Grünes Wunder? Emissionshandel: Der Fehler im System
Hauptinhalt
13. Juni 2023, 08:58 Uhr
Das Emissionshandelssystem ist laut Fachleuten eines der wichtigsten Werkzeuge zur Erreichung der Klimaschutzziele der EU. Doch wie jedes politische System funktioniert es nur mit der entsprechenden Sanktionierung. Dabei scheint es in der EU unterschiedliche Standards zu geben.
Im sogenannten EU-ETS (EU-Emission Trading System, deutsch: EU-Emissionshandelssystem EU-EHS) ist geregelt, dass Unternehmen eine bestimmte Anzahl von Emissionszertifikaten erwerben müssen, um damit die von ihnen ausgestoßenen Treibhausgase zu decken. Das Prinzip: Schaffen es Unternehmen, ihre Emissionen zu reduzieren oder zu vermeiden, können sie ihre überschüssigen Emissionsrechte an andere Unternehmen verkaufen, die ihre Emissionen nicht ausreichend reduzieren konnten. Das soll Anreize für Unternehmen schaffen, innovative Technologien zu entwickeln und emissionsärmere Technologien zu fördern.
Das läuft schief bei der Sanktionierung
Um zu überprüfen, ob jedes Unternehmen auch ausreichend Emissionszertifikate zur Abdeckung ihrer Emissionen eingekauft hat, gibt es das sogenannte Unionsregister der Europäischen Union. In diesem hat jedes Unternehmen ein Konto, auf das bis zum 30. April des nächsten Jahres genügend Zertifikate geladen sein müssen, um die ausgestoßenen Emissionen des letzten Jahres abzudecken. Betreiber und gleichzeitig auch Kontrolleur des Unionsregisters in Deutschland ist die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt).
Was passiert, wenn Unternehmen es versäumen, rechtzeitig genügend Zertifikate entsprechend ihrer Emissionen auf Ihr Konto im Unionsregister zu laden, ist von der EU genauestens geregelt: Für die betroffenen Unternehmen wird eine Geldstrafe von mindestens 100 Euro pro Tonne CO2 (in Deutschland: 101,50 Euro im Jahr 2013 und 121,01 Euro im Jahr 2022) fällig, für die sie keine Zertifikate besitzen. Eine Recherche des Teams des "Crossborder Journalism Campus", zu dem auch Studierende der Universität Leipzig gehören, konnte nun allerdings aufzeigen, dass diese Sanktionierung nicht in allen EU-Staaten gleichermaßen durchgesetzt wird.
So hat Frankreich in den letzten Jahren systematisch selbstbestimmte Ausnahmeregelungen angewandt, um keine finanziellen Sanktionen von Unternehmen zu verlangen. Diese Ausnahmen gelten beispielsweise für Unternehmen in gerichtlicher Abwicklung, das bedeutet die Unternehmen befinden sich in einem Auflösungsprozess oder für Unternehmen, die erst neu auf dem Markt sind.
Auf Anfrage teilt die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) mit: "Grundsätzlich gibt es keine Ausnahmen der Sanktionierung […]. Im Falle einer Insolvenz ist der Betreiber (und auch ggf. der Insolvenzverwalter) weiterhin zur Abgabe von Emissionsberechtigungen verpflichtet, solange der konkrete Betrieb fortgeführt wird."
Und dieses Problem betrifft nicht nur Frankreich. "Wenn es in einem oder mehreren Ländern systematische Mängel bei der Durchsetzung oder bei den Sanktionen gibt und diese nicht behoben werden, könnte dies Auswirkungen auf die Legitimität und Wirksamkeit des gesamten Emissionshandelssystems haben", erklärt Jonas Ebbesson, Professor für Umweltrecht an der Universität Stockholm.
Damit gehen vor allem Frankreich und der EU viel Geld verloren. So wurden beispielsweise in Deutschland zwischen 2013 und 2020 durch die DEHSt-Sanktionierung insgesamt 2,45 Millionen Euro eingenommen. In Schweden waren es von 2005 bis 2022 sogar 6,6 Millionen Euro. In Deutschland fließt das Geld in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), ein Sondervermögen der Bundesregierung. Mit diesem werden Projekte aus den Themengebieten erneuerbare Energien, Energieeffizienzinvestitionen (einschließlich Gebäudesanierung), nationaler und internationaler Klimaschutz, Umweltprojekte, Forschung, Elektromobilität und Energieeffizienz gefördert.
