Junge Frau lädt die Batterie eines Elektroautos auf, während sie an der Ladestation telefoniert. 4 min
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Technisch ist es bereits möglich, das Elektroauto als Stromspeicher zu nutzen. Praktisch hinkt Deutschland jedoch hinterher. Ein Überblick über die Herausforderungen.

MDR KULTUR - Das Radio Di 03.12.2024 09:32Uhr 03:35 min

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Vehicle-to-Grid Wenn das Auto für Strom im Netz sorgt

03. Dezember 2024, 14:05 Uhr

Unabhängiger vom Energieversorger werden, die günstigsten Preise am Strommarkt abgreifen und gleichzeitig Geld im Schlaf verdienen. Was nach "Zu gut, um wahr zu sein" klingt, ist technisch bereits möglich, und zwar, wenn der Strom aus dem Elektroauto kommt. Während Frankreich seit Neuestem das sogenannte Vehicle-to-Grid schon ermöglicht, hinkt Deutschland jedoch hinterher. Ein Überblick über den aktuellen Stand und die Herausforderungen.

Junge Frau mit langen, braunen Haaren gelben Mantel, lacht und blickt mit leicht gesenktem Kopf in Kamera
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Unabhängig vom Energieversorger? Wer eine Solaranlage auf dem Dach hat, hat bereits den ersten Schritt getan. Nur lässt sich damit lediglich ein Teil des Eigenverbrauchs an Strom decken, zu sehr schwanken das Wetter und der eigene Verbrauch. Was aber, wenn sich das System stabilisieren ließe?

Möglich ist das bereits mit Stromspeichern. Dank der sinkenden Preise werden Solaranlagen heute kaum noch ohne verkauft. Eine Idee mit noch deutlich mehr Power ist, einfach die Batterie von Elektroautos als Stromspeicher zu nutzen. Etwas, was schon lange diskutiert wird, in Ländern wie Frankreich, den Niederlanden oder auch Großbritannien nun zunehmend auch Realität wird. Aber was genau steckt dahinter?

Vehicle-to-Grid: Wenn das Auto zum Stromspeicher wird

Der Schlüssel ist das sogenannte bidirektionale Laden, also die Fähigkeit eines E-Autos, überschüssigen Strom zu speichern und bei Bedarf wieder zurückzugeben – entweder in die Stromversorgung des eigenen Hauses (Vehicle-to-Home) oder in das öffentliche Stromnetz (Vehicle-to-Grid). Das Prinzip ist ähnlich dem einer Power-Bank, allerdings braucht es bei Elektroautos einen Zwischenschritt, denn diese fahren mit Gleichstrom, während in den Haushalten Wechselstrom genutzt wird. Um das Auto zu laden, braucht es normalerweise einen Gleichrichter, der den Wechselstrom in Gleichstrom umwandelt. Dieser befindet sich entweder im Bordladegerät des Fahrzeugs oder in einer speziellen Wallbox.

Der Weg vom Elektroauto ins Netz
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Soll der Strom aber auch zurückfließen, wird ein Wechselrichter nötig. Auch der kann im Auto oder in der Ladestation verbaut werden. Die Hardware für das bidirektionale Laden gäbe es jedoch bisher – obwohl technisch möglich – nicht standardmäßig, so Dr. Dirk Uwe Sauer, Professor für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik an der Technischen Hochschule Aachen. Ihm zufolge seien bisher nur einzelne Fahrzeuge in Deutschland überhaupt für Vehicle-to-Grid freigeschaltet, auch wenn viele theoretisch dazu fähig wären. Warum also sind wir in Sachen Vehicle-to-Grid nicht weiter?

Zu viele Köche, zu wenige Autos: Die Herausforderungen in Deutschland

Ein Grund sei das insgesamt noch zögerliche Verhalten bei Elektroautos, auch wenn das langsam im Kommen sei, so der Forscher. Dadurch gäbe es bisher zu wenige Kapazitäten, um einen echten Beitrag für die Stabilisierung des Stromnetzes zu leisten. Große Stromversorger, Netzbetreiber oder Unternehmen setzten deshalb derzeit eher auf stationäre Batteriespeicher. Dafür zahlten letztendlich alle, während die Batterie im E-Auto allein durch den Autokauf schon bezahlt sei. Auch durch den Verschleiß der Batterie würden keine Zusatzkosten anfallen, wenn man das Laden richtig mache. Die Batterie sei nämlich wie ein Gummiband: "Wenn Sie ein Gummiband in die Hand nehmen und Sie ziehen es mal ein bisschen in die Länge und lassen es wieder flutschen – das können Sie in der Regel ganz häufig machen, da passiert nichts", sagt Sauer. Anders sei das, wenn man das Gummiband bis zum Äußersten spanne oder eben die Batterie vollständig ent- und auflade: "Das machen Sie ein paar Mal, und dann reißt es." Die größten Feinde der Batterie seien das Alter und die Nichtnutzung, so der Forscher.

