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Was haben Klimaschutz und Metoo gemeinsam? Mehr als man glaubt, sagt zumindest ein neues Buch vom Club of Rome und dem Wuppertal Institut

MDR KULTUR - Das Radio Di 22.10.2024 08:49Uhr 03:37 min

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Buchveröffentlichung Buch "Earth for All Deutschland": Wie Metoo gegen die Klimakrise helfen kann

22. Oktober 2024, 09:26 Uhr

Irgendwie scheinen wir immer vor der Wahl zu stehen: Retten wir die Wirtschaft, sorgen wir für ein würdevolles Leben oder stoppen wir doch eher den Klimawandel? Dass das kein Widerspruch sein muss, zeigen das Wuppertal Institut und der Club of Rome in ihrem neuen Buch „Earth for All Deutschland“. Mit fünf Wenden können wir demnach unsere Demokratie und den Wohlstand sichern und die Umweltkrisen überwinden. Ein Baustein dabei ist die Gleichberechtigung.

Junge Frau mit langen, braunen Haaren gelben Mantel, lacht und blickt mit leicht gesenktem Kopf in Kamera
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Es herrscht Krieg in Europa, Extremwetterereignisse führen uns vor Augen, wie wenig Kontrolle wir haben, von einer Spaltung der Gesellschaft ist die Rede. Angesichts der zahlreichen Krisen und verschärften gesellschaftlichen Debatten ist es leicht zu resignieren. Resignation ist aber genau das, was die Forschenden des Wuppertal Instituts und des Club of Rome vermeiden möchten. In Ihrem neuen Buch „Earth for All Deutschland“ zeigen sie mit welchen Strategien und Maßnahmen Deutschland die aktuellen Herausforderungen bewältigen kann und zwar alle zusammen. Möglich wird das durch fünf Wenden.

Die fünf Wenden: Große Sprünge für eine bessere Zukunft

Es ist eine große Transformation, die Deutschland durchlaufen müsste, um Umweltkrisen zu überwinden und gleichzeitig Demokratie und Wohlstand zu sichern. Im Buch werden dafür fünf Kehrtwenden anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse beschrieben. Sie alle sind eng miteinander verzahnt: Die Armut soll beseitigt werden, die Ungleichheit verringert, die Selbstwirksamkeit gestärkt, das Ernährungssystem umgestaltet und das Energiesystem transformiert werden. Wenn alle Kehrtwenden gemeinsam umgesetzt werden, werden sie sich stärken, so das Credo der Autoren und Autorinnen. Eine allein wird scheitern.

Icon: Symbolische Erdkugel mit Afrika und Europa im Zentrum, daran oben links das Grad-Zeichen. Text:  MDR Klima-Update. Kostenfrei, wöchentlich. Foto: Weiß gekleidete Frau mit Rücken zur Kamera kippt aus Eimer grüne Farbe auf Leinwand in trockener Gegend.
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Klima und Gerechtigkeit – dieses Thema erschien auch im MDR Klima-Update #163

Die sozialen Kehrtwenden (Armut, Ungleichheit und Selbstwirksamkeit oder eigentlich Empowerment) bereiten dabei die ökologischen Wenden vor, so Jacqueline Klingen, Forscherin in der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut. Die zentrale Frage: "Wie muss unsere Gesellschaft sein, um überhaupt dahinzukommen, diese multiplen Krisen, mit denen wir uns aktuell konfrontiert sehen, auch bewältigen zu können?" Ein wichtiger Baustein ist dabei die Gleichberechtigung.

Es braucht mehr Perspektiven: Was MeToo mit dem Klimaschutz zu tun hat

Denn in den sozialen Wenden geht es vor allem darum, die Gesellschaft anzugleichen, ein Gefühl von Gerechtigkeit zu schaffen, Teilhabe zu fördern, Macht zu verteilen. Miteinander statt gegeneinander.

Eine Gruppe, der deshalb – nicht nur, aber fast – ein ganzes Kapitel gewidmet wird, sind Frauen und die Frage, wie auch sie gestärkt werden können. "Wir leben auch heute in der Welt, die einfach noch davon lebt, dass die einmal aus einer männlichen Perspektive für männliche Bedürfnisse gebaut wurde", so Jacqueline Klingen, Autorin des Empowerment-Kapitels. "Das gar nicht mal absichtlich, sondern eher, weil Männer in der Vergangenheit bestimmte Rollen eingenommen haben." Entsprechend groß sei das Potenzial, durch weibliche Perspektiven die Welt von morgen zu formen: "Und ich denke, dass sie auch anders gestaltet werden würde und sich dann daraus auch ganzheitliche Städte für alle entwickeln würden."

