Blick in Höhe Eckerloch über abgestorbene Fichten entlang der Strecke der Harzer Schmalspurbahnen im Landkreis Harz 4 min
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Der Wald ist fest eingeplant im Bundesklimaschutzgesetz. Er soll in den kommenden Jahrzehnten Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre binden. Aktuell ist er aber eine Emissionsquelle.

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Negativemissionen Warum die Rechnung aus dem Bundesklimaschutzgesetz nicht aufgeht

28. März 2025, 14:37 Uhr

Der Wald ist, gemeinsam mit Mooren, Wiesen und Ackerböden fest eingeplant im Bundesklimaschutzgesetz. Er soll in den kommenden Jahrzehnten Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre binden. Aktuell sind diese natürlichen CO2-Senken aber eine Emissionsquelle und stoßen mehr CO2 aus als die Eisen- und Stahlerzeugung. Die "Langfriststrategie Negativemissionen" entwickelt Szenarien dafür, wie wir jetzt noch auf "Netto-Null" kommen können.

Junge Frau schaut frontal in die Kamera.
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Wenn von Klimaneutralität die Rede ist, meint das häufig ein Ziel mit dem Namen "Netto-Null". Das bedeutet, es werden zwar noch Emissionen ausgestoßen, aber mindestens genauso viel wird auf unterschiedliche Weise aus der Atmosphäre gebunden. Das ist auch sinnvoll, denn: Es gibt Wirtschaftssektoren, die noch lange mit Emissionen verbunden sein werden, beispielsweise die Industrie. Wenn Treibhausgase aus der Luft gebunden werden, belasten sie die Atmosphäre nicht weiter und können quasi vom Gesamtbudget abgezogen werden. Man nennt das "Negativemissionen".  

Stellt man sich die Frage, wo solche Negativemissionen geschaffen werden, war die Antwort in den vergangenen Jahren oft: in der Natur! Das klingt ja auch zunächst sinnvoll. Durch mehr Natur können wir einen Ausgleich zur Industrie schaffen, weil etwa Pflanzen CO2 aus der Luft aufnehmen und den Kohlenstoff in ihrer Biomasse speichern. Mehr Pflanzen bedeutet weniger CO2 in der Atmosphäre – also ran an die Spaten! So ähnlich steht es auch im Bundesklimaschutzgesetz. Bis 2030 sollen natürliche Kohlenstoffsenken 25 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aufnehmen, bis 2045 dann 40 Millionen Tonnen.

Icon: Symbolische Erdkugel mit Afrika und Europa im Zentrum, daran oben links das Grad-Zeichen. Text:  MDR Klima-Update. Kostenfrei, wöchentlich. Foto: Weiß gekleidete Frau mit Rücken zur Kamera kippt aus Eimer grüne Farbe auf Leinwand in trockener Gegend.
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Wie weit diese Rechnung an der Realität vorbeigeht, zeigt die Bundeswaldinventur von 2024. Dem deutschen Wald geht es so schlecht, dass er in den vergangenen Jahren sogar ordentlich CO2 in die Atmosphäre abgegeben hat. Der Kohlenstoffspeicher Wald wirkt nämlich zunächst einmal nur temporär. Wenn ein Baum etwa gefällt und verheizt wird, wird auch der gebundene Kohlenstoff wieder frei. Von 2017 bis 2022 waren es schätzungsweise 41,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, die aus dem Waldspeicher abgegeben wurden.

Aber natürlich gibt es nicht nur den Wald. Moore, Wiesen und Äcker können auch CO2 aus der Luft binden. Diese Gebiete fasst man in der Forschung als LULUCF-Sektor (Land Use, Land Use-Change, and Forestry) zusammen. Dieser Sektor könnte theoretisch unser biologisches Ass im Ärmel sein, das uns hilft, Netto-Null zu schaffen. Aktuell ist allerdings das Gegenteil der Fall: Der gesamte LULUCF-Sektor emittiert derzeit große Mengen CO2. 2023 waren es insgesamt fast 70 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Die Eisen- und Stahlindustrie in Deutschland hat 2022 rund 50 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.

CO2-Senken und Emittenten im LULUCF-Sektor
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Wie kann das sein? 

Die Grafik zeigt, wie das Waldsterben ab dem Hitzesommer 2018 die Gesamtbilanz drastisch verschlechtert hat. Neben dem Wald gibt es aber noch eine weitere, große CO2-Quelle, die in diesem Sektor seit Jahrzehnten stetig zum Klimawandel beiträgt: organische Böden. Das sind etwa Moorböden, die vor 50 bis 150 Jahren trockengelegt wurden, damit sie für die Landwirtschaft nutzbar sind. "Damals hat man sich darüber gefreut, denn diese Böden sind sehr fruchtbar", erklärt Roland Fuß. Er befasst sich am Thünen-Institut für Agrarklimaschutz unter anderem mit den Emissionen aus dem LULUCF-Sektor.

Was man damals noch nicht wusste: Sobald der Torfboden trockengelegt wird, beginnt er damit, gespeichertes CO2 in die Atmosphäre abzugeben – und zwar auf unabsehbare Zeit. "Weil in diesen Böden sehr, sehr viel Kohlenstoff drin ist, dauert das sehr lange", sagt Fuß. Es gebe Flächen, die seit 100 Jahren auf diese Weise kräftig CO2 emittieren. Theoretisch kann man diesen Prozess aber ganz einfach stoppen: Ab dem Moment, in dem ein solcher Boden wiedervernässt wird, gibt er kein CO2 mehr ab und kann dann sogar wieder zum Kohlenstoffspeicher werden.

