Umweltverschmutzung Viel mehr Plastik in den Weltmeeren als bisher angenommen?
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09. August 2023, 13:24 Uhr
Ob durch die Fischerei, unsere Flüsse oder die Strände: Ständig gelangt unser Plastikmüll in die Ozeane. Dort bleibt er dann für eine lange Zeit, bei einigen Plastikarten können das Hunderte Jahre sein. Der Kunststoff zerfällt allerdings - bis hin zu Mikropartikeln. Die geben die Meere an die Atmosphäre ab, haben Forschende aus Oldenburg herausgefunden. Und auch bei den großen Plastikteilen gibt es schlechte Neuigkeiten: Davon schwimmen offenbar deutlich mehr in den Weltmeeren als angenommen.
Es ist unmöglich, wirklich zu messen, wie viel Plastik in den Weltmeeren schwimmt. Deshalb müssen Forschende auf sogenannte Modellierungen zurückgreifen, mit denen berechnet werden kann, wie die Situation sich wahrscheinlich darstellt. Und genau so eine neue Modellierung eines niederländischen Forschungsteams kommt zu dem Ergebnis, dass sich viel mehr Plastik in den Weltmeeren befindet als bisher angenommen. Gleichzeitig gelange aber viel weniger Plastikmüll in die Ozeane. Das bedeute, so die Forschenden, dass das Plastik länger im Meer verbleibe als gedacht. Die Forschenden erklärten, dass ihre Modellierung der weltweiten Plastikströme im Meer Unstimmigkeiten in früheren Forschungsarbeiten auflösen würde.
Großer Teil des Plastikmülls schwimmt an der Oberfläche
In ihren Berechnung hat das Forschungsteam die Jahre 1980 bis 2020 und alle Weltmeere einbezogen. Sie basiert auf mehr als 20.000 Messwerten von der Meeresoberfläche, aus der Tiefsee und von Stränden. Der Analyse zufolge landen jährlich rund eine halbe Million Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen. Davon stamme fast die Hälfte aus der Fischerei, weitere rund 40 Prozent gelangten über die Küsten ins Wasser und der Rest werde über die Flüsse eingetragen, so die Forschenden. Bisher wurde die Müllmenge viel höher eingeschätzt. So ging eine Studie von 2020 etwa davon aus, dass die Plastikeinträge zwischen 19 und 23 Millionen Tonnen läge. Allerdings bezog sie sich auch auf Flüsse und Seen. Eine andere Studie aus 2021 bezifferte die Menge an Plastik, die allein von Flüssen ins Meer gebracht werde, auf 0,8 bis 2,7 Millionen Tonnen.
Bei der Plastikmenge, die bereits in den Meeren schwimmt, kommt die Modellierung des niederländischen Forschungsteams auf einen höheren Wert als bisher angenommen: Die Plastikmenge liege demnach bei 3,2 Millionen Tonnen. Dabei dominierten vor allem große Plastikpartikel. Allerdings haben die Forschenden hier nicht alle Kunststoffe beachtet: Nicht einbezogen in die Berechnungen ist etwa Plastik, das bereits zum Meeresboden abgesunken und in den Sedimenten abgelagert ist. Außerdem berücksichtigt das Forschungsteam ausschließlich Plastiksorten, die erst schwimmen, bevor sie absinken. Kunststoffe, deren Dichte jedoch größer ist als die des Meerwassers sinken sofort ab.
Rund 60 Prozent des von den Forschenden betrachteten Plastiks schwimmt an der Meeresoberfläche. Das ist mit zwei Millionen Tonnen auch der Großteil. Frühere Schätzungen gehen dagegen mit weniger als einer halben Tonne von deutlich geringeren Mengen aus.
Ein großer Teil Plastikmüll fehlt
Aber wie gut sind die Berechnungen des Forschungsteams? Generell sei es ziemlich kompliziert, die Plastikströme im Meer zu modellieren, sagt Serena Abel von der Universität Basel. "Die Ermittlung der weltweiten Menge an schwimmfähigem Plastik im Meer kommt mit vielen Herausforderungen und unbestimmten Variablen, die berücksichtigt werden müssen", sagt sie.