Untersuchungen weltweit – so heißt es im Buch – zeigen, dass Frauen Veränderungen in Richtung mehr Verantwortungsbewusstsein treiben, dass sie in Regierungen eher für öffentliche Güter wie Gesundheit und Bildung einstünden und in Führungspositionen stärker umwelt- und sozialverträgliche Praktiken umsetzen.

Das liegt nicht allein an den Frauen, sondern eher den Rollen, die sie einnehmen, so Jacqueline Klingen: "Ich glaube, es ist jetzt nicht nur dieses: 'Frauen sind besser in Care-Arbeit und sorgen sich deswegen auch besser um den Planeten'. Das würde ich den Männern gar nicht absprechen. Was jedoch in vielen Fällen fehlt, ist eine weitere Stimme und Perspektive, nicht nur von Frauen, sondern beispielsweise auch von Jugendlichen und Kindern."

Entsprechend wichtig ist es, Gleichberechtigung für alle zu schaffen und so soziale Themen mit Machtpositionen zu mischen. Das könnte eine Reihe positiver Wechselwirkungen zur Folge haben, hier nur beispielhaft für das Thema Nachhaltigkeit aufgeführt: Der Fokus auf Bildung könnte – in Kreisen, die etwas zu sagen habe – die nötigen Mittel loslösen, um den Grundstein für ein neues Verständnis von Inklusion, Diversität und Nachhaltigkeit zu legen. Die Ernährung an Schulen und Kitas könnte verbessert und unter Nachhaltigkeitsaspekten, etwa weniger Fleisch und regionale Lebensmittel, gekocht werden. Das würde auch ärmeren Kindern eine gesündere Ernährung ermöglichen und auf Dauer das Gesundheitssystem weniger belasten. Bereits an diesem kleinen Beispiel sehen Sie die Verzahnung der verschiedenen Wenden. In der Theorie klingt das gut. Wie aber kann das bewerkstelligt werden?

Alle gemeinsam: Wie wir die Empowerment-Wende schaffen können

Eine wenig überraschende Konsequenz ist erst einmal, mehr Frauen in Führungspositionen und mehr Männer in die Care-Arbeit zu bekommen. Doch die Probleme sind weitläufig, die Lösungsansätze ebenso. Sexismus am Arbeitsplatz muss eisern bestraft, Rollenbilder schon in den Kindergärten aufgebrochen werden – etwa durch männliches Personal. Es braucht gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit und mehr Elternzeit für die Väter. Klingt nicht neu? Wirklich angepackt wird aber zu wenig.

In Norwegen gibt es viele dieser Dinge bereits: Väter haben einen mindestens dreimonatigen Pflichtteil in der Elternzeit, den sie allein mit Kind zu Hause bleiben, Frauen haben während der Arbeit stillfrei und arbeiten zu fast gleichen Teilen in Führungspositionen wie Männer. Und Kinder erfahren dadurch von klein auf, dass beide Eltern beides machen, auch wenn dadurch die Belastung für die Frauen in Norwegen steigt. Trotzdem: Der positive Effekt für die Gesellschaft ist da, ermöglicht durch politische Maßnahmen, etwa die Frauenquote, deren Nichteinhaltung in Norwegen hart bestraft wird. Braucht es so etwas also auch in Deutschland?

Auch Jacqueline Klingen hat darüber nachgedacht, ist aber skeptisch: "Es gibt natürlich Studien, die zeigen, dass Frauen in Führungspositionen für die Gesamtwirtschaft besser sind. Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, unter unveränderten Rahmenbedingungen in eine hohe Position zu kommen, mit der gesamten Verantwortung für Arbeit und Familie, dann wüsste ich nicht, wie das möglich sein soll."

