag meist einen seiner wichtigsten Mitarbeiter zu sich kommen: den Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel und Offizier der Staatssicherheit, Alexander Schalck-Golodkowski. Der oberste Devisenbeschaffer der DDR sollte über seine Verbindungen ins westliche Ausland eine Lösung für die stockende Chipproduktion in Erfurt finden. Schalck-Golodkowski wiederum beauftragte seinen wichtigsten Mann in Sachen High-Tech-Schmuggel, Gerhardt Ronneberger, zu sich. Hatte der doch in den letzten Jahren viele Kontakte nach Japan, insbesondere zur Konzernspitze, von Toshiba geknüpft.
Toshiba liefert Know-how für Mikrochips
Gerhardt Ronneberger war es in den darauffolgenden Monaten gelungen, durch sein vertrauensvolles Verhältnis zum Toshiba-Vizepräsidenten und Direktor für Forschung, Dr. Nagai, den Konzern zu einem Handel zu bewegen. Für 25 Millionen Dollar war Toshiba bereit, sein komplettes Know-how zur Herstellung von 256 kBit-Speichern heimlich in die DDR zu liefern. Inklusive Hilfestellung bei der Beschaffung entsprechender Anlagen und deren Betreuung durch japanische Spezialisten in Erfurt. Zum gleichen Preis, also für ebenfalls 25 Millionen US-Dollar, hatte nur wenige Monate zuvor der Siemens-Konzern bei Toshiba die Technologie zur Produktion von Ein-Megabit-Speichern, also eine technologische Generation weiter, gekauft. Die Japaner ließen sich den illegalen Technologietransfer ordentlich bezahlen.
Kein offizieller Vertrag zwischen Toshiba und der DDR
Doch um das Risiko der Aufdeckung von Embargobrüchen so gering wie möglich zu halten, wurde zwischen Toshiba und der DDR nie ein offizieller Vertrag geschlossen. Das gesamte Geschäft lief über ein sogenanntes Gentlemen-Agreement ab. Lediglich ein Handschlag zwischen Gerhardt Ronneberger, dem Abteilungsleiter im Außenhandelsministerium, und dem Toshiba-Vizepräsidenten Dr. Nagai besiegelte den Handel. Ab Mitte 1986 reisten die ersten Spezialisten aus Japan nach Erfurt. Schnell war es gelungen, die Produktionsergebnisse des 64k DRAM zu steigern. Auch die Produktion der 256 kBit-Speicher nach japanischer Technologie wurde in Angriff genommen. Die Japaner lieferten sogar modifizierte Schablonen für die Chipproduktion. Anfang 1987 flossen die ersten Zahlungen der DDR zu Toshiba. Alles lief nach Wunsch. Doch dann das abrupte Ende.
Toshiba-Manager auf einer Erfurter Müllkippe
Nach dem Bekanntwerden der Kongsbergaffäre, in die Toshiba maßgeblich verwickelt war, wurde den japanischen Managern auch das viel kleinere, aber ebenfalls illegale Geschäft mit der DDR zu heiß. Man wollte es sofort beenden. Ein Vertreter der Toshiba-Konzernleitung erschien in Erfurt und forderte die Herausgabe aller gelieferten Unterlagen. Die bisherigen Zahlungen der DDR zahlte Toshiba zurück. Und der Manager bestand darauf, in seinem Beisein die originalen Glasschablonen zur Herstellung der Speicherchips auf einer Erfurter Müllkippe zu zerbrechen und zu entsorgen. Genau so geschah es dann auch.
Zwar war es den Technikern des Kombinates gelungen, vorher Kopien der Schablonen herzustellen. Doch ohne die Anwesenheit der japanischen Spezialisten geriet die erfolgreiche Überführung in die Massenproduktion erneut ins Stocken. Bis zum Ende der DDR war es dem Kombinat Mikroelektronik nicht gelungen, eine kostendeckende Chipproduktion zu realisieren.
Literaturtipp:
Deckname „Saale“ / High-Tech-Schmuggel unter Schalck-Golodkowski/ von Gerhardt Ronneberger / Karl Dietz Verlag Berlin 1999
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise: Macht! Chips! | 15. Oktober 2023 | 22:00 Uhr