Bundeswaldinventur CO2-Speicher Wald: Dürfen wir noch Bäume fällen?
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11. Oktober 2024, 14:47 Uhr
Der Wald in Deutschland stößt seit 2017 mehr CO2 in die Atmosphäre aus, als er aufnimmt. Das ist eines der Ergebnisse der vierten Bundeswaldinventur. Damit bleibt der Wald weit hinter dem zurück, was politisch eigentlich geplant war: Der Landnutzungssektor, dazu gehören Wälder und Moore, sollte bis 2045 eigentlich 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente speichern. Das ließe sich nur erreichen, wenn ein kompletter Einschlagstopp in unseren Wäldern verhängt würde.
Dass unsere heimischen Laub- und Nadelwälder eine Quelle für CO2 sein sollen, klingt zunächst ein wenig paradox. Immerhin nutzen Sie CO2 für die Photosynthese und wandeln das in Sauerstoff um. Der verbleibende Kohlenstoff wird in Form von Zucker und anderen Kohlenstoffverbindungen im Holz gespeichert. Und ist damit unschädlich gemacht. Allerdings natürlich nur für eine gewisse Zeit: Stirbt der Baum, zersetzt sich das Holz langsam. Dabei wandelt sich der Kohlenstoff wieder in CO2 um, das an die Luft zurückgegeben wird. Dieser Prozess dauert mehrere Jahre bis Jahrzehnte. Außerdem gibt es im Wald viele Organismen, die sich am Totholz bedienen und so den enthaltenen Kohlenstoff aufnehmen. Man nennt das den "Kohlenstoff-Kreislauf". Besonders effizient sind solche Kreisläufe in gesunden Ökosystemen: Hier hat jeder Organismus seine Funktion, jedes tote Lebewesen wird von anderen Lebewesen aufgenommen.
1.184 Millionen Tonnen Kohlenstoff in lebenden Bäumen gebunden
Wird das Holz aus dem Wald beispielsweise verfeuert, gelangt der Kohlenstoff sofort zurück in die Atmosphäre. Wird es dagegen als Baumaterial verwendet, bleibt der Kohlenstoff gebunden. Laut der aktuellen Bundeswaldinventur sind derzeit alleine in den Bäumen 1.184 Millionen Tonnen Kohlenstoff gebunden. Insgesamt ist es aber noch ein wenig mehr. Auch Totholz, im Wald liegendes Holz und der Boden speichern zusätzlich Kohlenstoff. Die Grafik zeigt, wie sich die Kohlenstoffspeicher im Wald zusammensetzen.
Seit den Neunzigern konnten die Wälder in Deutschland immer mehr Kohlenstoff speichern. "Bis 2017 war der Zustand im Wald eigentlich sehr positiv", sagt Thomas Riedel. Er arbeitet am staatlichen Thünen-Institut und leitet die Bundeswaldinventur. Man habe es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, den Wald in vielen Teilen klimagerecht umzubauen, den Laubholzanteil zu erhöhen – weg von Nadelwald-Monokulturen – und gleichzeitig den Kohlenstoffvorrat in den Wäldern immer weiter ausgebaut.
Aber in den vergangenen Jahren hat sich der Trend umgekehrt. Von 2017 bis 2022 hat sich der Kohlenstoffspeicher im Wald um drei Prozent reduziert und somit 41,5 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre abgegeben. "Das ist tatsächlich seit Jahrzehnten ein absolutes Novum", betont Forstwissenschaftler Riedel.
Politische Ziele und Realität klaffen auseinander
Dass unsere Wälder Kohlenstoff freigeben, ist unglücklich, weil sie eigentlich eine wichtige Rolle als Senke einnehmen sollten – so zumindest hatte es die Bundesregierung geplant. Und hier wird es politisch richtig spannend: Bis 2045 soll der Landnutzungssektor, dazu gehören Wälder und Moore, 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente speichern. Erst im September wurde ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg rechtskräftig, das die Bundesregierung dazu verpflichtet, für den Landnutzungssektor neue Maßnahmen vorzulegen, mit denen die Klimaziele irgendwie noch erreicht werden können. Bis Ende Oktober müssen die Pläne als Entwurf vorliegen und dann innerhalb von sechs Monaten verabschiedet werden.
