Stromversorgung Atomkraft? Grundlastkraftwerke für künftige Versorgungssicherheit nicht notwendig
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06. Dezember 2024, 09:59 Uhr
Atomkraftwerke, Geothermie, Erdgas-Kraftwerke mit CO2-Abscheidung und irgendwann womöglich auch Kernfusionskraftwerke können kontinuierlich Strom liefern und emittieren dabei verhältnismäßig wenig Treibhausgase. Doch gebraucht werden sie künftig in einem von Solar- und Windenergie dominierten Energiesystem nicht unbedingt. Das ist das Ergebnis einer Analyse im Auftrag der Akademien der Wissenschaften. Wenn sie aber wirtschaftlicher werden, könnten sie trotzdem eine Rolle spielen.
"Die Deutschen sind seltsam fasziniert von der Kernenergie", stellte Jörg Jasper von der EnBW Energie Baden-Württemberg AG im Podiumsgespräch zur Ergebnispräsentation des Projekts "Energiesysteme der Zukunft" (ESYS) der Akademien der Wissenschaften fest. ESYS ist eine gemeinsame Initiative von acatech, Leopoldina und Akademienunion und hat sich mit der Rolle von Grundlastkraftwerken für die Energieversorgung in einem umstrukturierten Energiesystem beschäftigt, das vor allem auf Solar- und Windenergie basiert. Doch die Atomkraft, erklärt der EnBW-Mann immer wieder, die rechne sich für die Privatwirtschaft einfach nicht. Kernkraftwerke zu bauen und zu betreiben, sei schlichtweg viel zu teuer.
Das ist eine Feststellung, die den ESYS-Fachleuten zufolge so oder so ähnlich für alle Grundlastkraftwerke gilt. Sie könnten zwar kontinuierlich Strom liefern, müssten wegen hoher Investitionskosten allerdings auch fast durchgehend in Betrieb sein, um sich zu rentieren, erklärt Karen Pittel, Leiterin des ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen und stellvertretende Vorsitzende des ESYS-Direktoriums. Wird diese Art von Kraftwerk also im zukünftigen Energiesystem noch nötig sein, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten?
Was ist ein Grundlastkraftwerk?
Ein Grundlastkraftwerk muss aufgrund seiner hohen Investitionskosten fast durchgehend in Betrieb sein, um sich rentieren zu können. Typische Grundlasttechnologien sind aktuell Kernkraftwerke und Braunkohlekraftwerke. Davon zu unterscheiden ist ein Residuallastkraftwerk. Dieses ist zwar ebenfalls kontinuierlich verfügbar, läuft aber nur selten, etwa wenn Solar- und Windenergie zeitweilig nicht genug Strom liefern. Residuallastkraftwerke haben vergleichsweise niedrige Investitionskosten, aber hohe Brennstoffkosten. Ein Beispiel sind mit Wasserstoff betriebene Gasturbinenkraftwerke.
Quelle: ESYS
Nicht notwendig, aber ein möglicher Teil des Energiesystems
Für eine sichere Stromversorgung braucht es die Grundlastkraftwerke künftig nicht unbedingt, so das Ergebnis des ESYS-Impulses auf Grundlage einer Analyse des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung. Falls sie wettbewerbsfähig sind, könnten sie aber dennoch eine Rolle spielen, heißt es weiter. Denn für eine zuverlässige und klimafreundliche Energieversorgung müssten Wind- und Solarenergie vor allem mit Speichern, einem flexiblen Wasserstoffsystem sowie flexibler Stromnutzung und sogenannten Residualkraftwerken ergänzt werden. Residualkraftwerke sind Kraftwerke, die nur bei Bedarf zeitweise laufen – also zum Beispiel mit Wasserstoff oder Biomethan betriebene Gasturbinenkraftwerke. Die lassen sich also im Gegensatz zu Grundlastkraftwerken bei Bedarf schnell hoch und auch wieder herunterfahren.
Die Ausgangssituation ändert sich mit dem Ausbau von Solar- und Windenergie zunehmend, so Pittel. "Eine permanent durchgehende zu deckende Nachfrage wie früher wird es in der Zukunft nicht mehr geben." Eine ganze Reihe von Studien belege, dass ein Energiesystem auf Basis der Erneuerbaren auch ohne Grundlastkraftwerke auskomme – jedenfalls in der Theorie, denn die technischen Voraussetzungen für ein solches Energiesystem müssten noch weiter geschaffen werden, etwa mit dem Bau entsprechender Residualkraftwerke. Diese Position stützt auch Bastian Olzem vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): "Klar ist, dass die erneuerbaren Energien im Zentrum des Stromsystems stehen. Wir sehen nicht, dass Grundlastkraftwerke da so wirklich ins System passen, schon gar nicht, wenn diese neu gebaut werden."
Doch in dieses Energiesystem könnten die Grundlastkraftwerke durchaus auch integriert werden, heißt es in der ESYS-Analyse. So wären sie etwa sinnvoll, um mit dem überschüssigen Strom dauerhaft Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion mit Strom versorgen zu können. Dadurch wäre man unabhängiger von Importen. Auf die generelle Versorgungssicherheit habe das aber keinen Einfluss. Eigentlich sei es sogar eher eine ökonomische als eine technische Diskussion, sagt Anke Weidlich, Professorin für Energiesystemtechnik und Energiewirtschaft am INATECH der Universität Freiburg: "Ich fand es doch überraschend, dass es doch einen klaren Business Case gibt für ein Grundlastkraftwerk, wenn es denn sehr niedrige Kosten hat." Aber genau daran dürfe man eben Zweifel haben. Für die Versorgungssicherheit in einem flexiblen Energiesystem, sei es aber wenig sinnvoll.