Ähnlich argumentiert Alexander Grahle von der Fakultät Verkehrs- und Maschinensysteme der Technischen Universität Berlin und stellvertretender Geschäftsführer des Mobility2Grid e.V., einem Forschungscampus, der seit zwölf Jahren die Schnittstelle von Netz und Mobilität in den Blick nimmt. Er ergänzt aber: "Wenn ich sehr viel mit Schnelllader, sehr viel mit hoher Ladeleistung, lade – an Autobahnraststätten beispielsweise – dann altert die Batterie schneller, als wenn ich sie langsam lade." Vehicle-to-Grid werde aber eher das langsame Laden brauchen. Schon allein, um die Zeit zu haben, entsprechende Preisschwankungen auf dem Markt auch nutzen zu können. Hausbesitzer könnten das ohne weiteres machen, in der Stadt brauche es dagegen kreative Lösungen für den öffentlichen Raum – etwa, dass man die Ladeinfrastruktur in Laternen integriert. Auch das wird von Mobility2Grid und weiteren Partnern bereits erforscht und ist ein lösbares Problem. Für Alexander Grahle sind eher die vielen Strom-Akteure am Markt in Deutschland ein Hindernis. Sie alle müssten sich auf Standards einigen und im Prozess immer wieder absprechen. Auch die Frage, wer wie und an welcher Stelle Geld verdient und wer wo eingebunden werden muss, sei noch ungelöst.

Allein die Zahl der Netzbetreiber sei in Deutschland deutlich höher als in Frankreich, erfahren wir auf Anfrage von The Mobility House, einem Dienstleistungsunternehmen für Elektromobilität in Europa, das nun zusammen mit Renault und Mobilize in Frankreich den ersten Vehicle-to-Grid-Service für Endkunden gestartet hat. Daneben seien effiziente Anmeldeprozesse (in Deutschland etwa beim Verteilnetzbetreiber) und intelligente Messsysteme, sogenannte Smart Meter, dort flächendeckend verfügbar. Die sind für Dirk Uwe Sauer die größte Baustelle in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern.

Systeme, die sich selbst mitteilen: Es wackelt schon an der Basis

Die Smart Meter sind intelligente Zähler, die sowohl Daten senden als auch empfangen können. Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sollen bis Ende 2025 per Gesetz mindestens 20 Prozent der Verbraucher ab 6.000 bis 100.000 Kilowatt im Jahr und der Erzeuger von 7 bis 100 Kilowatt installierter Leistung damit ausgestattet werden. Bisher sind es The Mobility House zufolge aber nur zwei Prozent.

Rolloutfahrplan für die Smart Meter in Deutschland
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Für das Vehicle-to-Grid-System sind sie aber eine Grundvoraussetzung. Nur so kann das Elektroauto Strom speichern, wenn der Preis günstig ist und bei hohem Bedarf (und Preis) wieder ins Netz einspeisen. Verbraucher könnten dann sparen, wenn sie Strom abziehen und gleichzeitig Geld verdienen, wenn sie ihn wieder einspeisen. Gleichzeitig könnte der Netzausbau reduziert und die schwankende Energieversorgung aus erneuerbaren Energien ausgeglichen und damit die Energiewende vorangetrieben werden – auch wenn, wie Dirk Uwe Sauer betont, dies vor allem für den Ausgleich von Tag und Nacht dienlich wäre. Denn optimal sei eine Batterienutzung für Vehicle-to-Grid oder to-Home von etwa 20 Prozent der Kapazität: "Dann altert die quasi überhaupt nicht zusätzlich." Bei einer mittelgroßen Batterie von 60 Kilowattstunden seien das zwölf Kilowattstunden, also mehr als der mittlere tägliche Verbrauch. Eine Dunkelflaute von ein bis zwei Wochen könne man damit nicht überbrücken, wohl aber die täglichen Schwankungen ausgleichen, vielleicht auch zwei bis drei Tage. Um vollständige Autarkie geht es dabei nicht.

