Klimaschutz und Wirtschaft Kohlenstoffwirtschaft: Wie CO2 auch künftig Teil der Industrie sein wird

01. März 2025, 10:00 Uhr

Zu viel CO2 in der Luft ist schlecht fürs Klima, die Erde und das, was drauf lebt. Andererseits: In CO2 steckt Kohlenstoff und ohne den würden wir nicht existieren. Gegen das C in CO2 ist also eigentlich nichts einzuwenden, nur eben, dass nicht noch mehr davon in die Luft kommen sollte. Etwas, worauf sich die Industrie derzeit einstellt, um nicht nur von fossiler Energie wegzukommen, sondern auch einen neuen Umgang mit Kohlenstoff zu finden. Dafür gibt’s ein neues Wort: Kohlenstoffwirtschaft.

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Kohlenstoffwirtschaft – zugegeben, diese Vokabel klingt in unbefangenen Ohren erstmal nicht gerade danach, als hätte sie auch nur im Entferntesten etwas mit Klimaschutz zu tun. Aber, da sich Christoph Zeiss vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie damit beschäftigt, muss es wohl irgendwie mit den Fragen unserer Zeit zusammenhängen. Er sagt, der recht neue Begriff Kohlenstoffwirtschaft betrifft erstmal alle Industriezweige, die Kohlenstoff verarbeiten oder nutzen. Das ist so bei der Müllverbrennung, bei der Zementherstellung und eben auch der Kunststoffproduktion.

Denn Kunststoff, vom Autoreifen bis zur Zitronenpresse, basiert meist auf Erdöl: "Und wenn wir in Zukunft klimaneutral werden wollen, dann darf dieser Kohlenstoff, der in diesen Produkten ist, nicht wieder in die Atmosphäre gelangen." Christoph Zeiss erklärt, dass es dazu verschiedene Ansätze gibt: "Man kann entweder anderen Kohlenstoff nehmen, zum Beispiel aus Biomasse, man kann auch gucken, ob man die Produkte im Kreislauf führt, dass sie dann nicht wieder in die Atmosphäre kommen. Man kann den Kohlenstoff auffangen und dann wieder unter die Erde verpressen."

CO2 wird durch Kohlenstoffwirtschaft nicht attraktiver

Oder eben gleich drauf verzichten. Wäre das nicht das Einfachste und würde Innovation vorantreiben? Wohl wahr. Mit der Einführung des neuen EU-Emissionshandelssystems ETS II ab 2027 wird das Verursachen von Emissionen aber sowieso noch mal deutlich unattraktiver. Nach wie vor gibt es keine einfache, flächendeckende Lösung für sogenannte produktionsbedingte Restemissionen, wobei die Chemie- und Zementindustrie hier die prominentesten Beispiele sein dürften.

Alles in allem kommt es stark auf den Einzelfall an, welches Verfahren zur CO2-Entnahme oder CO2-Abscheidung (und Speicherung und Weiterverwertung) sich am besten eignet. Zu einer gelungenen Kohlenstoffwirtschaft gehört aber auch, dass sich Industriebetriebe die Hand schütteln und Netzwerke aufbauen. An Orten mit einer hohen Industriedichte gibt es dafür ein besonders hohes Potenzial. Zum Beispiel im mitteldeutschen Revier und der dortigen Chemieindustrie, sagt Energie- und Klimaexperte Zeiss: "Da sehen wir viele Unternehmen, die miteinander interagieren, die Stoffe austauschen. Das eine Produkt des einen Unternehmens ist der Ausgangsstoff des anderen Unternehmens, das ist eine sehr effiziente Art und Weise, mit Rohstoffen umzugehen."

Silhouette eines Braunkohlekraftwerks am See mit horizontal abziehenden Wolken aus den Schornsteinen in sehr rotem Sonnenuntergangslicht
Braunkohlekraftwerk am See – Chemiestandort Schkopau Bildrechte: imago/Andreas Vittig

Bereits heute besteht eine Vernetzung der Standorte im mitteldeutschen Chemiedreieck. So gelangen etwa Kohlenstoffverbindungen aus dem sächsischen Böhlen direkt zum Chemiestandort Schkopau in Sachsen-Anhalt oder der Ölraffinerie in Leuna. Ob nun Kohlenstoff im Kreislauf führen oder CO2 erstmal nur auffangen, wo es sich nicht vermeiden lässt: Industriestandorte tun gut daran, eine Strategie zu entwickeln. Denn bisher liegt der Fokus noch auf klimaneutralen Energiequellen und weniger darauf, was mit dem Kohlenstoff passiert, der an Industrieprozessen beteiligt ist.