Die Bundeswaldinventur dürfte hier den Druck aktuell noch erhöhen, denn: Sie führt vor Augen, wie weit unsere Wälder davon entfernt sind, die Zielvorgaben zu erreichen. "Davor haben wir als Förster schon seit Jahren gewarnt", erzählt Thomas Riedel. Dass Deutschlands Wälder in den kommenden knapp 20 Jahren diese Kapazität speichern sollen, sei nicht realistisch. "Diese Ziele wären nur zu erreichen, wenn man jetzt quasi einen kompletten Einschlagstopp in unseren Wäldern vornehmen würde – also sprich überhaupt kein Holz mehr genutzt würde."
Warum fällen wir überhaupt noch so viele Bäume?
Aber warum eigentlich wäre das keine Option? Forst-Influencer Peter Wohlleben hat diese Woche in einem Gespräch mit dem WDR die derzeitige Nutzung unserer Wälder als Holzquelle folgendermaßen eingeordnet: "Das ist so, als wenn man einem Schwerkranken noch einen kräftigen Aderlass verschreibt." Aus seiner Sicht müsse man bei der Bewirtschaftung des Waldes kräftig auf die Bremse treten. Die wirtschaftliche Nutzung der Wälder ein wenig reduzieren – da geht Forstwissenschaftler Riedel noch mit. Einen kompletten Einschlagstopp findet er aber nicht realistisch: "Das wäre mit einer ganzen Menge Kollateralschäden verbunden. Immerhin hängen ungefähr zwei Millionen Jobs an der Forstwirtschaft", betont er.
Riedel sagt, unsere Wirtschaft befände sich in einem Transformationsprozess hin zu einer Bioökonomie. Der nachwachsende Rohstoff Holz werde dabei eine immens wichtige Rolle spielen. Dafür müssen unsere Wälder immer mehr Holz zur Verfügung stellen – ohne dabei zu sehr beschnitten zu werden. Denn, so führt Riedel an: Holz kann eine wichtige Rolle dabei spielen, klimaschädliche Materialien zu ersetzen, beispielsweise beim Hausbau. Das stehe im Widerspruch zu dem Ziel, den Kohlenstoffspeicher im Wald zu erhöhen.
Die Zukunft: Waldumbau und Hoffen 🙏
Was können wir also außer einem Einschlagsstopp unternehmen, um unsere Wälder wieder zu einer effektiven Kohlenstoffsenke zu machen? Zum einen gilt es, alle Wälder in Deutschland klimawandel-fest zu machen. Das bedeutet beispielsweise, reine Fichten- und Kiefernwälder zu reduzieren. Für Schädlinge wie den Borkenkäfer ist eine von Trockenheit geschwächte Fichtenmonokultur nämlich das ideale Opfer. Hier kann der Käfer sich massenhaft vermehren und von einem Baum zum anderen fliegen. In einem Mischwald mit 30 Prozent Laubbäumen passiert das nicht so schnell, weil sich die meisten Käferarten nur auf eine Baumart spezialisiert haben. Eine gute Mischung im Wald macht also widerstandsfähig gegen Wetterextreme und Schädlinge.
Die aktuelle Bundeswaldinventur zeigt, dass es hier noch immer Potenzial gibt: "Wir haben immer noch nicht klimaresiliente Bestände", sagt Thomas Riedel. Diese müsse man umbauen. Ein Problem dabei dürfte aber auch sein: Von den 11,5 Millionen Hektar Wald in Deutschland sind 48 Prozent Privatwald. Häufig handelt es sich um Eigentümergemeinschaften, diese Leute müssen alle einzeln für den Waldumbau sensibilisiert werden.
Wir haben immer noch nicht klimaresiliente Bestände.
Abschließend muss man allerdings auch noch sagen: Wie es für den deutschen Wald wirklich weitergeht, haben wir gar nicht komplett in der Hand. Wenn sich die Klimabedingungen stark verändern, kann an einem gewissen Punkt auch der beste Waldumbau nichts mehr ausrichten. Thünen-Forscher Thomas Riedel erinnert an den Sturm "Lothar", der mit über 200 km/h auf den Schwarzwald traf. "Wenn sich diese Windgeschwindigkeiten in Zukunft noch erhöhen sollten, dann sind alle Baumarten von Schäden betroffen. Das betrifft dann nicht mehr nur die Fichte, sondern genauso die Buche – eigentlich alle Baumarten. Wir wissen, dass künftige Extremereignisse häufiger und verstärkter auftreten werden, als derzeit." Man müsse sehen, ob der Wald unter den veränderten Klimabedingungen noch eine Kohlenstoffsenke werden kann.
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Einen Auszug aus der Bundeswaldinventur zum Weiterlesen finden Sie hier.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 01. Oktober 2024 | 08:10 Uhr
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