Vermüllung UN-Plastikgipfel: Fachwelt mahnt zur Vernunft – "Drosselung unumgänglich"
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02. Juni 2023, 18:17 Uhr
In Paris ringen die Vereinten Nationen um ein Plastikabkommen, das die weitere Vermüllung der Welt stoppen soll. Es geht nicht nur ums Wie, sondern auch ums Wer. Fachleute sagen: Alle müssen ran. Und alle Mittel nutzen, gibt es gibt. Und Plastik neu denken.
Es ist wieder einer dieser Grabenkämpfe. So wie der ums CO2, welches da in leider ungünstigen Mengen in der Atmosphäre lungert. Auch Plastik lungert in ungünstigen Mengen, und zwar überall auf unserem Planeten. Nichtregierungsorganisationen fordern, der globalen Kunststoffproduktion Einhalt zu gebieten. Die Industrie hingegen möchte technische Innovationen in den Fokus rücken, zum Beispiel besseres Recycling.
Egal, welche Grabenseite dominieren wird: Ergebnisse auf dem Verhandlungstisch sind längst überfällig, auf sie wird in dieser Woche in Paris gehofft. Es ist die bereits zweite von fünf Verhandlungsrunden für ein UN-Plastikabkommen. Ein Blick auf die nackten Zahlen macht noch mehr Tempo: Laut Prognosen der OECD wird sich die Produktion von Kunststoffen von 2019 bis 2050 verdoppeln und bis 2060 verdreifachen. Nur ein Zehntel des Plastikmülls wird aktuell recycelt. Dieser Anteil wird sich laut OECD zwar erhöhen, allerdings nur auf 17 Prozent bis 2060. Der weitaus größere Teil wird demnach auch in Zukunft verbrannt, deponiert oder landet unkontrolliert in der Umwelt. Bereits heute enden pro Minute etwa vier Lkw-Ladungen Plastikmüll in Flüssen, Seen und Meeren – das sind jährlich rund zwanzig Millionen Tonnen, Tendenz steigend, in noch schwindligere Höhen.
Gewusst? Müllteppiche auf den Ozeanen dieser Welt sind ein großes Problem, keine Frage. Und trotzdem machen sie wohl nicht mal ein Prozent der Plastikverschmutzung in den Weltmeeren aus. Der größte Teil befindet sich unter der Wasseroberfläche.
Der Plastikgipfel wird nicht von allen Seiten bejubelt: Der Zeitplan gilt als ambitioniert, in den ersten Tagen hätten zudem zu viele Formalitäten statt Inhalte im Vordergrund gestanden. Von einigen Fachleuten wird Kritik laut, dass auch ein aktueller Bericht des Umweltprogramms der UN eher auf technische Lösungen als auf die Vermeidung von Kunststoffen fokussiert sei.
Nicht eines, nicht das andere, sondern alles
Vermeidung von Plastik und technische Lösungen sind allerdings nicht zwangsläufig ein Widerspruch, erklärt Sina Leipold, Professorin für Umweltpolitik an der Uni Jena und Leiterin der gleichnamigen Abteilung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig: "Um die Plastikmengen in der Umwelt zu reduzieren, wird eine Drosselung der Herstellung unumgänglich sein. Hierauf zielt letztlich auch das von der Industrie geforderte verbesserte Recycling ab. Die Verwendung von Sekundär-Rohstoff – also recyceltem Plastik – soll die Produktion von neuem Plastik verringern."
Internationale Abkommen haben in der Regel keine bindende Wirkung, da eine Nichteinhaltung für Staaten kaum Konsequenzen hat, außer einem schlechten Image.