"Einerseits ist da die Komplexität der Meeresumwelt, die etwa 70 Prozent der Erdoberfläche bedeckt, andererseits die Komplexität der Faktoren, die das Schicksal von Plastik und Mikroplastik in unseren Ozeanen beeinflussen. Der Eintrag von Kunststoffen und ihr Verhalten, sobald sie in die Meere gelangen, werden stark von den lokalen Umweltbedingungen sowie von den intrinsischen Eigenschaften der Kunststoffobjekte beeinflusst." Abel sieht die vorliegende Studie als einen ersten Versuch, "den globalen 3D-Massenhaushalt von schwimmfähigem Kunststoff im Meer zu verstehen". Das Ergebnis der Modellierungen anhand von Faktoren wie Strömungen, geographischer Lage und Wetterbedingungen ermögliche eine genaue Kartierung, wie und wo Plastik sich bewegt und befinden kann.
Christian Schmidt vom Department Hydrogeologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg betont, dass es zunächst einmal völlig normal sei, dass verschiedene Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kämen. "Das gilt nicht nur für Plastik in der Umwelt, sondern für die wissenschaftliche Arbeitsweise im Allgemeinen", sagt er. "Die Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Frage, was mit Plastikpartikeln in den Ozeanen geschieht. Wie jede Modellstudie hat sie das Problem, dass das Modell in sich plausibel ist, die möglichen Fehler und Unsicherheiten aber aus den Annahmen kommen." Allerdings müsse man eben Annahmen machen, da man es noch nicht besser wisse, so Schmidt.
Die Auswirkungen der Plastikverschmutzung müssen als Krankheit unserer Ozeane betrachtet werden und nur die nachhaltige Verwendung von Plastik, die Regulierung der Abfallentsorgung und der Fischerei können sie eindämmen.
Allerdings kritisiert die Schweizer Forscherin Abel, dass einige der häufigsten Kunststofftypen aufgrund ihrer Dichte nicht mit in die Berechnung eingeflossen seien. So machten unter anderem allein Polyvinylchlorid (PVC) und Polyethylenterephthalat (PET) 35 bis 40 Prozent der in die Meeresumwelt gelangenden Masse aus. "Außerdem besteht ein großer Teil der in der Fischereiindustrie verwendeten Netze und Leinen aus Polyamiden – zum Beispiel Nylon –, einem Polymer, das in diesem Modell ebenfalls nicht berücksichtigt wurde, was zu einer ungenauen Schätzung des globalen Budgets führen könnte", sagt Abel. Und dennoch, bilanziert sie, sei es ein Meilenstein in der Erforschung der Plastikverschmutzung, den Verbleib und die Auswirkungen von Plastik im Meer auf globaler Ebene und nicht nur aus lokaler Perspektive zu untersuchen.
Auch Meeresökologin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, bedauert, dass nicht alle Kunststoffe in die Berechnung eingeflossen sind. Dementsprechend könnte etwa die Menge des Plastiks auf dem Meeresboden und in der Wassersäule größer sein, als von den Forschenden angegeben. Allerdings sei es gut, dass die Studie viel stärker auf empirisch gemessenen Daten aufbaue als bisherige. "Die immense Diskrepanz zwischen modellierten Daten zum Eintrag von Plastik ins Meer und den tatsächlich gemessenen Werten hat uns Forschende schon lange beschäftigt. Es ist gut, dass wir da weitergekommen sind", bilanziert Bergmann.
UFZ-Forscher Schmidt sieht noch große Unsicherheiten. "Es ist schwer abzuschätzen, inwiefern die Ergebnisse ,realistisch‘ sind", sagt er. Die wesentliche neue Erkenntnis der Studie sei, dass ein großer Teil des Plastiks im Wasser der Ozeane eher größere Partikel seien. Für den Great Pacific Garbage Patch sei das schon gezeigt worden, die Studie bestätige das jetzt weltweit, so Schmidt.
Ocean Cleanups: "Man würde nie fertig werden"
Wenn es jedoch stimmt, wie von dem niederländischen Forschungsteam berechnet, dass ein Großteil des größeren Plastikmülls an der Meeresoberfläche schwimmt, wäre es dann nicht sinnvoll, es aus dem Meer zu fischen? Immerhin gibt es bereits mehrere Projekte, die genau das versuchen. "Nach wie vor gilt, dass wir den Hahn zudrehen müssen, bevor wir aufwendig und teuer Plastik aus dem Meer fischen", sagt AWI-Forscherin Bergmann.
