Restemissionen Prinzip Staubsauger oder Prinzip Schwamm: Bei CO2-Entnahme muss es bald losgehen
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06. Juni 2024, 12:25 Uhr
Deutschland wird seine Klimaziele bis 2030 nicht erreichen, das sind die derzeit wenig motivierenden Worte des Expertenrats für Klimafragen. Und das, obwohl es erstmal "nur" um die Reduzierung von Treibhausgasen geht. Langfristig steht noch ein anderes Projekt an: Unvermeidliche Restemissionen aus der Atmosphäre zu bekommen, natürlich oder technisch. Ein neuer internationaler Bericht zieht jetzt Zwischenbilanz: Es tut sich noch wenig, aber Möglichkeiten gibt es viele.
- unvermeidbare Emissionen können durch verschiedene Methoden aus der Atmosphäre entfernt werden
- Ideen gibt es bereits viele, der Stand ist aber vergleichbar mit erneuerbaren Energien vor dreißig Jahren
- ein neuer Sachstandsbericht zeigt, dass die Nationalstaaten noch nicht mal genug versprechen, geschweige denn auch tun
Unvermeidliche Restemissionen – was erstmal wie ein resignierter Ruf der Entschuldigung klingt, ist ein Thema, das in den kommenden Jahren ordentlich an Fahrt aufnehmen wird. Dann, wenn die Klimauhr noch lauter tickt als sie es sowieso schon tut. Welche Emissionen sich im Laufe der kommenden Jahre als wirklich unvermeidbar herausstellen, ist derzeit noch nicht ganz klar. Ein klassisches Beispiel ist zumindest die Zementherstellung, aber auch andere Industriezweige oder Lachgas und Methan in der Landwirtschaft, die ebenfalls zu den Treibhausgasen gehören. Fünf Prozent der Treibhausgase in Deutschland können nicht vermieden werden, davon geht die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag aus. Das sind 62 Millionen Tonnen.
Restemissionen durch Aufforstung oder Aufsaugen in den Griff bekommen
Damit Restemissionen kein Synonym für Sorry bleiben, gibt es verschiedene Ansätze, um zumindest das CO2 aus der Atmosphäre zu bekommen. Da wäre zum Beispiel das Prinzip Schwamm: Also die Aufforstung von Wäldern, die zusätzliches Kohlenstoffdioxid aufnehmen können. Oder das Prinzip Staubsauger: Die Filterung von CO2 aus der Luft mit anschließender Speicherung oder Weiternutzung.
Zwei Varianten von vielen, bei denen sich immer eine grundsätzliche Frage stellt: "Naturbasierte Lösungen haben weniger Risiken rund um Umweltaspekte, sind aber dafür nicht so permanent." Das sagt Daniela Thrän, Leiterin des Bereichs Klimaenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. "Bei der Technik fehlt uns im Moment in Deutschland noch die ganze Frage, wie wir CO2, das wir direkt aus der Luft abscheiden, eigentlich dann transportieren und speichern wollen."
Und nicht nur das. Auch die Stromnetze müssen fit dafür sein, denn ein CO2-Staubsauger, der mit fossiler Energie betrieben wird, wäre, gelinde gesagt, nicht sonderlich effizient. Obwohl in vieler Munde, ist das technische Entfernen von Restemissionen aus der Atmosphäre noch längst kein Alltag im Klimaschutz. Sondern eher im Probebetrieb, so wie in Island, wo ausreichend Erneuerbare zur Verfügung stehen und das Schweizer Cleantech-Startup Climeworks sich in Sachen DAC-austobt. DAC steht für Direct Air Capture, also das direkte Einfangen von Luft. Anschließend wird das gefilterte CO2 im Boden gespeichert, auch dafür gibt es eine Abkürzung. CCS, Carbon Capture and Storage, also das Einsammeln von Kohlenstoff und Einlagerung.
Erst im Mai ist Climeworks ein neuer Coup gelungen: Auf Island ging eine neue Anlage an den Start, die nicht umsonst auf den Namen Mammoth (Mammut) hört. Sie ist zehnmal größer als die alte und damit die größte der Welt. Trotz Superlativ: Ein sicherer Baustein zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels ist das noch lange nicht. Damit das Ziel in Reichweite bleibt, müssen nicht nur die Emissionen augenblicklich zurückgehen – die erste und wichtigste Maßnahme. Sondern auch CO2-Entnahme-Verfahren zügig verfügbar gemacht werden. So steht es im bereits zweiten internationalen Sachstandsbericht zur CO2-Entnahme, "The Sate of Carbon Dioxide Removal" heißt der.
