Artenschutz Der Patient Fluss: So kann er gesund leben
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25. Oktober 2024, 14:30 Uhr
Mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen sollen bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Das war das Ziel der letzten Weltnaturkonferenz. Nun ist eine neue gestartet und verändert hat sich wenig, auch im Hinblick auf Gewässer im Inland. Erst letzte Woche hatte die Europäische Umweltagentur einen Bericht zu den europäischen Seen und Flüssen veröffentlicht. Das Ergebnis: Nur etwa 37 Prozent befinden sich in einem guten Zustand. Aber was heißt denn eigentlich gut?
Am Wasser zu sitzen, dem Plätschern zu lauschen, das hat etwas Beruhigendes. Und es steckt tief in uns verwurzelt, steinzeitlich verwurzelt, glaubt man dem Archäologen Harald Meller: "Wenn Sie in den Urlaub fahren, dann fahren Sie gerne an Gewässer. Sie haben gerne Wasser und wissen, dass Sie sich immer versorgen können. Kurzum, Sie sind gerne in der idealen ökologischen Nische." Flüsse machten uns beweglicher und waren eine Art Lebensversicherung, weil immer etwas zu essen in ihnen geschwommen ist. Doch nicht nur wir, auch viele Pflanzen- und Tierarten nutzten und nutzen diese ideale ökologische Nische für sich. Laut Umweltbundesamt sind Flüsse und ihre Auen die artenreichsten Ökosysteme Europas und zudem auch sehr sensibel.
Blätter, die in den Fluss fallen, tote Insektenkörper, die auf Grund gehen, Äste, die mitgerissen werden – sie alle haben ihren Platz innerhalb des Systems. Der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Tornado auslösen kann. Oder ihn verhindert. In welche Richtung es geht, ist dabei maßgeblich von uns Menschen abhängig und etwas, was auch Laien bei einem Spaziergang am Gewässer erkennen können. Hier sind drei wichtige Anhaltspunkte für ein gesundes Gewässer.
Das grüne Band am Uferrand: Die Uferbepflanzung!
Wäre ein Fluss ein Haus, dann wären die Uferbepflanzungen das, was das Leben darin überhaupt erst ermöglicht: Im Sommer sind die Bäume eine Art Klimaanlage und der Zement, der alles zusammenhält, die Pflanzen bieten schöne Kinderzimmer für Kleinstlebewesen. Deren Körper sind später zusammen mit den Blättern, die in den Fluss fallen, eine Art Kühlschrank für Organismen im Fluss. Bei starken Regenfällen sind sie außerdem Filter und Drainage zugleich.
Für Gewässer sei Hochwasser deshalb in einer natürlichen Umgebung sogar gut, meint Thomas Berendonk, Professor für Limnologie (Gewässerökologie) an der TU Dresden. "Es kommt dadurch auch zum Austrag von Feinpartikeln, also etwas wie einer Selbstreinigung des Gewässers." Voraussetzung dafür: Das angrenzende Gebiet darf nicht nur nicht durch Straßen oder Siedlungen versiegelt, sondern auch nicht landwirtschaftlich (mit Dünger) bewirtschaftet sein. Denn dann können schädliche Stoffe in die Flüsse mit hineingespült werden, so der Forscher. Tatsächlich sind laut Bundesumweltamt nahezu alle unserer Gewässer mit Stoffen belastet, die dort nicht hingehören, vor allem durch die Landwirtschaft.
Im besten Fall sollten neben den Gewässern Süßgraswiesen wachsen, so Thomas Berendonk. Deren Abrieb und das Laub seien dann auch Teil der Nahrungsgrundlage für ein (kleines) Fließgewässer. Aber der direkte Blick ins Wasser kann viel aussagen.
Dem Gewässer auf den Grund gehen: Totholz und Steine!
Nicht nur Laub kann im Wasser nützlich sein, sondern auch Holz, Totholz. Fallen Äste oder ein ganzer Baum in den Fluss, entsteht im Grunde nochmal eine eigene Wohnung innerhalb des Hauses: Algen ziehen ein und andere Bewohner an. Wirbellose Kleintiere etwa, die dann wiederum für Fische oder Flusskrebse als Nahrung dienen. Und weil Kühlschrank und ein gemütliches Zimmer in dem Geäst so nah beieinanderliegen, ziehen die größeren Tiere auch gerne gleich mit in die Wohngemeinschaft – auch, wenn es vielleicht nicht die netteste Art ist, seine Mitbewohner zu fressen. Daneben sorgt das Totholz für unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten. Etwas, was besonders für Jungfische, die auch mal ruhige, von der Strömung mehr oder weniger befreite Bereiche brauchen, gut ist.