Länder brauchen eine Kohlenstoffstrategie – NRW macht's vor

Bereits seit Jahren gibt es deshalb in Nordrhein-Westfalen eine Kohlenstoff-Management-Strategie. Und auch Baden-Württemberg mit seiner starken Chemieindustrie plant eine. "Das ist dringend notwendig, um alle stofflichen Prozesse überhaupt erstmal zu erfassen, in ihrer ökonomischen Bedeutung zu gewichten und sie dann auch in eine nachhaltige Transformation zu überführen." Das sagt Thies Schröder, Transformations-Experte bei der Denkfabrik Forum Rathenau in Bitterfeld-Wolfen. In einer neuen Basisstudie legen er und sein Team jetzt einen Grundstein für eine Kohlenstoff-Management-Strategie in Sachsen-Anhalt, das den größten Anteil am Mitteldeutschen Revier hat und die Federführung für eine ganze Industrieregion übernehmen könnte. Wenn sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für eine Strategie zusammentun, wäre das Land gut beraten, so Schröder.

Industrietransformation braucht die Unterstützung und die Akzeptanz in der Bevölkerung.

Christoph Zeiss Wuppertal Institut

Gerade, weil es in Mitteldeutschland noch eine viel größere Abhängigkeit von der Chemieindustrie gibt als in anderen Landesteilen, sagt Schröder: "Die Wirtschaft ist viel weniger divers strukturiert als beispielsweise im Rheinischen Revier, so dass die Transformationsauswirkungen und Herausforderungen für das Mitteldeutsche Revier – das gilt ähnlich auch für die Lausitz – noch sehr viel drastischer sind als in Revieren, die eher eine gemischte wirtschaftliche Struktur haben." Die Klimaziele gelten aber eben auch für Regionen, die von bestimmten Industrien besonders abhängig sind: "Wenn es gelingt, das CO2 im Kreislauf zu führen, also die Kohlenstoffwirtschaft darauf auszurichten, dass sie den Klimaschutzzielen entspricht, werden sich einige Transformationen ergeben."

Kohlenstoffwirtschaft: Die Bevölkerung nicht vergessen

Etwas, das die Studie vom Forum Rathenau ebenfalls nahelegt, ist, die Bevölkerung mitzunehmen. "Industrietransformation braucht die Unterstützung und die Akzeptanz in der Bevölkerung", so steht's darin geschrieben. Christoph Zeiss vom Wuppertal Institut, der an der Studie beteiligt war, erklärt das am Beispiel neuer Infrastruktur, die für eine sich wandelnde Industrie notwendig werden wird: "Das sehen wir ja heute schon bei Stromnetzen. Das werden wir für Wasserstoff brauchen. Das werden wir für CO2 brauchen. Und alle diese Infrastrukturen sind auf irgendeine Art und Weise raumwirksam." Soll heißen: Die gehen irgendwo durch. "Das betrifft Menschen, wo etwas gebaut wird, die das vielleicht nicht wollen, so wie man das selber nicht will, dass einer eine Pipeline durch einen eigenen Garten baut." Damit müsse man umgehen und der Bevölkerung vermitteln, was das Ziel des Ganzen sei, so Zeiss. "Warum ist das sinnvoll? An welcher Stelle ist das notwendig, dass auch die Arbeitsplätze vor Ort erhalten bleiben?"

Alles in allem klingt Transformation aber trotzdem immer ein bisschen nach "irgendwann mal". Die Frage ist, wann genau sie eigentlich beginnt. Vereinfacht gesagt: Sie findet bereits statt, als langsamer, stetiger Prozess. So wird gerade am Öl-Standort Leuna eine Raffinerie gebaut, die aus Laubholz industrielle Kohlenstoffverbindungen herstellt. Auch andere suchen sich neue Wertschöpfungsketten, wie ein PET-Folienhersteller aus Bitterfeld-Wolfen, sagt Christoph Zeiss vom Wuppertal Institut: "Die bieten zum Beispiel schon an, dass man die Folien wieder zurückbringen kann und machen daraus Recyklate, neue Folien. Das ist, glaube ich, noch nicht das große Geschäftsmodell in der jetzigen Zeit, aber das wird nach und nach immer notwendiger werden, so etwas zu tun." Transformation und Kohlenstoffwirtschaft – das beginnt eben im ganz Kleinen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 01. März 2025 | 00:00 Uhr

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