Im Moment ist die CO2-Entnahme-Story im Wesentlichen eine, die sich in der Forstwirtschaft abspielt
Kernaussagen des 2. State of Carbon Dioxide Removal
- Neben Emissionsreduktion muss CO2-Entnahme (CDR) schnell an Fahrt aufnehmen, um die Klimaziele erreichen zu können
- Neuartige Varianten der CO2-Entnahme existieren auf sehr niedrigem Niveau, es gibt nur geringe Investitionen in Cleantech-Startups
- Es braucht eine Innovationsdynamik bei Forschung, Entwicklung und Demonstratoren und eine Vielzahl an Varianten
- Derzeit sorgt ein freiwilliger CO2-Markt für Nachfrage, CDR muss aber vollumfänglich in die Klimapolitik integriert werden
- Es braucht Mechamnismen zur Berichterstattung und Überprüfung
- Es existiert nach wie vor eine große Lücke zwischen globalen Klimaschutzszenarien und nationalen Klimaschutzzielen
"Im Moment ist die CO2-Entnahme-Story im Wesentlichen eine, die sich in der Forstwirtschaft abspielt", sagt Oliver Geden, Mitautor des Berichts und Klimapolitologe bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Von derzeit etwa zwei Gigatonnen CO2-Entnahme pro Jahr entfällt ein verschwindend kleiner Anteil auf neuartigen Verfahren, der Rest ist Aufforstung. Das ist ein Problem, denn Bäume als CO2-Senken kommen bis zur Mitte des Jahrhunderts an ihre Grenzen. Aufforstung und Klimawandel, das ist sozusagen ein Teufelskreis: "Denken Sie an Extremwetterereignisse, Waldbrände, Stürme oder auch Phänomene wie Borkenkäfer."
CO2-Entnahme auf Stand der Erneuerbaren vor dreißig Jahren
Unterm Strich geht es um mehr als nur Restemissionen. Da die Menschheit derzeit auf eine Erwärmung von mehr als 1,5 Grad zusteuert, wird die CO2-Entnahme auch dafür herhalten müssen, irgendwann im Laufe des Jahrhunderts wieder auf den gemäßigten Pfad der Erwärmung zurückzukehren. Versuchsanlagen wie auf Island oder in den USA stehen zwar für wegweisende Ambitionen. Für eine Anwendung in der Fläche – Fachleute bedienen sich hier gern der Vokabel "Hochskalierung" – braucht es aber eine Strategie und gezielte Förderung. Der aktuelle Stand ist jedoch vielmehr vergleichbar mit dem Punkt, an dem erneuerbare Energien noch vor dreißig Jahren waren, so die Einschätzung des Nachhaltigkeitsforschers Jan Christoph Minx, der ebenfalls als Autor am Bericht beteiligt war: "Wie vor dreißig Jahren bei den erneuerbaren ist der Weg wirklich hart und das wird bis heute noch unterschätzt, was wir da vor uns haben, um das dann tatsächlich auch zu packen."
Dynamisches Wachstum bei Pflanzenkohle
Aber es ist nicht aussichtslos: Neben den Versuchsanlagen für Direct Air Capture sieht Minx auch ein dynamisches Wachstum in der Industrie um Pflanzenkohle. Pflanzenkohle gilt ebenfalls als vielversprechendes Mittel, unvermeidbaren Emissionen Herr oder Frau zu werden. Durch Einarbeitung in den Boden lässt sich dort über viele hundert Jahre CO2 speichern, anders als bei der Verrottung von beispielsweise Grünschnitt, bei der CO2 wieder in die Atmosphäre gelangt.
Nun machen die Staaten dieser Welt allerdings recht wenig Anstalten, sich mit dem Thema Restemissionen im großen Stil auseinanderzusetzen. Und derzeit noch nicht einmal ausreichend Zusagen, geschweige denn setzen sie diese auch um. Nicht bei der konventionellen Aufforstung und erst recht nicht im Bereich der neuen Verfahren. Oliver Geden: "Deshalb brauchen wir in Deutschland in der EU eine Vorstellung, wie viel es denn ungefähr sein soll im Jahr 2045, 2050 und auf welche Methoden setzen wir."
Negative Emissionen: Strategie der Bundesregierung 2024/2025 erwartet
Antworten darauf will die Bundesregierung in der Langfriststrategie Negativemissionen liefern – Ende 2024, Anfang 2025 soll es soweit sein. Aber auch kurzfristig gibt es zumindest begrenzt Möglichkeiten, die CO2-Entnahme voranzutreiben, sagt Daniela Thrän vom Helmholtz in Leipzig. "Also geht es um die Frage Aufforstungen, es geht um Kohlenstoffanreicherung im Boden, auch wie weit man im Rahmen von Moor-Wiedervernässung CO2-Entnahme erreichen kann."
Kurzfristig also eher das Prinzip Schwamm. Die notwendigen Rahmenbedingungen vorausgesetzt.
mit Unterstüzung des Science Media Center
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 06. Juni 2024 | 10:48 Uhr
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