Optimalerweise sollten die Elektroautos also täglich beim Laden die Vorteile aus dem Stromnetz ziehen können. Damit einher gehen aber hohe Ansprüche an die intelligenten Systeme. Das fange schon an der Basis an, meint Dirk Uwe Sauer: "Wenn man zum Beispiel nur das Preissignal an der Strombörse verwenden würde, dann würde das dazu führen, dass quasi alle Fahrzeuge gleichzeitig entweder Strom kaufen wollen, weil er gerade sehr günstig ist. Oder sie wollen alle gleichzeitig Strom verkaufen, weil eben sehr viel Geld verdient werden kann." Das aber würden die Stromnetze nicht aushalten.

Alle Haushalte könnten gleichzeitig so rund drei Kilowatt Leistung in die Stromnetze einspeisen oder herausholen, aber eben nicht alle gleichzeitig elf Kilowatt oder was so ein Auto vielleicht irgendwie kann.

Dr. Dirk Uwe Sauer

Für den Forscher braucht es deshalb intelligente Managementstrategien, die gleichzeitig drei Kriterien erfüllen: Erstens müsse es oberste Priorität haben, dass immer ausreichend Strom in der Batterie sei, um das Fahrzeug auch spontan zu nutzen. Auch persönliche Einstellungen, etwa wie lange das Auto laden soll oder wann man wieder losfahren möchte, sollten einstellbar sein, ergänzt Alexander Grahle. Zweitens müsse sichergestellt sein, dass nicht alle Fahrzeuge gleichzeitig Strom aus dem Netz ziehen oder einspeisen – etwa dadurch, dass die Fahrzeuge Daten an einen Zentralcomputer senden oder innerhalb einer Nachbarschaft kommunizieren. Und drittens müsse das mit dem globalen (besonders dem europäischen) Strommarkt verknüpft und ausbalanciert werden, um den Bedarf stabil zu erkennen und zu steuern. Wenn nämlich der Netzbetreiber stabil Leistung aus den Fahrzeugen kaufen könnte, wären der Ausbau zusätzlicher Leitungen und Trafos und damit höhere Verbraucherkosten in Form des Netzentgelts nicht mehr nötig.

Ein kleiner Schritt, um voranzukommen: Ist Vehicle-to-Home erstmal die Lösung?

Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz würde sich das allein durch einen großen Pool bidirektionaler Fahrzeuge klären. Dafür muss aber – da sind sich Dirk Uwe Sauer und Alexander Grahle einig – neben der Lösung von regulatorischen und rechtlichen Schwierigkeiten auch der persönliche Nutzen der Fahrzeugbesitzer in den Vordergrund gestellt werden. Denn beim Einspeisen und Ausspeisen gibt es nicht nur immer auch einen Verlust von Energie, den es zu kompensieren gilt, sondern momentan würden auch doppelte Netzentgelte anfallen.

Für Dirk Uwe Sauer ist deshalb schon viel gewonnen, wenn wir zunächst auf Vehicle-to-Home setzen, das teilweise auch schon möglich ist (mit eigenen Systemen der Hersteller): "Wenn ich allein nur den Zeitpunkt, zu dem der Ladevorgang stattfindet, intelligent steuere, dann habe ich auch aus Stromnetzsicht schon sehr viel gewonnen. Da würde ich eben alle Fahrzeuge, die zu Hause laden, im Sommer typischerweise gegen Mittag aufladen, wenn die Sonne scheint und nicht irgendwo mitten in der Nacht, wo ich dann eben ein Kraftwerk anwerfen muss."

Für Alexander Grahle allerdings hat das Grenzen: "Es funktioniert immer dann gut, wenn ich eigentlich ein sehr untypisches Mobilitätsprofil habe.“ Günstig sei der Strom dann, wenn alle auf der Arbeit wären. "Und wenn sie dann wiederkommen und eigentlich den Strom wieder zurückspeisen müssten, ist eigentlich der Zeitraum, wo sie laden wollen." Für ihn können wir alle besser profitieren, wenn das System über das ganze Netz gedacht ist. Bis dahin muss allerdings noch viel passieren, auch wenn wir aus Sicht beider Forscher schon in die richtige Richtung gehen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 04. Dezember 2024 | 00:00 Uhr

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