Empowern heißt ermutigen und befähigen. Es sei entsprechend wichtig, dass die Politik die nötigen Rahmenbedingungen für selbstbestimmte Entscheidungen schafft: Dazu müssten falsche Anreize wie das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Auch ein längerer Pflichtteil für Väter in der Elternzeit kann helfen, Väter zu ermutigen, eine aktivere Rolle einzunehmen und diese Rolle ein Stück weit Normalität werden zu lassen. Das wichtigste sei aber, dass Beruf und Sorgearbeit vereinbar sind, einerseits durch verlässliche und flächendeckende Betreuungsangebote, aber zum Beispiel auch durch eine Arbeitszeitverkürzung auf eine 32 oder 34-Stunden-Woche.

"Häufig wird vor allem in Machtpositionen davon ausgegangen, dass es kein Privatleben gibt, in dem es auch große Herausforderungen geben kann", so die Forscherin. Das anzuerkennen, sei aber ein extrem wichtiger Baustein. Mit flexiblen Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitmodellen hätten alle Menschen in Deutschland mehr Zeit für sich und andere. Mehr Zeit für die Kinder, Zeit für die Gemeinschaft, Zeit für den Klimaschutz, Zeit für gesünderes Essen, Zeit für mehr Verantwortung im Job oder einfach nur Zeit für die eigenen Bedürfnisse. Klingt gut, aber wer soll das finanzieren?

Umverteilen und Umdenken: Wie die Wenden finanziert werden

Auch dafür hält das Buch Ansätze bereit. Die für die Autoren und Autorinnen sinnvollsten: Weniger Konsum, die Verbesserung gemeinschaftlicher Infrastrukturen (um statt eines Autos den Bus nehmen zu können), die Abkehr von überhöhten Erwartungen an das Wirtschaftswachstum. Das Wichtigste sei aber eine Umverteilung, also die Besteuerung der sehr großen Vermögen (vor allem Erbschaften), vielleicht sogar eine Kopplung der Steuern an die Staatsbürgerschaft. Das würde der Logik der Forschenden zufolge die Wenden finanzieren, Ungleichheiten reduzieren und eine friedlichere Gesellschaft nach sich ziehen, die auch gemeinsam daran arbeitet, ihren Lebensraum zu erhalten.

Was ist der Club of Rome?

Der Club of Rome eine informelle Vereinigung von Wirtschaftsführern, Politikern und Wissenschaftlern aus 53 Ländern, gegründet 1968 in Rom auf Anregung des italienischen Industriellen Aurelio Peccei (* 1908, † 1984); Sitz: Winterthur. Die Zahl der Mitglieder ist auf 100 begrenzt. Anlass war eine gemeinsame Besorgnis hinsichtlich weltweiter Krisenerscheinungen, gegen die die Gesellschaften mit ihren Einstellungen, Werten, Interessen sowie Programmen und Institutionen schlecht gerüstet zu sein scheinen. Ziel ist es, diese weltweiten und eng miteinander verknüpften Probleme der Menschheit (z. B. Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung, Rohstoffverbrauch, materieller Wohlstand) durchschaubarer zu machen. Bekannt wurde der Club of Rome durch eine Publikation zu den Interner Link:Grenzen des Wachstums. Der Club of Rome International hat auch unabhängige nationale Vereinigungen und setzt sich für einen globalen Marshallplan ein. Quelle: bpb

Auf die Frage, ob dann nicht der Frust sich auf die Reichen verschieben könnte, hat Hans Haake, Forscher in der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut und Autor der Ungleichheitswende folgende Antwort: "Es gibt Studien, die zeigen, dass eine zu ungleiche Verteilung, auch, wie wir es in Deutschland momentan haben, einfach insgesamt von den Ergebnissen her schlechter ist, also, dass wir dann schlechtere Standards haben bei der Bildung, im Gesundheitswesen, auch subjektiven Wohlbefinden. Also, wir haben ganz viele negative Effekte: Kriminalität, die Lebensqualität sinkt bei höherer Ungleichheit."

Reiche könnten sich davon vielleicht ein Stück weit herausnehmen, wären aber eben von einer gespaltenen Gesellschaft trotzdem betroffen: "Grundsätzlich werden die Ergebnisse eben für alle schlechter.“ Besonders auch in Sachen Klima. "Das muss man auf dem Schirm haben." Genauso wie die anderen Wenden, mit denen wir den großen Sprung in eine bessere Zukunft wagen sollen.