Weil das die landwirtschaftliche Nutzung der Flächen aber stark einschränkt und das Land an Wert verliert, ist diese Option bei vielen Landwirten und Landbesitzern nicht gerade beliebt. Agrarklimaforscher Roland Fuß erklärt: "Ein weiteres Problem ist, dass wir nicht nur eine kleine Fläche wiedervernässen können." Man müsse das gesamte Wassereinzugsgebiet betrachten – damit betreffe das viele Landbesitzer, die sich irgendwie einigen müssen. Dennoch sei Wiedervernässung wichtig und auf jeden Fall Teil der Lösung. Bundesweit gibt es Projekte, wie das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, die die Vernässung von Moorböden fördern – aber es geht bei weitem nicht so schnell voran, wie es eigentlich nötig wäre.

Bis 2030 werden die Ziele nicht erreicht

Dass der gesamte LULUCF-Sektor bis 2030 25 Millionen CO2-Äquivalente aufnimmt, wie im Bundesklimaschutzgesetz festgelegt, sei aus seiner Sicht nicht realistisch, sagt Roland Fuß: "Die Zahlen wurden auch ein wenig gegen unseren Rat festgelegt." Fuß sagt, er rechne auch eigentlich nicht damit, dass der gesamte LULUCF-Sektor die Ziele aus dem Bundesklimaschutzgesetz bis 2045 erreichen werde. "Um die Ziele zu erreichen, müsste man einen sehr hohen Anteil der Moorböden wiedervernässen – und zwar nicht nur die Flächen, die gut machbar sind, sondern auch Flächen, wo Anwohner betroffen sind." Das bedeutet, Siedlungs- und Straßeninfrastruktur müsste angepasst werden. Flächen würden für die landwirtschaftliche Nutzung verlorengehen. 

Den Eindruck, dass zumindest die 2030er-Marke nicht mehr erreicht werden kann, teilt auch Klaus Hennenberg vom Öko-Institut. Er ist Teil eines Teams, das die "Langfriststrategie Negativemissionen" für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ausgearbeitet hat. So gesehen durfte er sich mit der Lücke im Bundesklimaschutzgesetz herumschlagen und Szenarien dafür entwickeln, wie sie geschlossen werden kann.

Das ist gewissermaßen eine gigantische Rechenaufgabe: Hennenberg versucht etwa, zu antizipieren, wie sich der Wald in den kommenden Jahrzehnten verändern wird. "Ob er es schaffen wird, künftig die nötige CO2-Senke zu leisten oder nicht, ist sehr stark abhängig von den Witterungsbedingungen", erzählt er. Weil man nicht wisse, wie das Wetter sich konkret entwickeln werde, rechne man mit Modellen. Diese ermitteln, wie sich der Wald unter verschiedenen Klima- und Wetterbedingungen verändert. Gibt es genug Regen, kann der Wald wachsen und zusätzliches CO2 speichern. "Wenn die Niederschläge aber ausbleiben und damit auch das Baumwachstum, kann man nicht viel tun." Die Unwägbarkeit des Wetters muss deshalb bei der CO2-Senke Wald einkalkuliert werden. "Wir rechnen 2045 mit 30 bis 40 Millionen Tonnen Unsicherheitsfaktor." Das entspricht immerhin der gesamten, für den LULUCF-Sektor kalkulierten Menge.

Technische Lösungen: Teuer, aber wohl Teil der Zukunft 

Dennoch ist es Klaus Hennenberg wichtig, zu betonen: Man kann im Wald trotzdem gezielt mehr CO2 binden – beispielsweise, indem man weniger Laubholz aus stabilen Beständen abholzt. Außerdem könnte man Holz verstärkt für langlebige Produkte nutzen, statt es zu verfeuern. "Bis 2045 haben wir noch so viel Zeit, dass wir ausreichend politische Maßnahmen ergreifen können", sagt Hennenberg. Dennoch bleibt der Wald als CO2-Senke mit großen Unwägbarkeiten verbunden. Das zeigt auch eine aktuelle Studie des Potsdam-Institut für Klimaforschung

Sehr wahrscheinlich ist deshalb, dass die natürlichen CO2-Senken künftig durch technische Kohlenstoffsenken ergänzt werden müssen. Zum Beispiel durch das Auffangen und Speichern der Emissionen bei Verbrennungsprozessen (BECCS) und Basaltverwitterung auf Ackerflächen. Klaus Hennenberg betont, auch diese Technologien können nur bestimmte Mengen CO2 binden. Als letzter Joker bleibt noch Direct Air Capture (DAC), das direkte Auffangen von CO2 aus der Luft. "Da hat man im Endeffekt fast unbegrenzte Möglichkeiten", sagt Klaus Hennenberg. "Der Haken ist nur: Das ist auch die teuerste Lösung." Ein Beispiel: Die CO2-Bindungskosten für Waldholz liegen zwischen 30 und 50 Euro pro Tonne CO2– die für Direct Air Capture bei 300 Euro pro Tonne CO2.

Die potenziellen Umweltauswirkungen dieser technischen Senken sind bisher nicht komplett abgeklärt. Hennenberg findet, weil der LULUCF-Sektor so unsicher ist, sollte man diesen Sektor zwar vorantreiben, technische Kohlenstoffsenken aber parallel bis zur Marktreife bringen. "Es macht keinen Sinn, bis 2045 zu warten und dann zu sehen, okay, wir müssen jetzt leider auch noch technische Senken ausbauen und die erstmal vorbereiten." 

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. März 2025 | 17:10 Uhr

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