Vier Technologien im Fokus der Analyse
Die Fachleute haben sich für die Untersuchung nicht allen grundlastfähigen Kraftwerksarten gewidmet, sondern nur den vier Technologien, die noch als verhältnismäßig klimafreundlich gelten können: Atomkraftwerke, Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke für Erdgas mit anschließender Kohlendioxid-Abscheidung, Geothermie zur Stromerzeugung und Kernfusionskraftwerke.
Doch hier spielt auch die Zeit eine Rolle: Wirklich in großem Umfang umsetzbar seien hier ohnehin nur die Gaskraftwerke. Mit der Umsetzung eines Kernfusionskraftwerkes etwa dürfe man optimistisch betrachtet frühestens im Jahr 2045 rechnen, sagte Karen Pittel. Doch auch bei den Gaskraftwerken gibt es noch Herausforderungen. So müssten unter anderem zunächst noch die Infrastruktur für das abgeschiedene Kohlendioxid aufgebaut und eine parallele Gas- und Wasserstoffinfrastruktur betrieben werden. Die Geothermie dagegen hat in Deutschland nur ein geringes Potential zur Stromerzeugung, so die Experten.
Das größte Problem bei allen Grundlastkraftwerken bleiben aber die Kosten. Ob sie das Energiesystem sinnvoll ergänzen könnten, so Pittel, "kommt extrem darauf an, wie teuer diese Kraftwerke sind". Neben hohen Investitionskosten seien das auch Kosten für die Brennstoffe sowie operative Kosten, die den Betrieb teuer machten. Wenn es gelänge, die variablen Kostenanteile zu verringern, dann würde durchaus zugebaut.
Atomkraftwerke rechnen sich nicht
Aber danach sehe es aktuell kaum aus. Pittel verweist auf den finnischen Neubau eines Atomkraftwerks, der deutlich teurer ausfällt als geplant. Und auch in Großbritannien und Frankreich lägen die Kosten für den Betrieb über dem, was wirtschaftlich notwendig wäre. Bedenke man außerdem noch die langen Genehmigungsverfahren und Bauzeiten zwischen 10 und 15 Jahren, führt Pittel aus, mache das den Bau von Atomkraftwerken ohnehin unwahrscheinlich. Außerdem seien europäische Verhältnisse nicht mit denen in asiatischen Ländern wie China zu vergleichen, wo die Baukosten allein schon aufgrund deutlich geringerer Löhne, niedriger seien.
"Hier in Deutschland sind nukleare Großanlagen aus privatwirtschaftlicher Perspektive nicht darstellbar", sagt auch EnBW-Fachmann Jörg Jasper angesprochen auf die Atomkraft-Projekte in Frankreich. Auch er verweist auf mehrere Neubauprojekte unter anderem in den USA, bei denen die Baukosten deutlich aus dem Ruder gelaufen seien. Der Preis, den eine Kilowattstunde Strom dann später kosten müsste, der ließe sich aber am Strommarkt gar nicht erzielen. "Es bräuchte dann eine Einspeisevergütung. Ohne eine solche Regulierung würde eine solche Anlage niemals wirtschaftlich werden", so Jasper.
Kein preiswerter Strom dank Grundlastkraftwerk
Eine Hoffnung, die Anhänger von Grundlastkraftwerken oft haben, ist, dass sich durch sie der Strompreis deutlich senken ließe. Doch das ist tatsächlich gar nicht unbedingt der Fall, resümiert das ESYS-Team. "Damit Grundlastkraftwerke zu einer substanziellen Kostensenkung führen, müssten ihre Kosten erheblich unter das heute prognostizierte Niveau fallen", erklärt Pittel. Ganz im Gegenteil: "Tatsächlich schätzen wir Risiken für Kostensteigerungen und Verzögerungen bei Grundlasttechnologien tendenziell sogar höher ein als beim weiteren Ausbau der Solar- und Windenergie."
Ein Einwand gegen den Verzicht auf Grundlastkraftwerke sei auch häufig die Importabhängigkeit, erläutert Pittel weiter. Mit einem System, das auf erneuerbaren Energien beruht, müsse ein größerer Austausch mit den Nachbarländern stattfinden, wobei Deutschland sowohl Importeur als auch Exporteur sei. "Allerdings sieht man in unseren Studien auch, dass der Einfluss der Grundlastkraftwerke da nicht sehr hoch ist. Es gibt natürlich einen Einfluss, aber der ist jetzt nicht so, dass dann die Importabhängigkeit verschwinden würde." Vielmehr zeuge ein reger europäischer Strommarkt davon, so Pittel, dass das ganze System kostengünstiger werde.
Links/Studien
Stöcker, Philipp et. al.: Kernspaltung, Erdgas, Geothermie, Kernfusion. Welche Rolle spielen Grundlastkraftwerke in Zukunft? (Impuls). Schriftenreihe Energiesysteme der Zukunft (ESYS). 2024. doi.org/10.48669/esys_2024-14.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 13. November 2024 | 11:50 Uhr
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