Stadtgeschichte von Naumburg Geturtelt, gehandelt, getauscht: Warum der Naumburger Taubenmarkt bei Züchtern so beliebt ist

30. Mai 2023, 05:00 Uhr

Die Taube ist nicht nur ein altes, sondern auch ein äußerst umstrittenes Haustier des Menschen. Im christlichen Verständnis gilt sie als Symbol für den Heiligen Geist, Hobbyzüchter betrachten sie als engen Sportsfreund, Taubengegner bekämpfen hingegen die "Ratten der Lüfte" mit allen erdenklichen Mitteln. Die Liebe zu den Tauben hält auch eine über 160-jährige Tradition am Leben: den Naumburger Taubenmarkt. Zu Jahresbeginn an mittlerweile nur noch zwei Terminen im Januar und Februar, findet er traditionell unter freiem Himmel statt. Doch der Markt ist durch Seuchengefahr und verschärfte Tierwohl-Vorgaben bedroht.

Es ist eine Taube, die Noah in der alttestamentarischen Geschichte aus dem Fenster seiner Arche fliegen lässt, um zu erkunden, ob die Erde nach der Sintflut wieder bewohnbar sei. Von ihrem dritten Erkundungsflug kehrt sie schließlich nicht zurück und Noah schöpft Hoffnung, dass sie Land gefunden habe und nun Menschen und Tiere die Erde erneut bevölkern können.

Davon scheinen die Tauben reichlich Gebrauch gemacht zu haben, denn insgesamt 330 anerkannte Taubenrassen gibt es allein in Deutschland, weltweit schätzt man den Taubenbestand auf rund 500 Millionen Exemplare. Unter den Taubenrassen gibt es solche mit ungewöhnlichem Namen: Starwitzer Flügelsteller, Lahore Tauben oder ungarische Tümmler. Auf dem Taubenmarkt in Naumburg in Sachsen-Anhalt kann man viele von ihnen bewundern und dabei Züchter und Taubenliebhaber aus dem In- und Ausland treffen. Es ist eine einzigartige Atmosphäre, die geprägt ist von Freundschaft, Respekt und Liebe für die vielfältigen Zuchttiere.

Wissenswertes zu Tauben und Taubenzucht:

Brieftauben im Ersten Weltkrieg, 1915
Brieftauben im Ersten Weltkrieg, 1915 Bildrechte: IMAGO/Heritage Images

Um 5000 v. Chr. begann der Mensch mit der Domestikation der Taube. Sumerer (3000 v. Chr.) hielten Tauben als Fleischlieferanten und als Lockvögel, um Greifvögel zu fangen. In Ägypten schätzte man die Tauben vor allem wegen ihrer Exkremente, denn Taubenkot galt als guter Dünger. Römer hielten die Tiere in riesigen Taubenschlägen, Tauben galten bei ihnen als Delikatesse.
Im 9. Jahrhundert setzten Araber erstmals Brieftauben ein. Sie errichteten eine professionelle Taubenpost, indem sie Städte miteinander verbanden. Während der Kreuzzüge konnte sich das arabische Heer auf ein gut funktionierendes Nachrichtensystem verlassen. Tausende Brieftauben wurden auch im Ersten Weltkrieg auf allen Seiten an der Front eingesetzt.
Tauben können sich bis zu zehn Mal im Jahr vermehren. Nach sechs Monaten sind die Jungtiere ihrerseits fortpflanzungsfähig.

Der Naumburger Taubenmarkt hat eine mehr als 160-jährige Tradition

Der Naumburger Taubenmarkt ist der größte und älteste Markt seiner Art in Mitteleuropa. In einer kleinen Anzeige im Naumburger Kreisblatt wird der Taubenmarkt 1869 erstmals erwähnt: "Der hiesige landwirtschaftliche Verein beabsichtigt, einen Geflügelmarkt einzurichten. Wir bringen dies mit dem Ersuchen zur öffentlichen Kenntnis, das Unternehmen des Vereins nach Kräften zu unterstützen“.

Was zu Beginn als Kleintiermarkt startet – es werden neben Tauben auch Gänse, Enten, Hühner oder Kaninchen feilgeboten – entwickelt sich ab 1940 zu einem Markt, auf dem nur noch Tauben gehandelt werden. Das ist bis heute so geblieben. Da es weltweit nur noch wenige Taubenmärkte gibt, ist die Schau in Naumburg auch ein Alleinstellungsmerkmal und neben dem berühmten Naumburger Dom, ein touristisches Highlight der Stadt.

Das weiß auch Armin Müller, Bürgermeister von Naumburg:

Der Naumburger Taubenmarkt ist der letzte verbliebene Markt unter freiem Himmel, das heißt in der Winterzeit im Januar und Februar, oft auch bei Schnee und Eis. Das ist schon einzigartig hier bei uns in Deutschland.

Armin Müller

Und so kommen jedes Jahr im Januar und Februar Taubenenthusiasten, um auf dem zentralen Marktplatz Rasse- und Flugtauben zu tauschen, zu verkaufen oder einfach nur zu bestaunen. 2023 sind es knapp 200 Aussteller aus ganz Deutschland, Polen, Tschechien und sogar aus Frankreich, die zum ersten Markttermin im Januar gemeldet sind. Viele Züchter sind jedoch skeptisch, ob der zweite Markt im Februar überhaupt stattfinden kann. 