Trotzdem darf es auch nicht zu viel sein. Denn dann kann das Holz an Brückenpfeilern hängenbleiben, Treibgut aufstauen und im Zweifel den Durchgang versperren. Auch die Algen sind nur in Maßen gut. Gerade steigende Temperaturen und Schadstoffe aus der Landwirtschaft sorgen vielerorts für ein massives und ungesundes Algenwachstum. 2022 etwa sorgte das Massenwachstum der Brackwasseralge Prymnesium parvum für ein massenhaftes Fischsterben in der Oder.
Wenn Sie also an einem Fluss oder Bach vorbeigehen, sollte das Wasser klar sein, meint Thomas Berendonk. Die Algen sollten erkennbar sein, man muss auf den Grund schauen können. Dort findet sich im Bestfall Totholz, aber auch Steine und Gefäßpflanzen, die im Gewässer wachsen – sogenannte Makrophyten. Daneben sei es wichtig, dass das Wasser eine gewisse Fließgeschwindigkeit habe, so der Forscher. Zu viel ist aber auch nicht gut. Um im Hausbild zu bleiben: Der Fluss braucht auch anständige Wasserleitungen.
Mehr kreuz und quer: Der natürliche Flussverlauf
Dass es einen guten und ausgeglichenen Mix der Fließgeschwindigkeiten gibt, dafür sorgen Mäander, also natürliche Schleifen, die der Fluss durch die Landschaft zieht. Sie bremsen das Wasser aus und erhalten so – abgesehen vom Hochwasserschutz – auch das Flussbett, das bei zu hohen Fließgeschwindigkeiten vom Fluss mitgerissen werden würde.
Und es hilft dem Klima, wie Forschende vom Deutschen GeoForschungsZentrum 2021 festgestellt haben: Sandkörner werden nämlich entlang der Mäander immer wieder in der Flussaue abgelagert und teils Jahrtausende später weiter transportiert. Dabei wird das Sandkorn von Kohlenstoff begleitet, der aus Pflanzen und Boden eingespült wird. Flüsse tragen damit Kohlenstoff, der zuvor über die Photosynthese aus der Atmosphäre aufgenommen wurde, als Sediment ins Meer, wo er über Jahrtausende unschädlich für das Klima eingelagert wird. Ist der Fluss begradigt, wird das Sediment hingegen einfach durchgeschleust, ohne großartig Kohlenstoff aufzunehmen. Stattdessen wird dieser dann wieder von Mikroorganismen als CO2 freigesetzt.
Nur ein Bruchteil der positiven Effekte, die die Kurven in den Gewässern mit sich bringen. Einen solchen natürlichen Verlauf zu entdecken wird aber schwer: Über 90 Prozent der deutschen Flüsse und Bäche sind laut Umweltbundesamt über weite Strecken begradigt, eingeengt, verrohrt oder von Bauwerken unterbrochen. Erschreckend, auch für die Artenvielfalt.
Forschen und bewusst leben: Was wir tun können, um den Gewässern zu helfen
Das Umweltbundesamt attestiert den Gewässern in Deutschland ebenfalls keinen guten Zustand. Mit dem Förderprogramm "Blaues Band für Deutschland" möchte der Bund deshalb Flüsse und Auen renaturieren. Auch die Art der Landwirtschaft muss sich ändern, denn ein Großteil der Fläche Deutschlands wird dafür genutzt.
Thomas Berendonk forscht deshalb unter anderem gerade daran, ob und wenn ja, wie viel Mindereinnahmen Landwirte befürchten müssten, wenn deren Land so bestellt werden würde, dass es so wenig wie möglich Einfluss auf die Fließgewässer nimmt.
Doch auch wir als Laien können etwas tun, meint der Forscher: Abfall vermeiden – speziell, wenn wir etwas die Toilette herunterspülen. Oder aber bewusst einkaufen – mehr Bio –, um so auch eine Umstellung der Landwirtschaft lohnenswerter zu machen. In der ARD-MitmachAktion #unsereFlüsse können Sie außerdem noch bis Ende des Monats mit Ihren Beobachtungen der Forschung helfen und Daten zu kleinen Gewässern in Ihrer Umgebung sammeln. Den Fragebogen des Helmholtz-Instituts für Umweltforschung (UFZ) finden Sie hier. Ein kleiner Flügelschlag, der vielleicht eine große Wirkung auf die Biodiversität unserer Gewässer haben kann.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 25. Oktober 2024 | 17:40 Uhr