Wenn es in einem oder mehreren Ländern systematische Mängel bei der Durchsetzung oder bei den Sanktionen gibt und diese nicht behoben werden, könnte dies Auswirkungen auf die Legitimität und Wirksamkeit des gesamten Emissionshandelssystems haben.
Aufgewertete Daten aus dem European Union Transaction Log (EUTL), dem EU-Instrument zur Überwachung des Emissionshandels, zeigen, dass zwischen 2013 und 2021 mindestens 49 Anlagen in Frankreich nicht rechtzeitig die korrekte Menge an Zertifikaten abgegeben haben. Diese Unternehmen hätten in Deutschland und Schweden sanktioniert werden müssen.
Mit dem Vorwurf konfrontiert, antworten die französischen Behörden schriftlich: "Das Ministerium überwacht jede dieser Situationen sorgfältig. Zum jetzigen Zeitpunkt wurden die Fälle gelöst, ohne dass eine Geldstrafe für die Nichtrückgabe verhängt wurde". Mit dieser Umgehung der Geldbuße verstößt Frankreich gegen EU-Recht. Es gebe weder in der EU noch in der französischen Gesetzgebung eine Rechtsgrundlage, die es den Behörden erlaubt, Unternehmen von der Strafe von 100 Euro pro Tonne zu befreien, ordnet Marianne Moliner-Dubost, Expertin für Klima- und Luftverschmutzungsrecht, die Situation ein.
Wer ist für die Kontrolle zuständig?
Verantwortlich für die Überprüfung und Rüge dieser fehlerhaften Sanktionierung wäre die Europäische Kommission. Es ist zwar so, dass EU-Richtlinien den Mitgliedstaaten oft einen gewissen Spielraum lassen, um selbst zu entscheiden, wie sie ein bestimmtes Ziel erreichen und die Sanktionierung gestalten wollen, im Falle der mindestens 100 Euro Strafte pro Tonne CO2 ist das jedoch nicht so. Das wurde im Jahr 2013 auch noch einmal durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in einem Präzedenzfall bestätigt. Damals hatte der schwedische Papierkonzern "Billerud Korsnäs AB" gegen die schwedische Umweltschutzbehörde geklagt. Der Konzern hatte damals die richtige Anzahl an CO2-Zertifikaten auf seinem Konto, diese aber aufgrund einer internen Verwaltungspanne zu spät eingereicht. Ein Fehler, der "Billerud Korsnäs AB" 1,6 Millionen Euro kostete. Der Europäische Gerichtshof hatte damals entschieden, dass sowohl die Höhe der Strafe von 100 Euro pro Tonne als auch die Frist des 30. Aprils ungeachtet aller mildernden Umstände (außer höherer Gewalt) als nicht verhandelbar gelten.
Angesprochen auf den Verstoß Frankreichs gegen die EU-Richtlinie zum Emissionshandel und die fehlende Sanktionierung französischer Unternehmen, heißt es aus dem Umfeld der EU-Kommission nur, dass man bereit sei, Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einzuleiten, wenn diese Vorschriften nicht einhalten. Tim McPhie, Sprecher der EU-Kommission für Klima und Energie, sagt, man äußere sich nicht zu laufenden Gerichtsverfahren. In der Datenbank der EU-Kommission für Vertragsverletzungsverfahren lassen sich jedoch bis jetzt noch keine Fälle im Zusammenhang mit der EU-Emissionshandelsrichtlinie finden.
Kein Instrument ist besser als seine Sanktionen.
Thomas Hahn, außerordentlicher Professor für ökologische Ökonomie an der Universität Stockholm, hält es für schockierend, dass Frankreich diese Ausnahmen macht und die EU bis jetzt nicht dagegen vorgegangen ist: "Kein Instrument ist besser als seine Sanktionen. Wenn Länder wie Ungarn, Polen oder Bulgarien entdecken, was Frankreich tut, werden sie sagen: 'Wir machen das auch nicht, weil wir uns diese Aufgabe nicht leisten können', und wenn andere Länder diesem Beispiel folgen, bricht alles zusammen. Das ist sehr, sehr ernst".
Crossborder Journalism Campus Dieser Beitrag entstand im Rahmen von “Crossborder Journalism Campus”, einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Nicolás Berlinger, Jakob Ranglin Grissler, Jonas Linde, Solène Du Roy, Mahmoud Naffakh, Yann Doree, Hadrien Valat.
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/09d22fc0-2714-4d68-bf96-66b3ecbdb40f was not found on this server.