Begeisterung für Taubenzucht wird oft schon in der Kindheit gelegt

Nach der Corona-Unterbrechung bedroht nun die Geflügelpest den traditionsreichen Markt. Die Welt der Taubenzüchter steht Kopf, auch weil verschärfte Tierwohl- und Seuchenvorgaben ihre Leidenschaft für die Tiere beschränken.

Und diese Leidenschaft ist groß. Die Liebe zur Taubenzucht entsteht oft schon in der Kindheit. So wie bei Jürgen Wutzler aus Kirchberg in Sachsen. Er ist mit seinen Rassetauben 29-facher Deutscher Meister und begeistert Hochzeitsgesellschaften mit seinen weißen Brieftauben. Zum Naumburger Taubenmarkt kommt er, um seine Schönheiten mit befreundeten Züchtern zu tauschen:

Das ist wie im Sport, wenn man einen besonderen Fußballer in seine Mannschaft integriert. Man kann nie wissen, ob es funktioniert.

Jürgen Wutzler, Züchter

Oberste Priorität hat für Jürgen Wutzler, dass seine Tauben so gesund wie möglich bleiben. Denn nur gesunde Tauben ermöglichen einen optimalen Zuchterfolg. Ganz wichtig ist ihm deshalb eine ausgewogene Ernährung. Neben den obligatorischen 20 bis 30 Gramm Körnern pro Tag und Taube, gibt es bei ihm noch etwas ganz Besonderes: eine selbst hergestellte Taubenwurst.

"Diese Wurst besteht aus rein pflanzlichen Produkten - selbst angebaut, überwiegend im eigenen Garten - wie Oregano, Knoblauch, Löwenzahn, rote Zwiebel. Halt all das, was Tauben, die keinen Freiflug haben, nicht auf der Wiese finden können", so der Züchter.

Der Experte für Starwitzer Flügelsteller Kröpfer

Das Herz von Matthias Beutel aus Landsberg in Sachsen-Anhalt schlägt für eine ganz besondere Tauben-Rasse. Etwa 100 Starwitzer Flügelsteller in den verschiedensten Farbschlägen tummeln sich in seiner Voliere.

Seit 1961 züchtet er diese Rasse. Taubenrassen sind oft nach dem Ort benannt, wo sie herkommen. Starwitz – Starowice liegt in Polen. Matthias Beutel hat dazu eine ganz persönliche Verbindung: Seine Mutter stammt ursprünglich aus der Region in Schlesien. 

Im Verein für Kropftauben ist er seit 1964 engagiert und arbeitet dort auch als Preisrichter, etwa bei großen internationalen Taubenschauen, wie der Lipsia, deren technischer Leiter Matthias Beutel ist. Die Lipsia ist die "Oscarverleihung" der Taubenzüchter, die jedes Jahr im Dezember in Leipzig stattfindet.

Die Lipsia ist die größte Rassegeflügelausstellung der Welt und das war sie schon immer, auch zu DDR Zeiten. Der Unterschied zum Taubenmarkt in Naumburg, der ja auch eine große Tradition hat, ist, dass hier Tiere auf die Rassemerkmale geprüft und bewertet werden.

Matthias Beutel, Züchter

Taubenzucht in der DDR

Schon seit Mitte der 1970er-Jahre gilt Matthias Beutel in der DDR als einer der führenden Experten für seine besondere Taubenrasse. Er verfasst Fachartikel, ist Vorsitzender des Sondervereins der Starwitzer Flügelsteller und organisiert Ausstellungen. Und das alles neben seiner Arbeit im VEB Stahlbau Halle.

"Das hat sehr viel Zeit gekostet. Die Taubenzucht galt als sinnvolle Freizeitbeschäftigung im Sinne der Staats-Philosophie. Es gab im Arbeitsgesetzbuch einen Paragrafen, wo man für solche Tätigkeiten freigestellt werden konnte. Das war gesellschaftliche Arbeit, und ich habe damals tatsächlich 14 Tage frei gekriegt", erklärt der vielbeschäftigte Penionär.

Seit fast 50 Jahren ist Matthias Beutel auf dem Naumburger Taubenmarkt unterwegs. Doch sein diesjähriger Besuch fällt ins Wasser. Wenige Tage vor dem zweiten Taubenmarkt im Februar kommt die komplette Absage. Im Burgenlandkreis ist ein Fall von Geflügelpest aufgetreten. Auf Anordnung des Veterinäramtes erfolgt ein Verbot für Ausstellungen mit Geflügel und somit auch von Tauben.

Züchter fürchten nun um den Niedergang ihres Hobbys, auch der Markt in seiner jetzigen Form könnte in Gefahr sein. Blickt man jedoch auf Noah, seine Arche und den Flug der Taube, so bleibt auch dem Taubenmarkt die Hoffnung auf eine Verständigung mit den Behörden und auf eine Neugestaltung des traditionsreichen Treffs.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke, wo du lebst | 30. Mai 2023 | 21:00 Uhr

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