Ungezähmt – Im Fluss des Lebens Die Sehnsucht des Naturfilmers nach dem Hochwasser
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21. Oktober 2024, 06:26 Uhr
Ungezähmt – Im Fluss des Lebens: Zwei Jahre hat Uwe Müller einen Abschnitt der Mulde in Sachsen gefilmt: Faszinierende Aufnahmen aus dem Wasser, auf Kiesbetten im Fluss und im Luftraum entlang der Mulde. MDR WISSEN hat mit Uwe Müller über die Filmarbeiten gesprochen.
Es sind fanzinierende Aufnahmen, wie ein Wels scheinbar träge den Boden nach Beute abtastet, und dann urplötzlich zuschnappt. Kein Drehbuch der Welt kann aber einem Wels vorschreiben, wann er zuschnappt. Wie bekommt man als Naturfilmer solche Momente vor die Kamera?
Das ist ein bisschen wie ein Sechser im Lotto, einen Wels bei der Jagd vor die Linse zu kriegen. Zum einen muss man wissen, zum anderen muss man wissen. wo sich die Welse aufhalten, muss ihr Verhalten kennen.
Sind Sie in der Biologie zuhause, haben Sie das studiert?
(lacht) Ganz früher habe ich Klempner und Installateur gelernt. Dann habe ich Maschinenbau studiert, mich aber für die Natur interessiert. Und nachdem ich, noch vor der Wende mit Ausreiseantrag, in den Westen gegangen bin, habe ich mir die Welt angeschaut. Und Aufnahmen gemacht für zuhause. Und irgendwann wurden die Filme kürzer, besser. Für das Wissen für meine Filme heute muss ich mich in Themen einarbeiten, ich lese dann viel, notiere mir, was wichtig ist. Und lasse es dann meistens auch noch von Fachwissenschaftlern bestätigen.
Zurück ins Wasser, zu den Welsen. Sie sagen, tagsüber sind die gerne unauffindbar, verstecken sich, und nachts geht es zur Jagd. Trotzdem kann man nicht planen, wann einem so ein Fisch vor die Linse schwimmt.
Man muss Zeit investieren, das ist der eine Faktor. Und Glück der andere.
Sie zeigen auch, wie ein Wels die Eier, also die Brut, vor Fressfeinden schützt. Stehen Sie dafür selbst stundenlang im Wasser und harren der Welse, die da kommen?
Ich selber bin nicht der große Taucher. Ich hatte einen Unterwasser-Kameramann, wir haben aber auch unter Wasser Kameras positioniert und uns Stellen rausgesucht, zum Beispiel, wo Äste im Wasser fest drinnen waren. Oder haben Pfähle in den Boden geschlagen, daran die Kameras befestigt und dann laufen lassen. Eben da, wo wir wussten, da ist viel Aktivität unter Wasser.
Sie zeigen die Mulde bei verschiedenen Pegelständen, wie sich der Lebensraum verschiedener Tiere ändert, welche Dramen sich anbahnen, wenn das Wasser steigt. Faszinierend und grausam zugleich. Wie kam es zum perfekten Timing mit einem ungezähmten, wilden Filmpartner, nämlich der Natur?
Wenn man im Nachhinein draufguckt, auf den ganzen Aufwand … Ich habe permanent auf Wetterkarten geguckt, wann wirklich ein großer Regen kommt, und gecheckt: Wann ist diese Flutwelle an der Stelle, wo ich sie brauche? Dann bin ich mit dem Auto losgedonnert. Wenn die dann mitten in der Nacht da war, konnte ich gar nichts machen. Ich war bei dem Dreh des Filmes wahrscheinlich einer der wenigen, die sich unbedingt ein Hochwasser gewünscht haben, was ja nie kam.
Schlussendlich haben Sie aber trotzdem faszinierende Momente eingefangen. Wie die Flussufer-Wolfsspinne mit einem Stein ihre Röhre verschließt, kurz bevor das Wasser ihr Kiesbett überschwemmt ...
Diese Spinne an sich zu finden war schon wie ein Lotteriegewinn. Ein Spezialist aus der Gegend hatte mir gezeigt, wo ich suchen muss.
Nur um sich das vorzustellen. Eine Insel aus Kies mitten im Wasser, lauter Kiesel, in verschiedenen weiß-grau-Schattierungen. Und irgendwo dazwischen die Flussuferwolfsspinne. Kein Netz verrät sie, sie heißt nicht umsonst Uferwühlwolf, sie lebt unterirdisch in ihrer Röhre. Und lässt sich nicht mal eben so aus der Höhle locken …
Richtig. Da kann man sich vor das Loch legen mit der Kamera und wartet. Aber da kommt die natürlich nicht heraus. Die Spinnen spüren die kleinste Erschütterung. Ich könnte mir vorstellen, dass sie selbst meinen Herzschlag gespürt hat, wenn man dort auf dem Boden liegt. Ich habe dann meine Kameras dort eingerichtet. Und hatte dann wirklich das Glück, dass sie dann rauskam.
… und den Stein vor die Röhre zog, als der Flusspegel stieg. Sie sagen, Sie haben die Kamera dort positioniert. Sie sind ja nicht nur der Spinnenröhre auf den Pelz gerückt, Sie filmen auch die Küken des Bienenfressers in der Bruthöhle. Stört das die Tiere nicht?
Das ist immer eine gewisse Gratwanderung im Tierfilm. Also erst mal muss man gucken, wo sind zum Beispiel überhaupt die Nester? Dann geht das Observieren los, dann die Versuche, Kameras zu platzieren.
Dann schaut man: Nehmen die Tiere das an, sind sie sehr scheu? Fliegen Vögel zum Beispiel wieder weg, muss die Kamera wieder weg, man will ja nicht die Brut stören. Erfahrungsgemäß erkennen die Tiere schnell: Da ist irgendwas neu, aber es wackelt nicht, es beißt nicht. Das dauert meistens gar nicht so lange, also vielleicht fünf Minuten. Und dann beachten sie das nicht weiter und füttern ihre Jungen.
Haben Sie als Naturfilmer noch den Reflex, einzugreifen, sich laut zum Beispiel zu räuspern, um ein Tier bei drohender Gefahr zu warnen, wenn ein Fressfeind kommt, und einen ihrer Protagonisten greifen will? Oder ist der Reflex weg?
Wir sind nur da zum Dokumentieren. Es ist einfach der normale Lauf der Natur. Für den Betrachter vielleicht nicht so schön, man empfindet es vielleicht als grausam, wie Natur manchmal stattfindet. Aber das Fressen und Gefressenwerden gehört dazu. Wir Menschen stehen zwar am oberen Ende der Nahrungskette beim Gefressen-werden. Nur werden wir ja auch irgendwann von Würmern gefressen.
Über den Film:
Ungezähmt – Im Fluss des Lebens, eine Produktion von MDR und BR. Der Naturfilm von Uwe Müller und seinem Team zeigt wie das Leben in einem Fluss, der nicht begradigt, verrohrt, oder aufgestaut wird, miteinander verkettet ist. Von den kleinsten Gliedern einer perfekt aufeinander abgestimmten Nahrungskette wie den Feenkrebsen und Libellen hin zu den großen Greifern, den Fischen und Vögeln.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | Ungezähmt – im Fluss des Lebens | 21. Oktober 2024 | 20:15 Uhr
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