Auf nationaler Ebene bestünden eine Reihe von möglichen Instrumenten, um die mikroskopischen und makroskopischen Plastikberge in den Griff zu bekommen. Angefangen von der Förderung wiederverwendbarer Verpackungen und Pfandsystemen, über Besteuerungen und Subventionen bis hin zum Basler Abkommen zur Begrenzung des grenzüberschreitenden Transports gefährlicher Abfälle. Gerade in der Verpackungsindustrie, der Textilindustrie und dem Bauwesen gebe es Leipold zufolge viel Potenzial zur Reduktion und Wiederverwendung, in der Medizintechnik und Elektronik sieht das anders aus. Und: "Internationale Abkommen haben aber in der Regel keine bindende Wirkung, da eine Nichteinhaltung für Staaten kaum Konsequenzen hat, außer einem schlechten Image."
Auch Melanie Bergmann, Meeresökologin am Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven bestätigt, dass es nicht nur einen Weg geben würde, um das Plastikproblem in den Griff zu bekommen. "Wissenschaftliche Berechnungen haben gezeigt, dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen müssen, um eine knapp achtzigprozentige Minderung der Plastikverschmutzung erreichen zu können", so Bergmann. "Den größten und kostengünstigsten Hebel bilden hier Mittel, die eine Verringerung der Produktion von neuem Plastik zur Folge haben. Damit lässt sich die Verschmutzung fast halbieren, daher ist dies ein sehr effektiver Hebel, auf den wir nicht verzichten dürfen.“
Abkommen würde mindestens Standards schaffen
Mit Recycling würden sich weitere zwanzig Prozent einsparen lassen. Dazu müssten aber die Zusammensetzungen von Kunststoffen besser offengelegt werden: "Plastikprodukte können über 13.000 verschiedene Chemikalien enthalten und knapp ein Viertel davon wird als gefährlich eingestuft. Produkte verschiedener Herkunft und unbekannter Zusammensetzung können kaum sicher zusammengeführt und weitergenutzt werden."
Den größten und kostengünstigsten Hebel bilden hier Mittel, die eine Verringerung der Produktion von neuem Plastik zur Folge haben.
Das Plastikabkommen der UN würde bei Zustandekommen aber mindestens einen standardisierten Rahmen liefern, erklärt Meeres- und Nachhaltigkeitsforscherin Aleke Stöfen-O'Brien, die als Beobachterin bei den Verhandlungen dabei ist. "Abhängig von den Vorgaben, die noch verhandelt werden müssen, könnte das Abkommen eine Struktur und Kriterien für die vorgesehenen nationalen Aktionspläne vorgeben. Die Umsetzung und Anwendung dieser Kriterien im nationalen Recht wäre ein wichtiger Aspekt, um die Wirksamkeit des Plastikabkommens zu bemessen."
Plastik neu denken
Neben einem Abkommen muss sich aber gleichzeitig auch die Philosophie hinter Plastik ändern. Die sichtbaren und unsichtbaren Müllberge sind nicht nur ein Zeichen dafür, dass Kunststoffe praktisch sind. Sondern vor allem: billig. "Nur mit einem weitreichenden Wandel von Kunststoffprodukten hin zu Werkstoffen, die als wertig betrachtet werden und wahrnehmbar qualitativ hochwertig recycelt werden können, wird es möglich sein, ein Kunststoffrecycling nachhaltig zu etablieren", betont Michael Nase, Leiter des Instituts für Kreislaufwirtschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hof. "Nur volkswirtschaftliche Gründe sowie Sorgen in Bezug auf die weiterhin kostengünstige und sichere Versorgung aller Konsumwünsche der Menschen sprechen gegen eine Reduktion der Produktion von Kunststoffen."
Das führt dazu, dass Nationen mit großen Wirtschaftszweigen sich im Kunststoffbereich gegen ein Zurückfahren der Produktion positionieren. Und erklärt die unterschiedlichen Ansichten rund um den Globus: Während Länder wie Ruanda, Peru, Japan und die Europäische Union große Ambitionen zeigen, zeigen sich Staaten wie Saudi-Arabien, China und Russland eher als Bremser. Gleiches gilt auch für Plastikverbände, deren Positionen nicht einheitlich sind. Es darf also bereits jetzt gemutmaßt werden: Die nächsten drei Verhandlungsrunden werden nicht minder zäh als die aktuelle.
flo, SMC
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