"Viele Forschende befürchten, dass diese Technologien zum Greenwashing beitragen, wenn große Plastikproduzenten sie finanzieren, um weiteres Wachstum zu rechtfertigen." Stattdessen sei es sinnvoll, weniger zu produzieren und das Design von Kunststoffen so zu ändern, dass weniger und gesundheitlich unbedenkliche Chemikalien gebraucht würden. Das steigere den Wert und ermögliche eine Kreislaufwirtschaft des wirklich notwendigen Plastiks, bilanziert Bergmann. Denn tatsächlich sei unklar, was mit dem aus dem Meer gesammelten Plastik passieren soll, denn das könne noch schlechter weiterverwendet werden kann als Plastik aus der Müllwirtschaft.
"Ich halte Cleanup-Aktionen im Meer für sinnlos", sagt UFZ-Forscher Schmidt. "Die Ressourcen wären an der Quelle viel besser eingesetzt, völlig unabhängig davon, ob tatsächlich etwa zehnmal mehr Plastik im Wasser der Ozeane ist als bisher angenommen." Allein der Great Pacific Garbage Patch - ein Müllstrudel im Norden des Pazifischen Ozeans - habe eine Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern, erläutert Schmidt. "Zum Vergleich: Die Fläche Deutschlands beträgt 358.000 Quadratkilometer. Man würde nie fertig werden."
Sinnvoller seien Aufräumaktionen an den Stränden, meint der UFZ-Forscher. Dann verhindere man nämlich, dass das Material (wieder) ins Meer gespült werde. "Strände sind außerdem viel leichter erreichbar als der offene Ozean. Das heißt, praktisch jeder kann beitragen." Doch die höchste Priorität müsse es haben, Plastikabfälle generell zu vermeiden, so Schmidt.
Atlantik gibt Mikroplastik an Atmosphäre ab
Doch auch wenn der Großteil des Plastiks im Meer größere Partikel sein sollten, ist auch das Mikroplastik, in das viele der Kunststoffe früher oder später zerfallen, Gegenstand der Forchung. Denn diese winzigen Plastikteilchen finden sich auch fernab der Küsten in weit entlegenen Teilen der Welt immer wieder in der Meeresluft.
Ein deutsch-norwegisches Forschungsteam präsentiert jetzt erstmals Daten dazu, wie hoch die Masse verschiedener Plastiksorten in der Luft über dem Nordatlantik ist und woher die Partikel stammen. Dem Forschungsteam zufolge gelangen die Mikroplastik-Partikel nicht nur durch den Wind, sondern teilweise auch aus dem Meerwasser in die Atmosphäre. Für die Studie analysierte das Team Luftproben, die sie entlang der norwegischen Küste bis in die Arktis genommen hatten. Der nördlichste Punkt sei dabei die Bäreninsel gewesen - also die südlichste Insel des Svalbard-Archipels auf halber Strecke vom Festland zur Hauptinsel Spitzbergen.
Die Analyse zeigte den Forschenden zufolge, dass in allen Proben Mikroplastikteilchen aus Polyester sowie Polyethylenterephthalate (PET) auftauchten. Außerdem hätten sich noch zahlreiche weitere Kunststoffe nachweisen lassen. Die Forschenden vermuten als häufige Quellen des Mikroplastiks Textilfasern, die in die Atmosphäre gelangt sind, sowie Reifenabrieb von Gummi-Reifen. Die Forschenden ermittelten Konzentrationen von bis zu 37,5 Nanogramm – also Milliardstel Gramm – Mikroplastik pro Kubikmeter Luft.
Diese Schadstoffe sind omnipräsent. Wir finden sie selbst in abgelegenen polaren Regionen.
Das Forschungsteam schreibt, dass die Studienergebnisse darauf hindeuteten, dass das Mikroplastik in der Meeresluft sowohl direkt von Quellen an Land als auch aus dem Meer stamme. Sie gehen davon aus, dass Plastikteilchen, die nahe der Meeresoberfläche schwimmen, zum Beispiel bei stürmischem Wetter über die Gischt oder durch platzende Luftbläschen in die Atmosphäre gelangten.
Links zu den Studien
Kaandorp MLA et al.: Global mass of buoyant marine plastics dominated by large long-lived debris. Nature Geoscience 2023. DOI: 10.1038/s41561-023-01216-0.
Isabell Goßmann et al: Occurrence and backtracking of microplastic mass loads including tire wear particles in northern Atlantic air. In: Nature Communications 14, 3707 (2023). DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-023-39340-5
(kie / SMC)
Dieses Thema im Programm: Das Erste | BRISANT | 10. August 2022 | 17:15 Uhr
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